Karriere Pfeif auf deinen Lebenslauf!

Papiertonne Quelle: Fotolia

Immer mehr Menschen nehmen ihren Lebenslauf wichtiger als ihr Leben. Sie verbiegen sich, um es potenziellen Arbeitgebern recht zu machen. Diese Rechnung geht nicht auf.

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Die Frage ist unvermeidlich, sie taucht in fast jeder Karriereberatung auf: „Wie wirkt es sich auf meinen Lebenslauf aus?“ Da ist der Uni-Abgänger, der seinen künftigen Lebensort vom Lebenslauf abhängig machen will: Ausland oder Inland, Europa oder Asien? Da ist der Ingenieur, der aufgrund eines Mobbings kurz vor einem Zusammenbruch steht – aber sich fragt, ob sein Lebenslauf eine Kündigung nach nur einem Jahr verträgt. Und da ist die Betriebswirtin von 38 Jahren, die gelesen hat, noch vor dem 40. Lebensjahr müsse eine Beförderung im Lebenslauf stehen – dabei liebt sie ihre Fachaufgabe.

Eine groteske Situation ist entstanden: Nicht das Leben gibt den Lebenslauf vor, sondern umgekehrt; Menschen sind zu Knechten ihres Lebenslaufs geworden. Sie nehmen äußere Erwartungen wichtiger als innere Wünsche. Jede Entscheidung wird durch die Schablone einer Norm gepresst, die eigenen Sehnsüchte bleiben auf der Strecke.

Die Frage lautet nicht: „Was will ich von Herzen?“ Die Frage lautet: „Was wird von mir gewollt?“ Menschen machen sich zu Objekten, ihr Leben ist ausgerichtet auf den Arbeitsmarkt. In vorauseilendem Gehorsam erfüllen sie Anforderungen, die explizit noch gar nicht an sie gestellt wurden. Sie verraten ihre Gegenwart, in der Hoffnung, so ihre Zukunft zu sichern.

Sie gehen ins Ausland, obwohl sie gar nicht ins Ausland wollen – und ihr Privatleben zerbricht dabei. Sie streben in Führungspositionen, obwohl ihnen das Führen keinen Spaß macht – und ihre Arbeitsfreude kommt abhanden. Und sie kündigen ihren Job niemals in den ersten zwei Jahren, weil das schlecht im Lebenslauf aussieht – und brechen gesundheitlich zusammen. Kein Wunder, dass sich das moderne Berufsleben wie ein falscher Film anfühlt und dass laut Gallup-Umfrage von zehn Arbeitnehmern nur einer von sich sagt, er sei so richtig motiviert – während der Rest „Dienst nach Vorschrift“ schiebt oder innerlich gekündigt hat.

Wie kommt es, dass so viele Menschen zu Sklaven ihres Lebenslaufes geworden sind? Die zweifelhaften Anforderungen der Wirtschaft tragen dazu bei. Personalchefs schauen in Lebensläufe wie Wahrsager in die Kristallkugel, und jeder sieht etwas anderes. Wer sich bei einem mittelständischen Traditionsunternehmen bewirbt, kann gute Karten haben, weil er laut Lebenslauf seit zehn Jahren in derselben Firma arbeitet – und damit als „loyal“ und „ausdauernd“ gilt. Dagegen könnten dieselben Dienstjahre von einem jungen Unternehmen als „mangelnde Flexibilität“ gedeutet werden.

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