Schneller bewerben Warum Personaler keine Anschreiben mehr wollen

In diesem Fall wäre kein Anschreiben wirklich die bessere Lösung. Quelle: imago images

Der einst obligatorische Brief bei der Bewerbung hat für immer mehr Unternehmen ausgedient. Im Extremfall macht er sogar einen schlechten Eindruck. Zwei Personalexperten erklären, warum sie auf Anschreiben verzichten.

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In die Schlagzeilen schaffte es die Deutsche Bahn mit ihrer Ankündigung, künftig von bestimmten Bewerbern keine Anschreiben mehr zu verlangen. Doch eine Reihe von anderen Unternehmen testet die Praxis schon, zum Teil seit Jahren: Die Drogeriemarktkette Rossmann etwa oder das Versandunternehmen Otto. Die Personalchefin von Otto, Sabine Josch, blickt zufrieden auf zwei Jahre ohne Anschreiben zurück und ist von dem Ansatz überzeugt. „Wir wollten es den Bewerbern so bequem wie möglich machen, um Hürden abzubauen“, sagt Josch.

An die Stelle des ungeliebten Briefes sind zwei konkrete Motivationsfragen getreten: „Die erste lautet: Warum ich? Die zweite lautet: Warum will ich diesen Job haben?“, erklärt Josch. Die erste Folge der Umstellung sei gewesen, dass tatsächlich mehr Bewerbungen eingegangen seien. Nichtssagend oder beliebig seien die aber keineswegs gewesen. „Die sind wegen der beiden Motivationsfragen für uns sogar viel aussagekräftiger. Und man kann im Bewerbungsgespräch gezieltere Rückfragen stellen.“

So lautet das Fazit im Hause Otto: „Für uns ist die Rechnung hervorragend aufgegangen, auf das Anschreiben zu verzichten. Statt standardmäßig ausgeschmücktem Brief ist es jetzt kurz und knackig“, schwärmt Josch.

Eine Arbeitsmarktstudie des Personaldienstleisters Robert Half zeigte 2017 bereits, dass immer mehr Personalentscheider Anschreiben für unwichtig halten: 48 Prozent gaben an, diese nicht besonders aussagefähig zu finden, 39 Prozent fanden sie sehr subjektiv und 32 Prozent sahen keinen Mehrwert an Informationen gegenüber dem Lebenslauf. 15 Prozent sagten, sie hätten keine Zeit, Anschreiben zu lesen.

Der Schritt ist auch eine Antwort auf die für Unternehmen schwierige Arbeitsmarktlage. Gutes Personal will heutzutage geradezu in die Unternehmen hineingetragen werden. Nach Einschätzung von Luuk Houtepen, Leiter der Geschäftsfeldentwicklung beim Personaldienstleister SThree, hat sich die Lage von früher komplett ins Gegenteil verkehrt. „Wo es früher fünf Bewerber für eine interessante Stelle gab, sind es jetzt fünf Unternehmen, die einen interessierten Kandidaten ansprechen möchten. Das bringt eine neue Dynamik, wer was machen muss. Man muss es Bewerbern, gerade im hochqualifizierten Segment, so einfach und schön wie möglich machen, sich zu bewerben“, sagt Houtepen.

Auch Sabine Josch bestätigt den Trend: „Es geht darum, jemanden für unser Unternehmen zu begeistern – und dann zu gucken, ob derjenige auch passt.“ Das Anschreiben erfüllt in den Augen von immer mehr Personalern genau diesen Zweck nicht mehr. Im Gegenteil. „Wenn wir ein langes Anschreiben bekommen, ist es tendenziell sogar so, dass wir glauben, die Person habe eine niedrige Kompetenz. Denn sie vermarktet sich klassisch statt modern und braucht viele Worte, um sich darzustellen“, sagt Luuk Houtepen.

Gegen das Motivationsschreiben spricht offenbar nicht nur, dass Bewerber es als den mühsamsten Teil der Bewerbung empfinden – und sich im Zweifel deshalb nicht bewerben. „Anschreiben sind verzichtbar, weil sie eine große Hemmschwelle sind“, sagt Josch. „Wenn zum Beispiel jemand in der Bahn sitzt und denkt: Hey, das ist aber eine tolle Stelle, da will ich mich mal bewerben – der will nicht erst nach Hause fahren, den PC hochfahren, den Lebenslauf aktualisieren und dann die Bewerbung schreiben, die dann in ihrer gestelzten Sprache auch noch wenig aussagt über die Person.“

Wegen der formalen Kriterien des klassischen Anschreibens könne dieses sogar eher im Weg stehen, wenn man die Persönlichkeit hinter einer Bewerbung sucht, meint Sabine Josch. Houtepen sieht das ähnlich: „Wenn sie ein langes Anschreiben erhalten, kommen bei vielen Personalern Zweifel auf, ob der Kandidat oder die Kandidatin wirklich die richtigen Kompetenzen besitzt – nur, weil er oder sie den klassischen Bewerbungsweg gewählt hat und verhältnismäßig viele Worte benötigt, um sich entsprechend zu ‚verkaufen‘.“

Die Devise in immer mehr Unternehmen lautet daher, keine genervten Bewerber zu produzieren, die gezwungenermaßen in einen langwierigen Prozess einsteigen. „Stattdessen sagen wir: Du interessierst Dich für uns? Dann erzähl uns, warum.“, berichtet Sabine Josch von Otto.

Die ersten Rückmeldungen seien durchweg positiv: Die Bewerber sparen zuerst bei der Bewerbung selbst Zeit und müssen dann weniger warten, weil auch die Unternehmen schneller sind bei der Prüfung. Ob die Passgenauigkeit von Unternehmen und Mitarbeiter auf diese Weise gesteigert werden kann, ist dagegen kaum zu messen. „Wir haben aber keinen Anstieg der Kündigungen in der Probezeit“, sagt Sabine Josch. Durchschnittlich blieben Otto-Mitarbeiter rund zwölf Jahre, daran habe sich nichts geändert.

Künstliche Intelligenz im Bewerbungsverfahren sehen beide Personalexperten bislang eher kritisch. „Diese Technologien sind noch nicht so ausgereift, als dass ich sie vollumfänglich einsetzen möchte. Ich glaube, dass in einem Recruiting-Prozess immer die menschliche Einschätzung wichtig sein wird“, sagt Josch. Allerdings könne KI Personal- und Bewerbungsprozesse in Zukunft vereinfachen und beschleunigen.

Houtepen hält es eher mit dem guten alten Personalerhandwerk: „Künstliche Intelligenz, Lebensläufe und Menschen gehen ganz schwer zusammen. Menschen fällen immer noch ganz komplexe, andere Entscheidungen als Maschinen.“

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