Vier Monate Arbeit, zwei Tage Wettstreit und zuletzt vier Stunden Schlaf liegen hinter Susann Tiffany Leuchtmann, 26, und Niels Henning Adler, 25, als sie an diesem wolkigen Morgen das Kongresszentrum in Shanghai betreten. In den Hallen, durch die schon Staatslenker wie Wladimir Putin und Jacques Chirac gingen, werden die beiden Studenten eine Produktidee vorstellen. Überzeugen wollen sie damit rund 30 internationale Manager des Düsseldorfer Chemiekonzerns Henkel. Dieser hat 36 junge Menschen aus 18 Ländern nach Shanghai eingeladen, um an einem Studentenwettbewerb teilzunehmen. Am dritten Tag der "Henkel Innovation Challenge" sind sechs Teams übrig geblieben, darunter auch Leuchtmann und Adler für Deutschland.
Fotosynthese auf dem Kopf
Jedes Team ist mit einem Geschäftsmodell für ein fiktives Produkt im Jahr 2050 in den Wettstreit gezogen: Während die belgischen Teilnehmer etwa ein Klebeband für Gebäudeteile vorstellen und die Österreicherinnen auf eine selbstreinigende Oberflächenbeschichtung setzen, präsentieren Leuchtmann und Adler ein Shampoo mit Chlorophyll. Dieses soll Fotosynthese auf dem Kopfhaar betreiben, dadurch Sauerstoff erzeugen und für mehr Lebensqualität sorgen – gerade in den immer weiter anschwellenden Megastädten. Am Ende überzeugen sie die Jury mit ihrer Präsentation am meisten und räumen einen 10.000-Euro-Reisegutschein, sowie ein Treffen mit dem Henkel-Vorstandsvorsitzenden Kasper Rorsted ab.
Bei solchen Karriere-Events wollen jedoch vor allem die Unternehmen gewinnen – und zwar neue Mitarbeiter. "Jeder will im Kampf um Talente der Erste sein und schon früh mit Studenten in Kontakt treten", sagt Karriere-Expertin Stefanie Zimmermann vom Kölner Staufenbiel-Institut, einem Personalmarketing- und Recruiting-Dienstleister. Dieses Vorgehen erklärt Zimmermann mit dem demographischen Wandel, dem Fachkräftemangel und den gewachsenen Ansprüchen junger Absolventen.
Bewerber sind selbstbewusster
66 Prozent der befragten Personaler der Job-Trends-Studie des Staufenbiel-Instituts, sagen dass Bewerber heutzutage selbstbewusster sind als früher. 45 Prozent haben sogar das Gefühl, sich eher bei den Bewerbern bewerben zu müssen als umgekehrt. Das machen sie zunehmend mit ausgefallenen Events. "Die Veranstaltungen sind immer spannender geworden. Es gilt: höher, schneller, weiter", sagt Zimmermann.
So setzt die Wirtschaftsprüfung Ernst&Young ebenfalls auf einen Wettbewerb und sucht im August in Kopenhagen unter Studenten aus 26 Nationen den "Young Tax Professional of the Year". Wer die Fallstudien und Steuerfachfragen am besten löst, kann eine 30-tägige "Business-Weltreise" mit Besuchen bei Ernst&Young in London, Washington und Hongkong antreten. Die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers schickt Studenten stattdessen seit September 2012 auf hohe See: Bei Segeltörns im Mittelemeer, auf der Nordsee und dem Atlantik können sie Abenteuer erleben und das Unternehmen kennen lernen. Auch auf ein Boot geht es für die Gäste der Karriere-Lounge des Düsseldorfer Modehauses Peek&Cloppenburg. Im August lädt es Studenten zur Beachvolleyball-Europameisterschaft am Wörthersee in Österreich ein.
Mehr Möglichkeiten als im Gespräch
All das gehört zum sogenannten Employer Branding, also zum Aufbau einer Arbeitgeber Marke. Bei solchen Veranstaltungen wollen sich die Unternehmen allerdings nicht nur von ihrer Schokoladenseite zeigen, sondern auch die besten Teilnehmer ausmachen. Das Kalkül hinter einem Studentenwettbewerb erklärt der Leiter des Employer Brandings von Henkel, Jens Plinke, so "Ein Wettbewerb bietet uns viel mehr Möglichkeiten als nur ein Gespräch mit den Studenten", sagt er. "Wir sehen sie an mehreren Tagen, in verschiedenen Situationen und können mit ihnen zusammenarbeiten." Die Teilnehmer und damit die Zielgruppe beschreibt er so: "Sie sind kreativ und zeigen das auch. Sie sind gute Teamplayer, sie mögen den Wettbewerb, sie mögen die Herausforderung."
Die Herausforderung hat auch die deutsche Teilnehmerin Susann Tiffany Leuchtmann gesucht. Die Masterstudentin in Marketing und Management an der Copenhagen Business School hat schon mehrere Studentenwettbewerbe hinter sich. Bei der dänischen "ComCaseCompetition" löste sie eine Fallstudie für die Brauerei Carlsberg und erreichte damit den zweiten Platz, beim Wettbewerb "Reveal" des Kosmetikkonzerns L'Oreal ging sie in Dänemark als Siegerin hervor.
Im Alltag fehlt der Glamourfaktor
Die Vorteile dieser Events liegen für sie auf der Hand: "Zum Zeitpunkt der Bewerbung können Studenten ihre Fähigkeiten in Sachen Analyse, Logik und Kreativität unter Beweis stellen und erweitern", sagt sie. "Eine Stufe weiter kommen noch Präsentations-, Rhetorik- und Netzwerkfähigkeiten hinzu." Gerade beim Henkel-Event in Shanghai konnte sie viele Kontakte zu internationalen Studenten und Henkel-Managern knüpfen. "Letztere sind natürlich auch hilfreich, wenn man eine Karriere nach dem Studium bei Henkel erwägt."
Stefanie Zimmermann vom Staufenbiel-Institut sieht solche Recruiting-Events jedoch auch skeptisch. "Die Studenten fühlen sich natürlich hofiert, wenn sie nach Shanghai oder auf ein Segeltörn im Mittelemeer eingeladen werden", sagt sie. "So sieht der Arbeitsalltag aber meist nicht aus, da fehlt der Glamourfaktor, den die Events vorgeben."
Vorteile für beide Seiten
Susann Tiffany Leuchtmann fühlt sich von den Firmen nicht getäuscht. "Wenn mich Henkel zu einer Innovation Challenge nach Düsseldorf oder Shanghai einlädt oder L'Oréal und Carlsberg etwas ähnliches tun, dann bin ich mir als erfahrene Masterstudentin bewusst, dass sich das Unternehmen von seiner besten Seite zeigen wird und mich im besten Fall auch für sich gewinnen will", sagt sie. Das sei legitim und zum Vorteil für beide Seiten. "Wenn ich lernen möchte, wie der Unternehmens- und Arbeitsalltag aussieht, mache ich Praktika und nehme nicht an Wettbewerben teil."
Am Ende könnten sogar die Studenten mehr von den Veranstaltungen profitieren als die Unternehmen selbst: Der Düsseldorfer Werbefachmann Hubert Hundt bemängelt die niedrige Reichweite und die hohen Ausgaben von Recruiting-Events. "Für gesuchte Top-Talente werden da sehr hohe Summen pro Teilnehmer investiert - und das oft ohne die Gewähr, diese Talente hinterher auch rekrutieren zu können.", sagt der Leiter der Strategischen Planung der Werbeagentur Castenow. Seine auf Employer Branding spezialisierte Agentur setzt stattdessen auf allgemeine Strategien, um Arbeitgeber-Marken aufzubauen.
Angestellte transportieren das Marken-Image
Das Hauptanliegen dabei sei es, intern die jeweiligen Mitarbeiter als Botschafter der Arbeitgebermarke zu mobilisieren. "Vor allem die Mitarbeiter selbst müssen hinaustragen, was für ein guter Arbeitgeber ihr Unternehmen ist", sagt Hundt. Das machen sie etwa in TV Spots, als Blogger in sozialen Medien oder ganz privat in ihrem sozialen Umfeld. 2007 erarbeitete die Agentur erstmals eine solche Kampagne für McDonald's, mittlerweile macht Arbeitgeber-Kommunikation die Hälfte ihres Umsatzes aus. Außer McDonald's gehören heute auch die Kölner Rewe-Gruppe, die Targobank und verschiedene Mittelständler zu Castenows Kunden.
Auf solche Kampagnen setzen allerdings auch Unternehmen, die Karriere-Events anbieten: Im Karrierebereich der Henkel-Homepage stellen etwa Mitarbeiter sich und ihre Arbeit in Videos vor. Und auch bei seinem Studentenwettbewerb sind es letztlich die Manager vor Ort, die die Arbeitgebermarke transportieren. Henkels Employer-Branding-Manager Jens Plinke kann den Zweifel am Effekt solcher Veranstaltungen nicht nachvollziehen. Er sagt, immer mehr ehemalige Teilnehmer der Innovation Challenge finden ihren Weg ins Unternehmen: "Viele haben erst noch ihren Master gemacht oder zunächst zum Beispiel im Consulting gearbeitet, bevor sie zu Henkel gekommen sind." Deshalb zeigten sich die Resultate zum Teil auch noch einige Jahre später.
"You're hired!"
So hat der Vorjahressieger Marco Cheung aus China bereits ein Praktikum in der Düsseldorfer Zentrale absolviert und führt derzeit sein Wirtschaftschemie-Studium in Hongkong fort.
Als International Marketing Manager für Wasch- und Reinigungsmittel arbeitet heute Marin Schürmann im Unternehmen, die die Henkel Innovation Challenge von 2009 gewonnen hat. Benedikt Feuchtmüller hat ein Jahr darauf an dem Wettbewerb teilgenommen und ist heute Markenmanager für Klebstoffte für die Region Zentral- und Osteuropa.
Welche Möglichkeiten den Teilnehmern offen stehen, machte in Shanghai der Asienchef von Henkels Klebstoff-Sparte, Michael Olosky, deutlich. Nach den Präsentationen der Studenten im Kongresszentrum schreitet er auf die Bühne und eröffnet seine Abschlussrede mit den Worten: "You're hired!"