Die Bewerberin könnte in zerrissener Jeans, Flip-Flops und mit blau-grüner Lockenfrisur vor ihnen sitzen - die Recruiter von Aldi Süd würden es nicht merken. Denn in der Blackbox, die der Discounter auf dem Kölner Absolventenkongress präsentierte, sitzen die Personaler den Kandidaten für einen Job in völliger Dunkelheit gegenüber.
Das ist keinem Stromausfall geschuldet, sondern so gewollt. Denn was sagt der Kleidungsstil schon über die Fähigkeit, Lieferketten effizienter zu planen? Welchen Einfluss hat die Frisur auf die Führungsfähigkeiten? Eigentlich ist die Antwort allen klar: Nichts beziehungsweise keinen. Trotzdem lassen sich Recruitingverantwortliche aber noch häufig von Äußerlichkeiten ablenken.
Alleine ein ausländisch klingender Nachname auf einer Bewerbung kann die Chance verringern, dass man zum Vorstellungsgespräch geladen wird. Auch nach Alter und Geschlecht wird in Bewerbungssituationen diskriminiert. Von ihren Vorurteilen und unbewussten kognitiven Verzerrungen verführt, treffen Personaler Entscheidungen, die für Bewerber unfair sind und ihrem Unternehmen langfristig schaden.
Seit geraumer Zeit versuchen Firmen deshalb ihre Bewerbungsprozesse objektiver zu machen. Aldis Blackbox ist dabei nur ein weiterer Schritt. “Wir wollen ein Gespräch ohne Vorurteile - weder vonseiten der Bewerber noch vonseiten des Unternehmens”, sagte Sabine Grobara, Projektmanagerin HR bei Aldi Süd und Initatorin des Experiments, der Deutschen Presseagentur.
Die folgenden Verfahren haben ein ähnliches Ziel - und sind heute schon im Einsatz.
Anonymisiertes Bewerbungsschreiben
Die erste Quelle für Fehlentscheidungen entsteht schon beim Durchsehen der Bewerbungsunterlagen. Das zeigte zum Beispiel die Ökonomin Doris Weichselbaumer, als sie für eine Studie aus dem vergangenen Jahr fast 1.500 fiktive Bewerbungen an Unternehmen in Deutschland schickte. Sie wertete anschließend die Rückmeldungen der Personalabteilungen aus.
20 fiese Fragen, 20 clevere Antworten im Vorstellungsgespräch
Ich bin sehr ungeduldig. Deshalb erwarte ich, dass ich mich schon bei der ersten Aufgabe beweise - und mute mir manchmal zu viel zu. Aber ich arbeite an mir: Ich versuche, gewisse Aufgaben abzulehnen oder zu delegieren.
Vielleicht in 20 Jahren - aber dann werden Sie wahrscheinlich auf einer anderen Position sein. Falls Sie dann einen guten, treuen Angestellten brauchen, kann ich Ihnen vielleicht helfen.
Ich habe durch die häufigen Wechsel viele Erfahrungen gesammelt - und davon habe ich profitiert. Denn dadurch kann ich Probleme kreativ lösen.
Ich schätze mich selbst als ehrgeizig ein, aber auch als realistisch. Solange ich in meiner Position lernen und mich verbessern kann, bin ich zufrieden.
Ich habe hart daran gearbeitet, meinen Job zu behalten, während viele Kollegen gekündigt wurden. Daher hatte ich keine Gelegenheit, mich nach einem anderen Job umzusehen.
Ich würde neue Absatzmärkte suchen und gleichzeitig unsere Ingenieure dazu anregen, das Produkt so zu verändern, dass es wieder mehr Marktwert bekommt.
Nachdem ich mich von dem Schock erholt habe, haben mich die Kündigungen stärker gemacht. Ich habe immer geschafft, wieder aufzustehen und mir einen neuen Job zu suchen, der mir mehr Verantwortung gibt, mehr Gehalt einbringt und mich langfristig zufriedener macht. Ich habe die Kündigungen einfach als Chance auf einen Neustart gesehen.
Manchmal muss man einen Schritt zurückmachen, um die Karriere voranzubringen. Außerdem könnte ich das Unternehmen dann von Grund auf kennenlernen.
Philosophie hat mich nicht für dieses Berufsfeld speziell qualifiziert. Aber es hat mich dazu gebracht, meine Zukunftsaussichten zu überdenken. Und nun weiß ich: Es ist sinnlos, nach einem Beruf zu streben, nur weil er Prestige und Geld bringt.
Ich denke, dass ich am besten geeignet bin - und nur das sollte zählen. Ich habe bereits im Ausland gearbeitet. Daher bin ich flexibel und würde kaum Einarbeitungszeit benötigen.
Dieser Job ist mein Traumberuf, sonst säße ich jetzt nicht hier. Ich würde mich freuen, Ihrem Unternehmen beim Aufstieg zu helfen und meine Qualitäten sinnvoll einzubringen.
In den USA leben rund 320 Millionen Menschen. Angenommen von ihnen fahren 25 Millionen gerne Ski. Davon haben sicherlich gut 20 Millionen ein eigenes Paar Ski. Bleiben also fünf Millionen Menschen übrig, die sich Ski leihen müssen. Rechnet man die Touristen dazu, kommt man vielleicht auf etwa 7,5 Millionen Paar im Jahr.
Ich würde vorschlagen, beide Kandidaten für eine Testphase einzuladen. Sie könnten zwei Wochen lang im Unternehmen arbeiten und wir würden beobachten, wie sie sich schlagen. Qualität hat nichts mit dem Geschlecht zu tun.
Ich versuche, jede Aufgaben so sorgfältig wie möglich zu erledigen und gucke nicht pausenlos auf die Uhr. Daher kann ich die genaue Stundenzahl nicht sagen. Aber mir ist Qualität eh wichtiger als Quantität.
Zunächst würde ich immer zuerst meinen Chef fragen, wie er oder sie mit einem Projekt umgehen würde. Wenn sich dann herausstellt, dass mein Chef sich einen Angestellten wünscht, der ein "Macher" ist, zeige ich gerne Eigeninitiative. Die eigentliche Herausforderung ist doch, sich an sein Arbeitsumfeld anzupassen - und da bin ich flexibel.
Ich kann glücklicherweise sagen, dass mir noch nie ein wirklich teurer Fehler unterlaufen ist. Aber generell finde ich Fehler - solange sie keine fatalen Folgen habe - nicht schlimm. Solange man sie nicht zwei Mal macht.
Ich persönlich denke, es ist wichtiger glücklich zu sein, auch wenn es nie schaden kann, kompetent und erfahren zu sein. Das hilft dabei, sich neue Möglichkeiten zu schaffen. Oft geht aber auch beides zusammen, das ist dann die ideale Kombination.
Ich bin weder schüchtern noch eine graue Maus. Also kann es gut sein, dass ein oder zwei frühere Arbeitskollegen dachten, ich sei unflexibel. Aber in Mitarbeitergesprächen und in meinen Referenzen fiel und fällt dieses Adjektiv nie, ebenso wenig wie „verbissen“. Ich kann gleichzeitig hartnäckig und flexibel sein.
Zuerst würde ich versuchen, diese Person für ihre eigenen Erfolge stärker zu loben. Manchmal hilft das schon. Wenn das nichts hilft, würde ich eine Verabredung mit dem Kollegen treffen, dass wir jeweils unsere eigenen Ideen dem Chef vorstellen - damit dieser sieht, wer welchen Erfolg erzielt. Funktioniert auch das nicht, würde ich das Problem offen ansprechen und ausdiskutieren.
Es könnte ein mögliches Risiko sein, dass man kaum in Kontakt mit den wichtigen Personen kommt - zumindest nicht in idealem Maße. Auf der anderen Seite können Telefonkonferenzen und Email ja auch weiterhelfen.
Ihre Ergebnisse deuten auf eine klare Diskriminierung von Bewerberinnen mit Kopftuch und Migrationshintergrund hin: Eine fiktive türkischstämmige Bewerberin, die ein Kopftuch auf dem Bewerbungsfoto trug, bekam nur in 4,2 Prozent der Fälle eine positive Rückmeldung. Sie musste 4,5-mal so viele Bewerbungen schreiben, bis sie zu einem Gespräch eingeladen wurde. Zum Vergleich: Eine dem Namen nach deutschstämmige Frau ohne Kopftuch mit gleichen Qualifikationen bekam auf fast 19 Prozent der Anschreiben eine positive Antwort.
Abhilfe schaffen könnte ein anonymisiertes Bewerbungsschreiben. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hatte vor wenigen Jahren bereits ein Pilotprojekt mit acht Unternehmen dazu auf die Beine gestellt. Unter anderem die Deutsche Telekom, die Post, der Kosmetikhersteller L'Oréal, der Konsumgüterkonzern Procter & Gamble verzichteten dazu bei Bewerbungen auf Fotos, Namen, Adressen, Geburtsdatum, Familienstand oder Nationalität von Bewerbern. Das Ergebnis: Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund hatten dank anonymer Bewerbungen bessere Chancen.
Standardisierung und Strukturierung
Hilfe vom Automat
Oft verlassen sich Personaler auf ihr Bauchgefühl. Doch die Intuition ist nicht in allen Fällen ein guter Ratgeber. Unter dem Stichwort People Analytics versuchen Forscher und Verantwortliche in Firmen einen daten- und technologiegetriebeneren Ansatz durchzusetzen. Der Konsumgüterkonzern Unilever setzt dabei auf die Software von HireVue, einem Anbieter von automatisierten Videointerviews, der behauptet, das ein Drittel der amerikanischen S&P100-Firmen seine Software einsetzt.
Wie funktioniert die automatisierte Bewerberauswahl? Das klassische Anschreiben entfällt zum Beispiel. Wer Interesse an einer Stelle bei Unilever hat, kann mit einem Klick sein Profil im Karrierenetzwerk Linkedin an das Unternehmen schicken. Danach sollen die Bewerber kurze Entscheidungsspiele bestreiten, die laut Anbieter Pymetrics auf neurowissenschaftlichen Erkenntnissen basieren und Rückschlüsse auf Persönlichkeitsmerkmale wie Risikobereitschaft oder Konzentrationsfähigkeit zulassen.
Wessen Ergebnisse nach 20 Minuten und zwölf Spielen auf die ausgeschriebene Stelle passen, der landet im Videointerview. Das Gespräch verläuft nach standardisierten Fragen und wird aufgezeichnet. Im Anschluss analysiert die HireVue-Software vollautomatisch die Körpersprache und Tonlage der Kandidaten und ob bestimmte Schlüsselwörter fielen. Erst dann werden Kandidaten in ein wirklich persönliches Gespräch geschickt.
Am Ende trifft die Entscheidung also doch noch ein Mensch. Allerdings führte die automatische Auswahl zu einer diversen Bewerbergruppe. Die kulturellen und sozio-ökonomischen Hintergründe der Neueinstellungen unterschieden sich stärker als bei anderen Jahrgängen. Auch die Verteilung der Geschlechter sei ausgeglichener gewesen.
Strukturierte Interviews statt Geplauder
Chefs behaupten gerne von sich, dass sie alleine dank ihrer Erfahrung einschätzen könnten, ob ein Bewerber ins Unternehmen und auf eine Stelle passe oder nicht. Ihnen reiche dazu aus, ein bisschen mit den Bewerbern zu plaudern, um ein Gefühl für das Gegenüber zu bekommen. Die Forschung zeigt aber: Vorstellungsgespräche sind gerade wegen unstrukturiertem Herumgerede tendenziell unfair. Strukturierte Interviews dagegen reduzieren mögliche Verzerrungen. Diese Gespräche folgen einer strikten Dramaturgie, können die Jobanwärter aber auf unterschiedliche Schwerpunkte abklopfen, etwa die Biographie oder das Verhalten in bestimmten Situationen.
Doch auch dabei müssen Unternehmen aufpassen. Denn der Auftritt in einem Interview ist bei jedem Bewerber abhängig von der Tagesform. Das zeigte eine Auswertung von Aline Lerner, Gründerin von interview.io. Auf Lerners Seite können insbesondere angehende IT-Spezialisten so genannte technische Interviews üben. Dazu werden sie anonym mit Personalern von Tech-Unternehmen verbunden, mit denen sie dann ein fachliches Vorstellungsgespräch simulieren und mit ihnen bestimmte Coding- und Programmieraufgaben absolvieren.
Lerner analysierte die Daten von mehreren Hundert Interviews, darunter auch Datenreihen von Einzelpersonen, die über einen bestimmten Zeitraum mehrere Interviews abgeschlossen hatten. Ihr Ergebnis: Gutes Abschneiden ist oft Zufall. Etwa 20 Prozent der Kandidaten lieferten konstant gleiche Ergebnisse. Der Rest sei “all over the place”. Firmen empfiehlt sie daher, eine wichtige Einstellung nicht von einer einzigen, singulären Testleistung abhängig zu machen, sondern mehrere Ergebnisse zu aggregieren. Der Durchschnitt sei in diesem Fall aussagekräftiger.
Fähigkeit statt Persönlichkeit
Das Konzept von Aldis Blackbox ähnelt dem der klassischen Blind-Audition-Methode, die die Ökonominnen Claudia Goldin und Cecilia Rouse schon im Jahr 1997 identifizierten. Sie untersuchten damals amerikanische Orchester, denen es seit den 1980er-Jahren gelungen war, den Anteil der Frauen in ihren Reihen zu erhöhen. Ihr Trick: Wer für eine Stelle vorspielte, tat das hinter einem Vorhang, damit die Entscheider nicht sahen, ob ein Mann oder eine Frau am Instrument war. Allein Dank dieser Praxis sei die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau eine Runde weiterkäme, um 50 Prozent gestiegen.
Das Prinzip dahinter: Können ist wichtiger als äußerliche Faktoren. Um das zu prüfen, lassen Firmen Bewerber in der Interviewsituation bereits Teilaufgaben erledigen, die im Job wichtig werden. Das können das Erstellen kurzer Präsentationen oder einfacher Spreadsheets sein. Eine Überblicksstudie von Psychologen um Philip Roth zeigt einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Abschneiden bei solchen Kurztests und späterer Arbeitsleistung.