Deutsche wollen nicht für den Job umziehen Lieber arbeitslos als ein Wohnortswechsel

Von Hamburg nach Passau – nur für einen Job? Für die Mehrheit der Deutschen kommt ein berufsbedingter Umzug nicht in Frage. Auch die, die den Schritt schon einmal gegangen sind, sagen: Einmal und nie wieder.

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Ein berufsbedingter Umzug kommt für die Mehrheit der Deutschen nicht in Frage. Quelle: dpa

Machen Sie sich gleich auf den Nachhauseweg? Mit dem Zug, der hoffentlich trotz des entgleisten ICE in Dortmund pünktlich sein wird? Vielleicht bekommen Sie ja sogar einen Sitzplatz. Falls Sie mit dem Auto nach Hause fahren – über die A1, die A3, die A5 oder eine der anderen Staustrecken in der Republik – können Sie Ihren privaten Sitzplatz recht lange genießen. Umringt von den anderen Stauteilnehmern. Und das sind viele.

2016 pendelten bundesweit 60 Prozent aller Arbeitnehmer in eine andere Stadt. Die Mehrheit nervt das. Und gut für Körper und Kopf ist die Pendelei auch nicht. Dabei wäre die Lösung – vermeintlich - so einfach: umziehen. Doch die Deutschen haben auf einen Ortswechsel einfach keine Lust. Das belegt eine aktuelle Befragung der Jobsuchmaschine Jobrapido. Demnach kommt ein Umzug für 25 Prozent der Jobsucher überhaupt nicht in Frage.

Die Firma zieht um und die Mitarbeiter sollen mitkommen? Nein danke, sagen sie. Um ihren aktuellen Job behalten zu können, würden lediglich drei Prozent der Deutschen einen Umzug in Erwägung ziehen. Der Traumjob wartet – nur eben in einer anderen Stadt? Dann eben nicht. Drei Prozent haben sogar schon einmal eine Stelle abgelehnt, weil sie einen Umzug erfordert hätte.


Beide arbeiten, beide pendeln

„Die Leute sind bei der Arbeitsplatzwahl flexibler als bei der Wahl des Wohnorts. Die Entwicklung wird sich nicht drehen“, sagt Christian Breu, Geschäftsführer des Planungsverbands Äußerer Wirtschaftsraum München. München ist mit 355.000 Arbeitnehmern, die täglich in die Stadt kommen und sie abends wieder gen Heimat verlassen, Deutschlands Pendlerhauptstadt.

Diese Unflexibilität hat mehrere Gründe. „Durch die zunehmende Frauenerwerbsquote gibt es immer mehr Doppelverdiener. Paare sind unflexibler bei der Wohnortwahl, vor allem, wenn Kinder im Haushalt leben“, sagt Simon Pfaff vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden. Wenn sie in Wuppertal arbeitet und er in Bochum, bleibt es nicht aus, dass mindestens einer von beiden pendelt.

„Auch die steigende Zahl befristeter Arbeitsverträge begünstigt das Pendeln, weil Erwerbstätige nicht für einen überschaubaren Zeitraum den Wohnort wechseln wollen“, so Pfaff. Von denen, die unbefristete Verträge haben, bleiben 45 Prozent mindestens zehn Jahren beim selben Arbeitgeber, wie das statistische Bundesamt ermittelt hat. Aber wer will schon alle zehn Jahre Haus und Hof verkaufen und woanders nach einer neuen Bleibe suchen?

Aber von diesen ökonomischen Gründen einmal ganz abgesehen, sind es vor allem emotionale Belange, die die Deutschen an ihren Wohnort binden.

Gefühl geht über Karriere


Das zeigt zumindest die Jobrapido-Umfrage: 42 Prozent gaben an, dass ihre aktuelle Beziehung, ihre Familie und Freunde sie davon abhalten würden, den aktuellen Wohnort zu verlassen. 26 Prozent würden nur dann in eine andere Stadt umziehen, wenn diese noch nahe genug an ihrem bisherigen Wohnort ist, um Freunde und Familie zumindest an den Wochenenden weiterhin sehen zu können. „Die Nähe ihrer Lieben ist für die meisten wichtiger als die Karriere“, fasst Rob Brouwer, CEO von Jobrapido, die Ergebnisse zusammen.

Das passt zu den sonstigen Studien, die sich mit der Motivation von Arbeitnehmern befasst. Denn Liebe schlägt Geld – zumindest im Job. Solange die Kollegen nett sind, ist das Gehalt für die Meisten sekundär. Zumindest, wenn es hoch genug ist, um davon gut leben zu können.

Eiscafé vom Chef wiegt Stress auf

„Als wir nach einem sehr stressigen und anstrengenden Vormittag eine Runde Eiscafé von der Chefin spendiert bekommen haben und diesen gemütlich zusammen genießen konnten“, sei er besonders glücklich gewesen, sagt einer der Befragten der letzten Gallup-Studie zur Mitarbeiterzufriedenheit. Und eine andere Teilnehmerin antwortete: „Ich fühle mich wohl, wenn ich und meine Arbeit geschätzt werden. Wenn meine Meinung ernst genommen wird und ich mich einbringen kann.“

Was Vorgesetzte tun können, damit ihre Angestellten zufrieden sind (und bleiben)

Und als die E-Recruitingplattform Softgarden kürzlich 2400 Bewerber fragte, was für sie einen guten Job ausmacht, sagten 1093 Teilnehmer: Arbeitsklima. Von Karriere, tollem Gehalt oder Aufstiegschancen ist in beiden Studien immer erst sehr viel später die Rede. Und diese beiden Studien sind bei weitem nicht die einzigen, die zu diesem Ergebnis kommen.

Für Unternehmen sind diese Ergebnisse natürlich bitter. Gegen die Sandkastenliebe und das geerbte Häuschen können sie nicht anstinken. Aber versuchen müssen sie es eben doch. Und zwar mit mehr als dem üblichen: „bei uns arbeiten Sie in einem dynamischen Team.“ Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) beispielsweise empfiehlt, neue Mitarbeiter bei der Wohnungssuche und bei der Integration in den Alltag zu unterstützen.

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Gerade neue Kollegen, die aus anderen Regionen kommen, sollen Mentoren zur Seite gestellt werden. Und vor allem: wer solche Extras anbietet, sollte diese auch kommunizieren. Damit der Niederbayer weiß, dass er in Friesland wirklich willkommen ist.

Alternativ müssen sich Unternehmen bei der Fachkräftesuche auf die 163.000 Paare konzentrieren, die sich pro Jahr scheiden lassen. Geht nämlich eine Ehe krachend in die Brüche, sind Bewerber eher bereit, für einen Job umzuziehen. Allerdings geht es ihnen dann nicht in erster Linie um den neuen Arbeitgeber, sondern um ein ganz neues Leben.

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