Ist der Ruf erst ruiniert ... Lieber eine Lücke im Lebenslauf als Wirecard

Ex-Mitarbeiter von Skandalunternehmen werden auf dem Arbeitsmarkt geschmäht. Quelle: Sébastien Thibault

Frühere Mitarbeiter von Wirecard erleben es gerade am eigenen Leib: Eine Skandalfirma im Lebenslauf ist Gift für die Karriere. Arbeitnehmer müssen lernen, wie sie ihr Image pflegen können.

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Die Karriere von Reinhard Wetter zerbricht an einem Wintermorgen. Schnee fällt in kleinen Flocken vom Himmel, als eine Heerschar Polizisten vor einer Jugendstilvilla im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen hält. Hier residiert die Firmengruppe S&K. Wetter, der eigentlich anders heißt, hat als Vertreter S&K-Immobilienfonds verkauft. Die Firmengründer, so der Verdacht der Ermittler, sollen mit rund 240 Millionen Euro Anlegergeld nicht nur in Immobilien, sondern auch in ihr persönliches Luxusleben investiert haben.

Der Wintertag im Jahr 2013 lässt nicht nur die Machenschaften der S&K-Chefs auffliegen, die in Untersuchungshaft kommen und schließlich 2017 zu jeweils achteinhalb Jahren Haft verurteilt werden. Er hinterlässt auch tiefe Spuren im Leben von Mitarbeitern wie Reinhard Wetter. Sie verlieren ihren Arbeitsplatz und, fast noch schlimmer, ihren guten Ruf. Die Episode S&K in ihren Lebensläufen liest sich wie der Verdacht, ein Verbrecher zu sein oder zumindest von den Straftaten gewusst zu haben. Viele von Wetters früheren Kollegen haben auf ihren Xing-Profilen den Namen ihres Exarbeitgebers gelöscht. Jahrelang habe sie wegen zweier Buchstaben keinen Job gefunden, berichtet eine ehemalige Mitarbeiterin. „Mein persönlicher Imageverlust war riesig“, bestätigt Wetter, „in der Finanzbranche konnte ich nicht mehr arbeiten.“

Die Wirtschaftswelt ist voller Skandale und Eskapaden. Den jüngsten Beleg dafür brachte der Fall Wirecard: Das Unternehmen, das lange Zeit von Aktionären wie Politikern gefeiert wurde, konnte selbst nach langen Verzögerungen keine Nachweise für längst verbuchte Umsätze in Milliardenhöhe liefern. Mittlerweile ist der einstige Börsenstar insolvent, gegen das Top-Management ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Verdachts auf Bilanzfälschung, Marktmanipulation und Betrug.

Es dauert kaum länger, eine Liste bekannter Firmennamen zusammenzutragen, die in ähnlicher Art Kunden, Konkurrenten oder den Staat geschädigt haben – und die dafür am Pranger der Öffentlichkeit landeten. Volkswagen und ein großer Teil der deutschen Autoindustrie kämpfen mit der Manipulation von Dieselabgaswerten. Die Commerzbank und andere Geldinstitute brachten sich mit Cum-Ex- und Cum-Cum-Steuertricks in Verruf. Die Pleitebank Lehman Brothers gilt als Inbegriff der Finanzkrise. 

Für die Firmen bedeuten diese Skandale, dass Regulierungen verschärft und Strafzahlungen verhängt werden, dass einige Firmen gar um ihre Existenz kämpfen müssen. Doch auch die Karrieren der Mitarbeiter sind gefährdet. Wer einmal unter einem korrupten Chef gedient oder an einer betrügerischen Organisation beteiligt war, kann dadurch stigmatisiert werden – auch wenn er selbst keine Schuld auf sich geladen hat. Markus Braun, der als Vorstandsvorsitzender den Skandal bei Wirecard maßgeblich mitzuverantworten hatte, weist im Karrierenetzwerk LinkedIn noch stolz auf seine 18 Jahre im Unternehmen hin. Von Mitarbeitern, die niedriger in der Hierarchie angesiedelt waren, hört man eher das Gegenteil. Sie löschen ihre Zeit beim Unternehmen aus dem Profil, nach dem Motto: Lieber eine Lücke als Wirecard im Lebenslauf.

Neue Studien zeigen, warum der gute Ruf so wichtig ist. Was passiert, wenn er ruiniert ist. Und wie man sein angekratztes Ansehen wieder aufpolieren kann. Dazu muss man zunächst den Wert eines guten Leumunds verstehen. Und wie rasant dieser Wert gestiegen ist, seit der gesamte professionelle und private Werdegang in Internetportalen einsehbar ist. „Soziale Informationen über uns gibt es mittlerweile zuhauf“, sagt die Philosophin Gloria Origgi, „Menschen müssen realisieren, dass sie dieses symbolische Kapital überhaupt haben, und lernen, es zu nutzen.“

Origgi ist Forschungsdirektorin am französischen Institut Jean Nicod und lehrt an der EHESS, einer Pariser Elitehochschule für Sozialwissenschaften. In ihrem aktuellen Buch „Reputation“ geht sie der Frage nach, wie ein guter oder schlechter Ruf entsteht und warum er in vielen Lebensbereichen eine so bedeutende Rolle spielt. Sie empfiehlt eine bewusstere Beschäftigung mit dem Thema Reputation. Dazu gehöre auch, dass man sich nicht nur als Mensch mit einem fremdbestimmten Lebenslauf begreife, sondern sich Arbeitgeber auch nach deren Ruf aussuche. Jeder Mensch werde so zu einer kleinen Marke. „Zu welchem Arbeitgeber man geht“, so Origgi, „wird damit zu einer Frage der persönlichen Markenführung.“

Für die Philosophin umgibt die Reputation jeden Menschen wie eine Blase. Darin schweben Dinge, die eine Person aus sich selbst heraus definieren: der Charakter, die Bildung oder das Verhalten. Die Blase ist aber auch für Einflüsse von außen offen. Mit jeder Interaktion können sich neue Eigenschaften an das eigene Ansehen heften. Durch Freunde oder Verwandte, durch den Sportverein oder die Partei. „Reputation färbt ab“, sagt Origgi, „sie geht vom Kollektiv auf das Individuum über.“ In Bezug auf die Berufswahl heißt das: Der Arbeitgeber formt immer auch den Ruf seiner Angestellten. Im Guten wie im Schlechten. „Eine skandalgebeutelte Firma zu verlassen macht einen nicht völlig frei von ihrem Makel“, so die Philosophin. Das gelte auch dann, wenn man selbst keine Verantwortung getragen habe.

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Ronald May kennt diese Wirkung aus seinem Netzwerk. Er ist Gründer und Geschäftsführer der Personalberatung FMT International und sucht Kandidaten für Spitzenpositionen in Unternehmen, insbesondere der Automobilindustrie. „Es reicht der Verdacht, etwas von einem Skandal gewusst zu haben, um den Ruf zu beschädigen“, sagt May. Grund dafür sei auch eine neue Transparenz, die überhaupt erst die Bedingungen dafür schaffe, dass so viele Skandale an die Öffentlichkeit gelangten. Früher hätte man auch mal Stillschweigen über die Probleme der Vergangenheit vereinbart oder, falls das nicht möglich war, zumindest gehofft, Teile der Arbeitsbiografie verstecken zu können. Heute sorgen die digitalen Gedächtnisse von Google und Facebook dafür, dass man ein lückenlos durchsichtiger Kandidat ist.

Dennoch: „Wird man mit einem Skandal in Verbindung gebracht, ist die Karriere nicht hoffnungslos gescheitert“, sagt May, „man muss aber vielleicht ein, zwei Schritte zurückgehen, um neu anzugreifen.“ Heißt konkret: Der frühere Bereichsvorstand eines Großkonzerns bekommt bei einem Mittelständler erst mal nur einen Posten unterhalb der Vorstandsebene. „Das hat natürlich Einschnitte beim Gehalt zur Folge“, sagt May.

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