„Niedrige Werte sind eher ein Hinweis auf ein Unsicherheitsgefühl bezüglich der eigenen Leistungsfähigkeit und Überzeugungskraft, was sich dahingehend äußern kann, dass Aufgaben „lieber nicht“ angegangen werden, die beruflichen Ziele niedrig gesteckt und „gegen alle Erwartungen“ eintretende Erfolge dem Zufall zugeschrieben werden“, heißt es in der Auswertung ihres Testes. Weber kenne ihre Schwächen deutlich besser als ihre Stärken.
Und einen Ratschlag gibt es auch noch für die junge Frau: „Gegebenenfalls ist es hilfreich, wenn Sie andere bitten, Ihnen Ihre Stärken aufzuzeigen, dadurch haben Sie auch Rückmeldung von außen und werden darin bestärkt, an Ihre persönlichen Kompetenzen zu glauben.“ Weber fühlt sich falsch dargestellt.
Bei der Rückmeldung zu Webers Leistungsmotivation heißt es: „Der Wunsch, Aufgaben nicht nur zu erledigen, sondern mit Bravour auszuführen, zeugt von der Motivation, Leistung erbringen zu wollen. [...] Sie beschreiben sich im Test als eine Person, der es nicht so wichtig ist, bei der Bearbeitung von Aufgaben stets eine exzellente Leistung zu erbringen. Sie neigen demnach in geringerem Maße als andere Personen dazu, jede Leistungssituation als Herausforderung zu erleben, bei der Sie Ihre Kompetenzen unter Beweis stellen können und wollen.“
Experten kritisieren Assessment-Center
Das sitzt, Weber ist perplex - und sauer. "Wer sich bei der Bewerbung nur auf einen Psychotest in einem Online-Assessment-Center verlässt, ohne die Bewerber auch nur gesehen zu haben, für den möchte ich nicht arbeiten", sagt sie. Für DHL scheine nach 90 Minuten Online-Assessment-Center festzustehen, wer sich reinkniet und wer nur seine Zeit tot schlägt.
Das Logistik-Unternehmen selbst will "keine Details zur Methodologie unseres Online-Assessment-Prozesses veröffentlichen", wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilt. Individuelle Fälle könne man nicht kommentieren. Mehr, als dass der Bewerbungsprozess "objektiv, fair und durch einen unabhängigen externen Anbieter nach allgemein anerkannten Standards durchgeführt" werde, war DHL nicht zu entlocken.
Webers Vorwurf, falsch eingeschätzt worden zu sein, ist auf den ersten Blick nachvollziehbar. Auch Experten haben keine allzu hohe Meinung von Assessment-Centern. „Kein eignungsdiagnostisches Verfahren hat in den letzten 20 Jahren eine so steile Karriere gemacht wie das Assessment-Center. Doch während Tests und Interviews verbessert wurden, hat das Assessment-Center trotz hohen Aufwands an Qualität verloren: Die Reliabilität ist gering, die Validität hat abgenommen und liegt jetzt unter dem durchschnittlichen Prognosewert einzelner Arbeitsproben und strukturierter Auswahlgespräche“, schrieb beispielsweise Heinz Schuler von der Universität Hohenheim in "Assessment Center zur Potenzialanalyse (Wirtschaftspsychologie)".
Immer seltener seien hochrangige Führungskräfte oder ausgebildeten Experten für die Konzipierung und Auswertung der Aufgaben zuständig. Vielmehr seien die Assessment-Center „Spielwiese für Laien“, weil sich hier Studenten austoben dürfen. „Psychologie-Studenten bekommen in Firmenpraktika immer häufiger den Auftrag, solche Verfahren zu konstruieren", so Schulers Vorwurf.
„Testverfahren müssen wissenschaftlich entwickelt und validiert sein, sie müssen objektiv und zuverlässig sein, also immer genaue und wiederholbare Ergebnisse liefern“ sagt Jürgen Deller. Er ist Professor für Wirtschaftspsychologie am Institut für Strategisches Personalmanagement der Leuphana Universität Lüneburg. Er erlebt häufig, dass aus der Not heraus für die Bewerberauswahl Tests eingesetzt werden, die dafür eigentlich gar nicht konstruiert wurden.
Deshalb rät er Unternehmen dazu, wenn sie schon Assessment Center nutzen - sei es nun online nicht - auf Experten zurückzugreifen, wenn es um den Einsatz von Persönlichkeitstests geht. Das hat DHL offenbar getan - auch wenn die Bewerberin Weber sich falsch dargestellt fühlt.
Der Test, an dem sie teilgenommen hat, stammt von der Eligo Psychologische Personalsoftware GmbH, wie Maren Hiltmann, Managing Consultant bei Eligo bestätigt. Das Unternehmen ist ein Anbieter mit einer guten Reputation, sagt auch Deller. Er kennt sich aus mit den schwarzen Schafen in der Personaldiagnostik und ist überzeugt: Eligo gehört nicht dazu.
Trotzdem: Auch wenn man wie Weber am Test eines seriösen Anbieters teilgenommen hat, kann dem Bewerber seine Selbsteinschätzung um die Ohren fliegen.