Flexibler und gut bezahlt Corona-Arbeitsmarkt beschert Studenten bessere Nebenjobs

beDie Lebensmittelbranche stellt über 400 Prozent mehr Mitarbeiter ein, als vor der Corona-Krise. Quelle: dpa

Corona hat den Arbeitsmarkt für Studenten auf den Kopf gestellt. Während einige mit finanziellen Sorgen kämpfen, profitieren andere von der Krise – und die Durchschnittslöhne sind sogar gestiegen.

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Es war der 26. März – ganz am Anfang der coronabedingten Einschränkungen in Deutschland. Jakob Simon, Student der Technischen Universität Dortmund, hielt seine Kündigung in der Hand. Das BVB-Stadion konnte ihn als Servicekraft im VIP-Bereich nicht mehr gebrauchen. Damit war er nicht allein. Denn ohne Spieltage braucht man auch keine Mitarbeiter. Das einzige Licht am Ende des Tunnels: Die Kündigung ist auf unbestimmte Zeit ausgesprochen – genauso wie die Coronakrise. Sobald die Lage sich verbessert, dürfen die studentischen Aushilfen wieder zurück. Doch bis dahin musste eine Ersatzlösung her. Für den 20-Jährigen ging es als Warenverräumer in die Lebensmittelbranche – genauer gesagt zu Netto. Viel Auswahl hatte er nicht.

Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist durch die Coronapandemie gestiegen, zuletzt auf etwa 2,9 Millionen Menschen. Damit liegt sie um 30 Prozent höher als ohne Krise, heißt es in einer Studie des Prognos-Instituts im Auftrag der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Besonders betroffen seien Menschen im Alter zwischen 15 bis 25 Jahren. Unter ihnen: Die Studenten.

Die Coronakrise bereitet den Studenten große finanzielle Sorgen und Existenzängste. Einer von der Juso-Hochschulgruppe in Auftrag gegebenen repräsentativen Befragung zufolge hat rund jeder Dritte wegen der Pandemie seinen Nebenjob verloren. Die durchschnittlichen finanziellen Einbußen beliefen sich in der Corona-Hochphase von Februar bis Juni auf insgesamt etwa 1500 Euro. Fast ein Drittel der Befragten gab an, teilweise unter Existenzängsten zu leiden. Besonders die Studenten, die keine große finanzielle Unterstützung von den Eltern bekommen, sind betroffen. Studierende in akuter Not konnten zwar seit Mitte Juni eine Überbrückungshilfe in Form eines nicht rückzahlbaren Zuschusses bei ihrem Studierendenwerk beantragen, jedoch nur in Höhe von maximal 500 Euro für jeweils die Monate Juni, Juli und August. „Das einmalige Unterstützungspaket reicht lange nicht aus“, urteilt Eckhard Köhn, Arbeitsmarktexperte und Geschäftsführer von Studitemps, Deutschlands größtem Personaldienstleister für Studenten. Viele Studenten haben seit dem Lockdown bereits drei Monate ohne jegliches Einkommen auskommen müssen – in der Regel ohne Ersparnisse, auf die sie zurückgreifen können.

Bedarf der Lebensmittelbranche wächst um das Vierfache

Köhn hat seit März große Veränderungen auf dem studentischen Arbeitsmarkt beobachtet: Im März habe es auf Studitemps noch nie so viele Anmeldungen von Studierenden auf der Suche nach einem Job gegeben. Während das Jobangebot in den meisten Branchen zum Stillstand gekommen ist, hat sich vor allem die Lebensmittelbranche auf die Suche nach neuen Mitarbeitern begeben. So sei das Angebot um über 400 Prozent in die Höhe gesprungen. Allein im März seien 57.000 Stellen im Lebensmitteleinzelhandel sowie in der Logistik und Warenversorgung über Studitemps besetzt worden. Damit sind Studierende in Branchen gerutscht, in denen zu arbeiten sie sich zuvor oft nicht vorstellen konnten. „Hinter den großen Kulissen steckt deutlich mehr, als die meisten zunächst glauben“, sagt Köhn. Auch Jakob Simon bestätigt, dass die Arbeit bei einer großen Supermarkkette zumindest „eine Erfahrung wert“ ist.

Trotz des Booms unter anderem im Lebensmitteleinzelhandel rechnet Studitemps-Chef Köhn insgesamt mit 19 Prozent weniger Jobs für Studenten. Branchen wie der internationale Tourismus und Veranstaltungen würden noch lange im Krisenmodus verharren. Aktuell arbeiten noch 8800 Studenten über den Personaldienstleister in Nebenjobs.



Die Coronakrise macht Studenten andererseits für den Arbeitsmarkt flexibler, weil viele Seminare und Vorlesungen momentan nur online stattfinden. „Die Vereinbarkeit mit dem Studium ist das wichtigste Kriterium, nach dem Studenten den Nebenjob auswählen“, sagt Köhn. Erst dann folgen Vergütung, Anfahrtsweg, Abwechslung und die Vorbereitung auf das spätere Berufsleben als Auswahlkriterien. Durch die neue Flexibilität haben Studierende dem Studitemps-Chef zufolge nun mehr Zeit für Teilzeit- oder sogar Vollzeitjobs. Das zeige sich auch in der Beschäftigungsart: Minijobs biete Studitemps in der Krisenzeit gar nicht erst an, da die Nachfrage ausbleibe.

Demographischer Wandel katapultiert Studenten zurück

Köhn glaubt, dass sich der Arbeitsmarkt dadurch für Studierende zum Positiven verändert. Durch die Situation hätten viele Unternehmen begriffen, dass flexiblere Arbeitszeiten durch Homeoffice die Effizienz der Arbeitsergebnisse nicht beeinträchtigten. Studenten sollten sich auch in Zukunft die Arbeitszeiten einteilen können, zum Beispiel, indem sie einfach ein bestimmtes Arbeitsergebnis erzielen sollen. Unternehmen sollten trotz Krise ein Netzwerk mit den Studenten aufbauen. Infolge des demographischen Wandels würden diese in wenigen Jahren schon dringend als Arbeitskräfte gebraucht – bis 2030 werden in Deutschland acht Millionen Menschen aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Bereits im kommenden Jahr rechnet der Experte mit 30 Prozent mehr Jobs auf dem studentischen Arbeitsmarkt.


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Die Vergütung ist trotz Krise übrigens stabil geblieben. Die Durchschnittslöhne, die im Vorjahr bei 11,58 Euro pro Stunde gelegen haben, sind nach Angaben einer Studie von Studitemps und der Maastrichter Universität am Anfang der Coronaphase sogar gestiegen. Solange an den Unis keine Präsenzveranstaltungen abgehalten werden, können Studenten außerdem zeitweise an ihrem Arbeitsort wohnen. Zusätzlich bieten einige Nebenjobs Homeoffice an. Manche Tätigkeiten sind durch die vielen digitalen Möglichkeiten sogar abwechslungsreicher geworden.

Und noch etwas ändert sich auf dem studentischen Arbeitsmarkt durch die Coronapandemie: Weil Flexibilität, Fahrtwege, Gehalt und Abwechslung bei vielen Studentenjobs nicht mehr die Hauptprobleme darstellen, konzentrieren sich die angehenden Fachkräfte bei ihrer Jobwahl auf den Aspekt, den sie vorher manchmal hintanstellen mussten. Wer kann, sucht sich einen Job, der inhaltlich zum Studiengang passt. Fachfremde Nebenjobs seinen für Studierenden zuvor eher eine Notlösung gewesen, die aber zumindest in den Terminkalender gepasst hätten, sagt Köhn. Zwei von drei Studierenden können sich inzwischen vorstellen, nach dem Studienabschluss in dem Unternehmen des Nebenjobs zu arbeiten, wie die Studie belegt. Allerdings dann in einer anderen Position.

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