Wie berechne ich den elektrischen Widerstand? Was brauche ich, um ein Magnetfeld zu erzeugen? Und was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer konvexen und einer bikonvexen Linse? Während viele ihrer Klassenkameraden ratlos in die Luft starrten, konnte Kathrin Isella die Fragen ihres Physiklehrers meist ohne Probleme beantworten. Schon während ihrer Schulzeit begeisterte sie sich mehr für kinetische Energie und Lichtgeschwindigkeit als für den 30-jährigen Krieg oder die Deklination lateinischer Vokabeln. Was die gebürtige Karlsruherin damals nicht ahnte: Diese Vorliebe würde ihr mal bares Geld einbringen.
Sie wählte Mathematik und Physik am Gymnasium als Leistungskurse, begann nach dem Abitur im Jahr 2006 an der Universität Stuttgart Maschinenbau zu studieren. „Entscheidend für die Wahl des Studiengangs war mein ausgeprägtes Technikinteresse“, sagt die heute 27-Jährige.
Aber auch die guten Jobaussichten lockten und motivierten sie, wenn das Studium besonders hart war.
Nach ihrem Abschluss im Frühjahr 2012 merkte Isella schnell, wie begehrt sie als Diplom-Ingenieurin am Arbeitsmarkt war. Zwischen vier Stellenangeboten konnte sich die Hochschulabsolventin entscheiden. Ein Luxus, von dem Geistes- und Sozialwissenschaftler meist nur träumen können. Isella entschied sich für Bosch in Reutlingen.
Zum einen wegen der Stelle: Das Technologieunternehmen bot ihr einen Job in der Entwicklungsabteilung an. Dort beschäftigt sie sich bis heute mit Sensoren für ESP-Systeme, die verhindern sollen, dass Autos ins Schleudern geraten. „Diese neuen Technologien mitzugestalten ist für mich sehr spannend“, sagt Isella. Aber die Inhalte haben nicht alleine den Ausschlag gegeben: „Natürlich hat auch das Einstiegsgehalt bei der Wahl meines Arbeitgebers eine Rolle gespielt.“
Berufsanfänger mit einem Hochschulabschluss verdienen beim schwäbischen Unternehmen zwischen 40.000 und 50.000 Euro pro Jahr. Außerdem ist für die meisten Urlaubs- und Weihnachtsgeld üblich. Je nach Unternehmensergebnis kommt eine Erfolgsprämie hinzu, ebenso ein variabler Vergütungsanteil, dessen Höhe davon abhängt, ob ein Arbeitnehmer seine persönlichen Ziele in den vergangenen zwölf Monaten erreicht hat.
Ingenieure feilschen nicht
Dass Isella schon zum Berufseinstieg ein solch komfortables Gehalt kassiert, hat auch mit ihrem Bildungsweg zu tun: Arbeitnehmer mit abgeschlossenem Studium erreichen im Verlauf ihres Erwerbslebens in der Regel ein wesentlich höheres Entgelt als solche mit einer Berufsausbildung – laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung liegt die Differenz bei etwa einer Million Euro.
Die Ingenieure können schon direkt nach dem Studium ordentlich verdienen. 49.576 Euro erhalten Absolventen von Fächern wie Elektrotechnik, Maschinenbau oder Bauingenieurwesen durchschnittlich während ihrer ersten beiden Berufsjahre – damit liegen sie an der Spitze bei den Einsteigern, konnten in diesem Jahr sogar die traditionell gut bezahlten Mediziner überholen (siehe Bildergalerie oben).
Welche Branchen zahlen am besten?
Der Grund: „Ingenieure feilschen zwar nicht um jeden Euro“, sagt Tim Böger, Geschäftsführer der Vergütungsberatung Personalmarkt. Aber ihre angestammten Branchen entwickelten sich derzeit besser als der Rest, der Fachkräftemangel tue sein Übriges. „Die Einkünfte der Ingenieure werden automatisch nach oben gespült.“
Diese erfreuliche Nachricht für junge Ingenieure ist nur ein Ergebnis des großen Gehaltstests, den die Hamburger Vergütungsberatung Personalmarkt exklusiv für die WirtschaftsWoche erstellt hat. Die Studie vergleicht die Einkommen von 24 Berufen aus 23 Branchen – vom Bilanzbuchhalter im Energiesektor über den Personalleiter in der Automobilindustrie bis hin zum Geschäftsführer einer Versicherung. Für die Erhebung haben die Experten 206.000 Datensätze ausgewertet – 188.000 von einfachen Mitarbeitern, knapp 18.000 von Führungskräften.
Dabei beleuchteten sie folgende Fragen: Welche Branchen zahlen am besten? Um wie viel sind die Gehälter in den vergangenen Jahren gestiegen? In welchen Regionen Deutschlands verdienen Arbeitnehmer am meisten? Mit wie viel Bonuszahlungen können Fach- und Führungskräfte im Moment rechnen? Und vor allem: Wie hoch liegen die branchenüblichen Entgelte?
Eine Frage, die jeden interessiert, aber oftmals kaum zu beantworten ist. Denn das eigene Gehalt ist in Deutschland immer noch ein Tabuthema – Vergleiche mit den Kollegen somit schwierig. Laut einer Umfrage der Online-Stellenbörse Stepstone sprechen nur 16 Prozent der Arbeitnehmer offen über ihre Einkommen. Der Rest vertraut sich allenfalls engen Freunden oder seinen Verwandten an.
Ob verschwiegen oder offenherzig, 2014 sieht es in Sachen Gehalt gut aus: „Die meisten Arbeitnehmer können in diesem Jahr mit mehr Geld rechnen“, sagt Böger. Im Durchschnitt soll laut Personalmarkt ein Plus von 2,5 Prozent drin sein. Die Unternehmensberatung Hay Group rechnet in Deutschland gar mit drei Prozent mehr auf dem Lohnzettel.
Am besten kommen laut Personalmarkt-Prognose Führungskräfte weg. Ihr Gehalt könnte 2014 im Schnitt um 3,7 Prozent auf 100.605 Euro steigen. Bei den Fachkräften hält die Vergütungsberatung ein Plus von 1,9 Prozent auf 54.265 Euro für möglich. Einsteiger könnten durchschnittlich 1,8 Prozent mehr verdienen und kämen dann auf 44.131 Euro (siehe Grafik oben). So lauten zumindest die Zahlen für Unternehmen mit 100 bis 1.000 Mitarbeitern. Bei kleineren Betrieben dürfte das absolute Gehalt niedriger ausfallen, bei großen Konzernen höher.
Doch nicht nur die Größe eines Unternehmens bestimmt darüber, ob Sie am Monatsende ein paar Hundert Euros mehr oder weniger in der Tasche haben. Auch zwischen den verschiedenen Branchen bestehen zum Teil erhebliche Unterschiede. Verdient ein Einkäufer eines Biotech-Unternehmens gut 62.000 Euro, muss er sich in der Tourismusbranche schon mit etwa 34.000 Euro zufriedengeben. Zahlen Maschinenbauer ihren Personalreferenten durchschnittlich 67.600 Euro, sind es in der Logistikbranche gerade mal 50.600 Euro. Mit den höchsten Einkünften locken im Branchenvergleich Pharmakonzerne, Unternehmensberatungen und Banken (siehe Bildergalerie oben).
Boni trotz Verlusten
Gerade die Geldhäuser sorgen mit ihren üppigen Gehältern immer wieder für Verwunderung. „Eigentlich wäre es logisch, wenn sie sich nach der Finanzkrise mit hohen Salären und Bonuszahlungen zurückgehalten hätten“, sagt Böger. Aber Fehlanzeige: Die Commerzbank zum Beispiel geriet Mitte Februar in die Schlagzeilen, als sie an ihre Mitarbeiter mehr Boni ausschüttete, als sie im Geschäftsjahr 2013 an Gewinn eingefahren hatte. Und das, obwohl der deutsche Staat immer noch größter Anteilseigner ist. Und die britische Bank Barclays will 2014 bis zu 12.000 Stellen streichen, erhöhte gleichzeitig aber die Bonuszahlungen für ihre Investmentbanker.
Zu den Gewinnern zählen derzeit auch Angestellte im Maschinenbau, der Automobilindustrie und der Chemiebranche. Im Februar konnte die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie 3,7 Prozent mehr Lohn für eine halbe Million Beschäftigte aushandeln.
Aber auch außertariflich eingestufte Mitarbeiter in der Chemieindustrie haben nur selten Grund zur Klage – so wie Christian Meermann. Der 34-Jährige arbeitet als Marketingmanager in der Europazentrale des US-Chemiekonzerns Celanese in Sulzbach nahe Frankfurt.
Schrittweise mehr Gehalt
Meermann, promovierter Chemiker, stieg vor viereinhalb Jahren bei seinem heutigen Arbeitgeber im Forschungslabor in Oberhausen ein. Heute beurteilt er das Marktpotenzial für einen speziellen Hochleistungskunststoff in den verschiedenen Regionen rund um den Globus. Das Material ist vielseitig einsetzbar, wird in Medizintechnik verbaut, für Filteranlagen oder Schreibspitzen von Textmarkern verwandt. Meermann spricht mit bestehenden und potenziellen Kunden überall auf der Welt über ihre Erwartungen an den Kunststoff, über die benötigte Materialmenge und natürlich darüber, wozu das Produkt verarbeitet werden soll.
Schon im Vorstellungsgespräch zu seinem ersten Job bei Celanese hat Meermann seine Gehaltsvorstellung kommuniziert. „Wir sind uns schnell einig geworden“, sagt der gebürtige Münchner. Sein erster Verdienst orientierte sich am Tarifgehalt für promovierte Chemiker. Mit jedem der drei internen Positionswechsel stieg sein Gehalt. Heute stehen am Ende des Jahres 80.000 Euro auf seiner Abrechnung. Und sein Einkommen könnte weiter steigen, verdienen Marketingmanager bei Celanese doch je nach Berufserfahrung und Verantwortungsbereich zwischen 70.000 und 100.000 Euro.
Wer zum Beispiel Budget oder Personal verantwortet, treibt sein Einkommen nach oben. Laut dem aktuellen Gehaltsreport der Stellenbörse Stepstone erhalten Angestellte mit direkten Untergebenen im Schnitt 13 000 Euro mehr als jemand, der keine Mitarbeiter führt.
Die Basisgehälter bei Celanese sind im vergangenen Jahr auch deshalb gestiegen, weil der Chemiekonzern Bonuszahlungen an seine deutschlandweit 1600 Mitarbeiter fast komplett gekappt und über höhere Fixgehälter ausgeglichen hat. Boni gibt es seitdem nur noch für das obere Management.
Variable Gehaltsanteile nehmen ab
Verdienst
Der Grund für diesen Schritt: Das Unternehmen hielt die Risikoverteilung für unfair. Wirtschaftlich schlechte Zeiten wirkten sich oftmals auf die Geldbeutel derjenigen aus, die am wenigsten für sinkende Umsätze und rückläufige Gewinne konnten. Auch Manager Meermann befürwortet diesen Schritt, denn: „Ich weiß genau, mit wie viel Geld ich pro Jahr rechnen kann“, sagt er. „So kann ich meine privaten Ausgaben besser planen.“
Damit liegen er und sein Arbeitgeber voll im Trend. Der variable Gehaltsanteil hat in den vergangenen Jahren abgenommen, so das Ergebnis des WirtschaftsWoche-Gehaltstests (siehe Grafik unten).
„Weil in der Finanzkrise ab 2008 die Erfolgsprämien eingebrochen sind“, erklärt Vergütungsexperte Böger die Entwicklung, „war es schwierig, Mitarbeiter über Boni zu motivieren.“
Sie haben in den vergangenen Jahren zugunsten der Fixgehälter nachgegeben – das gilt sowohl für Top-Positionen als auch für Fachkräfte.
Auf europäischen Chefetagen hat ebenfalls ein Umdenken stattgefunden. Zu dieser Erkenntnis kommt eine Studie der Hay Group, die die Gehaltsstrukturen auf Vorstandsebene untersucht hat. Zentrales Ergebnis: Bonuszahlungen, die an langfristige Ziele gekoppelt sind, nehmen in Europa zu. 84 Prozent der Unternehmen bieten mittlerweile solche Prämien an. Im Vorjahr waren es noch 78 Prozent. „Langfristige Boni sind eine gute Möglichkeit, die Grundgehälter moderat zu halten und trotzdem für hervorragende Mitarbeiter attraktiv zu bleiben“, sagt William Eggers, Gehaltsexperte der Hay Group. Diese Vergütungspraxis sei auf die stärkere nationale und europäische Regulierung von Vorstandsgehältern und Bonuszahlungen zurückzuführen.
So hat die Europäische Union etwa beschlossen, ab dem laufenden Jahr die Sonderzahlungen für Banker zu deckeln. Die Boni dürfen in der Bundesrepublik maximal so hoch liegen wie das Grundgehalt. Nur mit Zustimmung der Anteilseigner kann die Prämie auf das Doppelte des Basisgehalts ansteigen.
Nur eine nette Geste
Außerdem legt in Deutschland die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex Regeln für korrekte Vergütung in börsennotierten Unternehmen fest. Erst im vergangenen Mai kamen neue Standards hinzu. So sollen Aufsichtsräte beispielsweise Höchstbeträge für die Vorstandsvergütung sowie deren variable Gehaltsanteile beschließen. Empfehlungen, an die sich viele Dax-Konzerne halten.
ThyssenKrupp zum Beispiel begrenzt die Gehälter seiner Vorstände auf vier Millionen Euro. CEO Heinrich Hiesinger könnte das Doppelte verdienen – in der aktuellen Situation des Konzerns ist das jedoch utopisch. Auch andere Dax-Schwergewichte wie Siemens, Bayer oder Daimler haben sich schon zu den neuen Regeln der Regierungskommission bekannt.
Überarbeitete Vergütungspraxis
Der strauchelnde Energieversorger RWE hat seine Vergütungspraxis ebenfalls überarbeitet. Ab diesem Geschäftsjahr soll der Verschuldungsgrad in die Berechnung des variablen Gehalts einfließen. Außerdem verzichtet RWE-Chef Peter Terium wegen des Milliardenverlusts auf 200.000 Euro – angesichts eines Gesamteinkommens von 4,4 Millionen Euro allerdings nicht mehr als eine nette Geste.
Weiter geht Virginia Rometty. Die Vorstandsvorsitzende von IBM und andere Top-Führungskräfte des US-amerikanischen IT-Konzerns hatten wegen des schwächelnden Geschäfts auf jegliche Sonderzahlungen verzichtet. 2012 lag ihr reiner Bonus immerhin bei knapp drei Millionen Euro.
Sturm der Entrüstung
Kommt ein bescheidener Chef in der Regel bei der Belegschaft und in der Öffentlichkeit gut an, erlebte der Autokonzern General Motors (GM) kürzlich einen Sturm der Entrüstung wegen eines vermeintlich zu niedrigen Vorstandsgehalts. Kurzzeitig hatte es geheißen, dass die neue GM-Chefin Mary Barra weniger verdiene als ihr Vorgänger Daniel Akerson. Das Gerücht hatte sich verbreitet, da zunächst nur ein Teil ihres gesamten Gehalts bekannt geworden war. Richtig ist: Barra bezieht etwa 1,1 Millionen Euro Festgehalt. Mit allen variablen Anteilen dürfte sie 2014 auf umgerechnet 10,6 Millionen Euro kommen. Das sind 60 Prozent mehr als Akerson.
Was in den Führungsetagen der Vereinigten Staaten also schon möglich ist, scheint in deutschen Büros immer noch die Ausnahme. Frauen verdienen zwischen Flensburg und Passau in der Regel für die gleiche Arbeit weniger als Männer in vergleichbaren Positionen.
Laut Gehaltstest konnten sie nur in drei Funktionen – Leiterin Finanz- und Rechnungswesen, Außendienst- und Marketingmitarbeiter – aufschließen. Vergütungsexperte Böger sieht den Kern für diese Ungleichheit nach wie vor in „der weiblichen Zurückhaltung bei den Gehaltsverhandlungen“.
Ingenieurin Isella muss sich um dieses leidige Thema nicht kümmern. Sie wird bei Bosch nach Tarifvertrag bezahlt. Und sollte doch mal ein Gehaltsgespräch anstehen, sieht sie darin grundsätzlich „kein Problem“. Vor ihrer ersten Verhandlung ums Geld ist ihr ebenso wenig bange wie vor den Fragen des Physiklehrers.
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