Kampf um Arbeitskräfte Schwierige Personalsuche in China

Unternehmen, die nach China drängen, fehlt es an qualifiziertem Personal. Der Kampf um Arbeitskräfte ist hart, Firmen müssen sich einiges einfallen lassen.

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Jobbörse in China Quelle: rtr

Breite, sechsspurige Boulevards durchziehen den Wuqing-Industriepark gut eine Autostunde südöstlich von Peking. Links und rechts der frisch geteerten Straßen wühlen sich Bagger und Planierraupen durch die rötlich-gelbe Erde und schaffen Platz für immer neue Fabrikhallen. Ein Stück weiter sind Arbeiter damit beschäftigt, ein komplettes Dorf abzureißen. Schon bald werden hier Unternehmen aus dem Ausland ihre Produktionshallen eröffnen. Der Wuqing-Industriepark in der Nähe der Hafenstadt Tianjin ist auch bei deutschen Mittelständlern eine gefragte Adresse.

„Die Lage zwischen der Hauptstadt Peking und der Hafenstadt Tianjin ist ideal“, sagt Jürgen Siemund, Geschäftsführer bei Wago, einem Hersteller von Schaltern und Steckverbindungen aus dem ostwestfälischen Minden. Schon vor einem Jahr hat der Deutsche das Wago-Werk in Wuqing eröffnet und beschäftigt dort 600 Mitarbeiter. Im vergangenen Jahr hat Siemund 150 neue Leute eingestellt. Das China-Geschäft des Mittelständlers, der weltweit 4400 Mitarbeiter beschäftigt, brummt. Um 40 Prozent auf 25 Millionen Euro stieg der Umsatz bei Wago in China im vergangenen Jahr.

Siemund könnte zufrieden sein, wäre da nicht das Problem mit dem Personal. „Einfache Arbeiter für die Fabrik zu finden ist kein Problem“, sagt der Deutsche und deutet in die Produktionshalle. In langen Reihen sitzen dort etwa 150 junge Frauen in weißen Kitteln an Tischen und bauen Steckverbindungen zusammen, mit denen Elektrokabel etwa in Schaltkästen von Aufzügen zusammengehalten werden.

„Wenn wir aber Facharbeiter mit zumindest grundlegendem technischem Verständnis suchen, wird es ganz schwierig“, klagt Siemund. Vor einiger Zeit hat der Wago-Geschäftsführer beispielsweise einen studierten Ingenieur zum Vorstellungsgespräch eingeladen und ihm einen Schaltplan einer einfachen elektrischen Anlage gezeigt – der Bewerber hielt das Ganze für eine Anfahrtskizze.

So wie dem Mindener Mittelständler geht es in China fast allen der mehr als 3000 kleinen und mittleren Unternehmen aus Deutschland: Sobald die Unternehmen nicht bloß einfache Arbeiter, sondern Fachkräfte anheuern wollen, wird es schwierig. Der Markt für Fachkräfte ist in China leer gefegt. Junge Chinesen gehen im Zweifelsfall lieber zu klangvollen Namen wie Siemens oder Daimler. Die Mittelständler müssen sich gewaltig anstrengen, um noch qualifiziertes Personal abzubekommen: Mit leistungsbezogenen Boni allein ist es nicht getan. Der Schraubenhersteller Würth, im baden-württembergischen Künzelsau beheimatet, organisiert in China Betriebsausflüge mit der ganzen Familie und bietet – wie andere deutsche Mittelständler auch – ein eigenes Ausbildungsprogramm.

„Vor allem Mitarbeiter mit technischem Verständnis und Verkaufskompetenzen sind in China Mangelware“, sagt Heino Dannemann, bei Würth in China für die Personalentwicklung verantwortlich. Darüber hinaus herrsche großer Mangel bei Facharbeitern und Kandidaten für den Bereich Finanzen. Derzeit beschäftigen die 21 Würth-Gesellschaften in China etwa 6000 Mitarbeiter, schon in wenigen Jahren soll die Zahl auf 7000 steigen. Allein im vergangenen Jahr haben die Deutschen 300 neue Arbeiter und Angestellte eingestellt.

„Die Personalknappheit ist ein Problem für das gesamte Geschäft der Unternehmen“, sagt Ulf Bosch, Senior Manager der Beratungsgesellschaft Watson Wyatt in Shanghai. Viele kleine und mittlere Firmen können inzwischen in China nicht mehr weiter expandieren, weil ihnen die geeigneten Mitarbeiter fehlen. Bei einschlägigen Umfragen der Branchenverbände und Auslandshandelskammern geben die Unternehmen stets an, die Personalknappheit sei das größte Hindernis beim Ausbau des China-Geschäfts.

In einer Studie der Europäischen Handelskammer in China und der Unternehmensberatung Roland Berger aus dem vergangenen Jahr gaben 86 Prozent der befragten Unternehmen an, die Suche nach Mitarbeitern für Managementpositionen sei schwieriger als im Jahr zuvor. Für 61 Prozent der Unternehmen sei es schwieriger, Mitarbeiter fürs Marketing zu finden, als im Vorjahr, für 59 Prozent der Firmen hat sich im Vergleich zu 2006 die Suche nach Ingenieuren verschärft.

Das knappe Angebot an qualifizierten Arbeitskräften führt inzwischen zu rasch steigenden Gehältern und fast ebenso steigenden Fluktuationsraten. Manche Unternehmen aus Deutschland müssen jedes Jahr 20 Prozent der Stellen von der unteren Managementebene an aufwärts neu besetzen, denn schon für wenige Euro mehr Gehalt wechseln die jungen Leute den Arbeitgeber. Je nach Qualifikation liegen die Gehaltssteigerungen derzeit bei 10 bis 20 Prozent pro Jahr.

Der Chinese Kuang-Hua Lin, Geschäftsführer der Asia-Pacific Management Consulting, empfiehlt Mittelständlern, die in seinem Land investieren, ein Mitarbeiter-Handbuch aufzulegen: „Ein solches Regelwerk nimmt bei chinesischen Mitarbeitern einen hohen Stellenwert ein.“ Dort ist genau festgelegt, ab wie viel Jahren Betriebszugehörigkeit die Angestellten einen Gehaltsaufschlag und zusätzliche Urlaubstage bekommen und welche Ansprüche die Beschäftigten an Sozialleistungen und Weiterbildung haben.

Bei Würth in China liegt das Gehalt über dem Branchendurchschnitt. Darüber hinaus gibt es leistungsbezogene Boni. Doch am wichtigsten: Das Unternehmen hat eine Kultur geschaffen, bei der die Familien der Angestellten einbezogen werden. Mal ein gemeinsamer Ausflug mit den Familien am Wochenende oder ein Besuch des Vorgesetzten zu Hause bei der Geburt eines Kindes: „Gerade Mittelständler, die nicht mit einem bekannten Namen wuchern können, müssen zu solchen Mitteln greifen, um gute Mitarbeiter langfristig zu binden“, so Watson-Wyatt-Berater Bosch.

Vor allem bei Führungspositionen schwindet Chinas einstiger Kostenvorteil gegenüber dem Westen rapide. Ein chinesischer Finanzchef etwa verdient zwischen 50 000 und 60 000 Euro im Jahr. Dazu kommen eine Gewinnbeteiligung, ein Firmenwagen sowie Krankenversicherung für die Familie. Und wer verhindern will, dass der lang gesuchte Top-Manager schon nach wenigen Monaten zu einem Konkurrenten wechselt, muss sich darauf einstellen, sein Gehalt um 20 bis 30 Prozent zu erhöhen, hat Gudrun Seitz vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) in Peking beobachtet.

Schwierige Suche

Doch auch einige Ebenen darunter gehört der regelmäßige Jobwechsel fast schon zum guten Ton. Wendy Wang, 24, gehört zur Generation der Aufsteiger in China. In knallenger roter Lederjacke und knappen Jeans sitzt die Chinesin im Pekinger Noble Club und plaudert selbstbewusst über ihre Karriere. Vier Jahre Germanistik hat Wang studiert und spricht nahezu akzentfrei Deutsch, und das obwohl sie nie in Deutschland war. „Das habe ich durch die Konversationsübungen mit meiner Deutschlehrerin gelernt“, sagt sie.

Nach dem Abschluss an der Beijing Foreign Studies University im Sommer 2006 hat Wang für ein kleines deutsches Handelsunternehmen gearbeitet. Schwerpunkt: Import und Export zwischen Deutschland und China. Schon nach wenigen Monaten bekam sie ein Angebot des französischen Telekomausrüsters Alstom, nachdem sie sich auf einem Jobportal registriert hatte. „Mich hat vor allem der bekannte Name gereizt“, erklärt Wang ihren Jobwechsel. Prestige und Status spielen in der chinesischen Jobwelt eine wichtige Rolle.

Doch auch bei Alstom, wo sie hauptsächlich bei Verhandlungen gedolmetscht hat, war für Wang schon nach wenigen Monaten wieder Schluss. Dieses Mal war es das Geld, das sie dazu bewegte, den Arbeitgeber zu wechseln. Seit Sommer vergangenen Jahres arbeitet Wang bei einem chinesischen Handelshaus, das sich wie ihr erster Arbeitgeber auf Import und Export zwischen Europa und China spezialisiert hat. Der Boss hatte ihr umgerechnet 50 Euro mehr geboten, da musste Wang nicht lange überlegen. „Junge Leute mit exzellenten Sprachkenntnissen gehören in China zu einer ganz kleinen Minderheit“, sagt Bosch, und vor allem kleine Unternehmen mit unbekanntem Namen hätten große Probleme, diese zu rekrutieren und zu halten.

Ursache des Fachkräftemangels quer durch alle Branchen ist die meist schlechte Ausbildung an Chinas Schulen und Hochschulen. Gelehrt wird fast ausschließlich im Frontalunterricht: Schüler und Studenten wiederholen die vom Lehrer vorgesprochenen Sätze, oftmals ohne sie zu verstehen. Zu Hause lernen sie sie dann auswendig, ebenfalls meist ohne den Inhalt zu verstehen.

Doch nicht nur bei der Sprachausbildung, auch bei der Vermittlung technischer und naturwissenschaftlicher Kenntnisse haben Chinas Hochschulen enormen Nachholbedarf. Meist fehlt es den Lehrern an der richtigen Qualifikation, und auch die technische Ausstattung an den Hochschulen ist trotz punktueller Verbesserungsversuche immer noch veraltet.

Auch in puncto Arbeitsauffassung tun sich beim chinesischen Nachwuchs große Lücken auf. Anders als Inder, die selbstständig an Lösungen für Probleme tüfteln, erledigen chinesische Mitarbeiter meist nur exakt das, was der Chef ihnen aufträgt. „Eigeninitiative und Selbstständigkeit sind bei vielen chinesischen Mitarbeitern nicht vorhanden“, sagt Bosch. Von den 400.000 Ingenieuren, die Chinas Hochschulen jedes Jahr verlassen, sind bestenfalls zehn Prozent für eine Tätigkeit in einem ausländischen Unternehmen geeignet, sagen Personalberater. Und selbst die müssen die Unternehmen erst anlernen. „Die laufen einige Jahre erst mal nur mit“, sagt VDMA-Repräsentantin Seitz – und verursachen Kosten.

Ein deutscher Mechatroniker mit dreijähriger Ausbildung, der über mechanische und elektrotechnische Kenntnisse verfügt, stellt einen chinesischen Ingenieur mit Hochschulabschluss problemlos in den Schatten. Bezeichnend: Von den vier Millionen Absolventen, die 2007 an Chinas Hochschulen einen Abschluss gemacht haben, sind immer noch mehr als 30 Prozent arbeitslos, und das trotz extremer Personalknappheit. Chinas Bildungssystem produziert trotz aller Reformanstrengungen in großem Stil am Markt vorbei. „Es gibt unter den Hochschulabsolventen eine kleine, gut ausgebildete Spitzengruppe“, sagt Wago-Geschäftsführer Siemund, „aber danach lässt die Qualität sehr schnell nach.“

Praktische Ausbildungsgänge in technischen und handwerklichen Berufen sind in China so gut wie unbekannt. Zwar gibt es mehr als 1000 Berufsschulen, doch deren Ausbildung gilt als mangelhaft. „Die Absolventen der Berufsschulen sind für einen Job in einem ausländischen Unternehmen im Grunde nicht geeignet“, sagt eine deutsche Wirtschaftsvertreterin in Peking.

Doch die chinesische Regierung hat das Problem erkannt und will nun Abhilfe schaffen. Bis zum Jahr 2010 sollen 1,7 Milliarden Dollar in den Ausbau der Berufsschulen investiert werden. In den kommenden Jahren will China 36 Millionen Facharbeiter ausbilden, die die Konkurrenz mit dem Ausland nicht zu scheuen brauchen. Doch so lange wollen die Mittelständler aus Deutschland nicht warten – sie helfen sich immer öfter selbst. Der Schrauben- und Werkzeughersteller Würth hat in China ein Ausbildungsprogramm gestartet. Die Deutschen bilden Chinesen zu sogenannten Schraubenproduktionsspezialisten aus. Potenzielle Führungskräfte schickt Würth zur Weiterbildung nach Deutschland. Die Schäffler-Gruppe, Weltmarktführer bei der Herstellung von Kugel- und Wälzlagern aus der Nähe von Nürnberg, bietet in China jedes Jahr 200 Ausbildungsplätze an. In den beiden Werken in Taicang bei Shanghai bilden die Deutschen Industriemechaniker, Energieelektroniker und Mechatroniker nach den Standards des deutschen dualen Systems aus. Ebenfalls nach deutschen Standards bilden in China Kern-Liebers – ein Hersteller von Stanzteilen – und der Dübelproduzent Fischer aus. Dazu haben die Unternehmen bei Shanghai eigens ein Ausbildungszentrum gegründet, das jedes Jahr 24 Chinesen einen Ausbildungsplatz als Werkzeugmacher anbietet.

Udo Bohdal, Partner bei der Unternehmensberatung Deloitte, der sich seit Jahren mit Personalfragen beschäftigt, hat noch einen weiteren Rat für Mittelständler auf der Suche nach qualifizierten Arbeitskräften: „Sie müssen einfach in Deutschland studierende Chinesen ansprechen.“ Die Austauschstudenten brillieren, so Bohdal, nicht nur durch ein hohes Ausbildungsniveau, sondern bringen auch Sprachkenntnis und Verständnis für beide Kulturen mit. Bei einem Praktikum in den Semesterferien könnten sich Arbeitgeber und Mitarbeiter unverbindlich kennenlernen.

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