Die Beschäftigungskluft Was tun zwischen später Arbeitslosigkeit und Rente?

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Rentenalter steigt, Langzeitarbeitslosigkeit auch

Noch ist eine altersneutrale Personalpolitik trotz nachgewiesener Vorteile gemischter Belegschaften noch nicht bei der Mehrzahl der deutschen Unternehmen angekommen. Der aktuelle Bericht der Bundesagentur für Arbeit zur „Situation von Älteren“ zeigt, dass sie stärker als der Durchschnitt von Arbeitslosigkeit betroffen sind und auch häufiger langzeitarbeitslos bleiben – obwohl ihnen seltener als jüngeren Arbeitskräften die formalen Qualifikationen fehlen.

Zwar ist die jüngst vom Bundesarbeitsministerium gemeldete „Erwerbstätigenquote“ der 55- bis 65-Jährigen von gut 51 Prozent im Jahr 2007 auf rund 70 Prozent im Jahr 2017 gestiegen, doch sind darin auch Selbstständige, Mini-Jobber und andere Erwerbsformen enthalten. Der Anteil sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter Arbeitnehmer im Alter von 50 bis 65 Jahren ist laut IAB hingegen lediglich von einem Drittel im Jahr 2000 auf 54 Prozent im Jahr 2015 gestiegen (prozentuale Beschäftigungsquoten 2017/2018 liegen derzeit nicht vor). Doch mit der sukzessiven Erhöhung des Renteneintrittsalters und der Abschaffung staatlich geförderter Frühverrentungsprogramme hat sich eben auch die Phase der Erwerbstätigkeit mit dem Risiko des Jobverlusts deutlich verlängert.

Hier entsteht eine Kluft zwischen dem Einstellungs- und Kündigungsverhalten von Unternehmen und politischen Forderungen: Auf der einen Seite Unternehmer, die Vorurteile gegenüber älteren Mitarbeitern haben und Fachkräftemangel lieber mit Teilzeitaufstockung und Auslands-Know-how ausgleichen oder Positionen im Zweifelsfall sogar länger unbesetzt lassen. Auf der anderen Seite politische Forderungen nach einem immer höheren Renteneintrittsalter in Verbindung mit sinkenden Rentenbezügen.

Arbeitssuchende 50plus sind zwar mit 15 bis 24 Monaten Anspruch auf Arbeitslosengeld länger abgesichert als Jüngere mit maximal 12 Monaten. Doch aufgrund ihrer geringen Wiederbeschäftigungschancen fallen sie wesentlich häufiger in den Hartz IV-Bezug – egal, wie lange und zu welchem Gehalt sie zuvor gearbeitet haben. Die finanzielle Sicherung während der Beschäftigungskluft muss dann im Zweifelsfall privat abgefangen werden, wobei längere Arbeitslosenphasen mit massiven Rentenabschlägen verbunden sind. Das bestätigt auch IAB-Studienleiterin Katja Wolf: „Insbesondere ehemalige Fach- und Führungskräfte haben in der Regel Ersparnisse oder auch Vermögen, das sie mit Ablauf des Arbeitslosengeldes erst einmal – bis auf einen Freibetrag – aufbrauchen müssen, bevor sie Anspruch auf Hartz IV haben. Oder es gibt einen berufstätigen Ehepartner, der das ausgleicht. Viele nehmen auch eine geringfügige Beschäftigung an.“

Das zeigt auch der aktuelle BA-Bericht zur „Situation von Älteren“: Während die Zahl der Mini-Jobber insgesamt zurückgegangen ist, gab es 2017 bei den ausschließlich geringfügig Beschäftigten zwischen 55 und 65 Jahren eine Zunahme von 17 Prozent.

Instrumente und Lösungen nicht in Sicht

Offenbar ist die Lage der über eine halbe Million bei den Arbeitsagenturen und Jobcentern gemeldeten älteren Arbeitssuchenden mit geringen Wiederbeschäftigungschancen – darin Mini-Jobber, Hartz-IV-Aufstocker und in Weiterbildungsmaßnahmen Geparkte noch nicht eingerechnet – politisch noch nicht angekommen.

Wie die IAB-Wiederbeschäftigungs-Studie zeigt, ist dementsprechend auch die Unzufriedenheit unter den Angestellten der Arbeitsagentur groß: „Den Vermittlungsfachkräften stehen aktuell nur wenige Angebote speziell für ältere Arbeitslose zur Verfügung. Hier wünschen sich über 80 Prozent der Befragten Anpassungen und sehen Ergänzungsbedarf“, sagt Pia Homrighausen, die die Studie mit Katja Wolf geleitet hat. Zu den wenigen Angeboten für Ältere gehöre der Lohnkostenzuschuss, wonach die Arbeitsagentur dem Arbeitsgeber das Gehalt von Arbeitskräften 50plus höchstens drei Jahre mit bis zu 50 Prozent bezuschusse.

Laut Arbeitsförderungsexpertin Homrighausen sind gut qualifizierte Fach- und Führungskräfte und ehemalige Manager jedoch eigentlich nicht die Zielgruppe solchen Lohnkostenzuschusses, der „Produktivitätsdefizite“ ausgleichen soll: „Gehaltszuschüsse an den Arbeitgeber werden oftmals als falsches Signal empfunden, weil sie suggerieren, dass ältere Mitarbeiter weniger leisten. Insbesondere für Hochqualifizierte und ehemals gut Verdienende könnte es sinnvoller sein, den 2011 abgeschafften Lohnzuschuss, der direkt an die Arbeitnehmer gezahlt wird, wieder einzuführen. Dieser federt ab, dass diese Gruppen oft nur zu einem geringeren Gehalt wieder eine neue Beschäftigung finden können.“

Von den befragten Arbeitsagenturmitarbeitern halten auch nur 55 Prozent die derzeit ausgezahlten Lohnkostenzuschüsse an den Arbeitgeber für sinnvoll – und zwar bei der Vermittlung von weniger Qualifizierten, etwa nach längerer Elternzeit oder bei veralteten Kenntnissen. Weitere 48 Prozent sprechen sich für eine gezielte Beratung von Unternehmen aus, um die in der IAB-Studie nachgewiesenen Vorurteile gegenüber älteren Mitarbeitern und Bewerbern abzubauen – und eine vernünftige Personalpolitik einzuleiten.

Wie Olaf Scholz im Interview mit WirtschaftsWoche Online sagt, hat „Hubertus Heil als Arbeitsminister ein besonderes Auge darauf“. Auf Nachfrage, was getan werde, um die Vorurteile der Unternehmen abzubauen, teilte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) mit, dass der Arbeitgeberservice der Bundesagentur für Arbeit Unternehmen bereits berate, um für die Potenziale Älterer und die Vorteile altersgemischter Teams zu sensibilisieren und auch Eingliederungszuschüsse und Weiterbildungen gewähre, um ältere Arbeitnehmer zu vermitteln.

Doch lautet letztlich auch das Fazit einer BMAS-Sprecherin: „Aber auch die beste Unterstützung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kann nicht erfolgreich sein, wenn die Bereitschaft der Arbeitgeber zur Beschäftigung älterer Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht ausreichend ausgeprägt ist.“

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