
Zehntausende Jugendliche bleiben Jahr für Jahr ohne Lehrstelle. Laut einer Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) gingen im Ausbildungsjahr 2016 insgesamt 283.281 junge Bewerber bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz leer aus. Das bedeutet, dass nur rund 65 Prozent aller Jugendlichen, die eine Ausbildung machen wollten, auch einen Platz bekommen haben. Rund 60.000 fanden eine Alternative und gingen zum Beispiel weiter zur Schule. Etwa 20.000 standen ohne alles da.
Der Rest werde nun in Ersatzmaßnahmen wie Praktika, Einstiegsqualifizierungen oder berufsvorbereitenden Maßnahmen "geparkt".
"Wenn nur 64,7 Prozent aller interessierten und als 'ausbildungsreif' eingestuften Bewerber einen Ausbildungsplatz finden, kann von einem Azubi-Mangel nicht gesprochen werden", heißt es in der DGB-Studie. Denn gleichzeitig bleiben in einigen Branchen immer mehr Ausbildungsplätze leer, etwa am Bau und im Hotelgewerbe.
Schlechte Bedingungen - keine Azubis
"Nach wie vor gilt: Wer schlechte Ausbildungsbedingungen bietet, darf sich über ausbleibende Bewerbungen nicht wundern", meinte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack mit Blick auf Betriebe, die über einen Mangel an geeigneten Azubis klagen. Zugleich verlangte Hannack, dass auch wieder junge Menschen mit Hauptschulabschluss eine Ausbildungschance bekommen müssten. Untersuchungen der IHK-Lehrstellenbörsen zeigten, dass fast zwei von drei der dort angebotenen Ausbildungsplätze den mittleren Schulabschluss als Mindestvoraussetzung hätten, kritisierte Hannack.
Wie Azubis über die Berufsausbildung denken
Im Rahmen der Studie "Azubi-Recruiting Trends 2016" befragt u-form Testsysteme, ein Anbieter von Eignungstests in der Ausbildung und bei Bewerbungen, zusammen mit der Hochschule Koblenz und der Berufsorientierungsplattform blicksta jährlich mehrere tausend Auszubildende und ihre Ausbildungsleiter. 2016 fand die Umfrage zum siebten Mal statt, 3.343 Azubi-Bewerber und Auszubildende sowie 1.295 Ausbildungsverantwortliche nahmen teil.
Der Aussage "Mit einer Ausbildung hat man etwas Handfestes und lernt nicht nur pure Theorie", stimmten 90,1 Prozent der befragten Lehrlinge und angehenden Azubis zu.
Für die jungen Menschen ebenfalls wichtig: die finanzielle Komponente einer Ausbildung. 88,1 Prozent schätzen an der dualen Ausbildung, dass sie von Anfang an etwas verdienen.
Dieses Statement trifft für 87,7 Prozent zu.
Bei dieser Aussage fällt die Zustimmung schon geringer aus. Trotzdem: 59,2 Prozent - also eine deutliche Mehrheit - glauben, dass eine Ausbildung genauso gut aufs spätere Berufsleben vorbereitet, wie ein Studium.
Während die Ausbildung einst für die breite Masse und das Studium für einen kleinen Kreis war, ist es heute eher umgekehrt, sagen 54,8 Prozent der befragten Lehrlinge.
Dem stimmen 52,5 Prozent zu.
Dass Studenten von oben auf Auszubildende herabsehen, sehen 46,6 Prozent so. Die Mehrheit glaubt nicht, dass das zutrifft.
42,7 Prozent der Auszubildenden glauben, dass ein Studium nur für Papas Nerven oder Mamas Stolz gut ist. 57,3 Prozent glauben dagegen nicht, dass die obige Aussage zutrifft.
Meister statt Master: Dass Menschen mit einer Berufsausbildung Führungspositionen verwehrt bleiben, glauben nur 30 Prozent der Azubis. 70 Prozent sehen nicht, warum sie ohne Studium nicht trotzdem Chef werden können.
Vielmehr bevorzugen die Betriebe Gymnasiasten anstatt Real- und Hauptschüler. Entsprechend haben fast 48 Prozent der rund 270.000 Jugendlichen, die in Maßnahmen stecken, nur einen Hauptschulabschluss. Rund 27 Prozent verfügen über einen mittleren Abschluss.
Projekte "für alle, die sonst nichts kriegen"
Einer davon ist Eric Müller, 18 Jahre alt. Seit Ende September arbeitet er als Lehrling bei der Firma Forth Elektrotechnik auf einer Baustelle in Berlin-Hohenschönhausen. In roter Arbeitshose, braunen Arbeitsschuhen und schwarzem Fleecepulli unterscheidet ihn optisch nichts von den Kollegen. „Auf der Baustelle läuft es ganz gut“, sagt er. „Aber in der Berufsschule ist es nicht so leicht.“
Eric ist keiner, der viele Worte verliert. „Ich bin sehr zufrieden“, sagt er. Im Vergleich zu anderen im Freundeskreis sieht Eric sich im Mittelfeld: Einige Kumpels machen zwar Abitur. Seine engen Freunde jedoch lernen Maler, Lackierer und Gerüstbauer, sein Bruder wird Koch. Dann gibt es einige, die gar keine Lehrstelle ergattert haben.
Die Firma Forth in Eberswalde in Brandenburg hat rund 50 Angestellte, viele gehen bald in Rente. „Ich finde nicht ausreichend qualifizierten Nachwuchs“, sagt Ausbilder Uwe Schadwinkel. Pro Jahr sucht das Unternehmen mindestens drei Jugendliche für die dreieinhalbjährige Ausbildung zum Elektrotechniker. Lange bekam er Dutzende Bewerbungen. Letztes Jahr meldeten sich für seine drei Plätze nur fünf Anwärter. Der Geburtenrückgang in Ostdeutschland nach dem Ende der DDR 1989/90 macht sich klar bemerkbar. Ein einziger der Bewerber entsprach Schadwinkels Wunschprofil: Mittlere Reife und die Note Zwei in Mathematik und Physik.
Eric Müller kam als Schülerpraktikant zu Forth. „In der praktischen Arbeit passte Eric vom ersten Tag gut rein, er ist handwerklich sehr geschickt“, sagt Schadwinkel. Doch von den gewünschten Zeugnissen war der junge Mann weit entfernt: Er hat einen Hauptschulabschluss, die fünfte Klasse wiederholt und mäßige Noten in Mathe und Physik. Bei der „Assistierten Ausbildung“ bekommt Eric jeden zweiten Samstag Nachhilfeunterricht. Schadwinkel, der Nachhilfelehrer der „Assistierten Ausbildung“ und die Berufsschullehrerin tauschen E-Mails aus, was der Azubi nacharbeiten soll. So wollen sie ihn durch die Zwischenprüfung hieven. Es wäre ein nächster Schritt. Für Eric und die Firma Forth.