„Die Klagen der Bewerberinnen und Bewerber, dass sie keine Rückmeldungen mehr bekommen, die haben schon deutlich zugenommen“, sagt Jürgen Hesse, der mit seinem Büro für Berufsstrategie seit mehr als 25 Jahren zu Bewerbung und Karriere berät. Zwar habe es immer wieder solche Phasen gegeben, wie zur Jahrtausendwende, als die große Internetblase platzte, aber heute sei es nicht einer wirtschaftlichen Krise geschuldet, sondern der Denke von Unternehmen und Personalberatern, immer schneller und effizienter zu arbeiten. „Es war zumindest einmal Standard, eine Eingangsbestätigung zu verschicken, die bekommen Kandidaten heute nur noch in den seltensten Fällen zu sehen“, sagt Hesse.
Ein Paradoxon bei fast Vollbeschäftigung. Schließlich klagen Unternehmen unisono, nicht genügend geeignete Kandidaten zu bekommen und ihre Stellen nicht besetzen zu können. Umgekehrt wollen sich einer aktuellen Studie des Personaldienstleisters Robert Half zufolge immer weniger Bewerberinnen und Bewerber so lange hinhalten lassen – und springen dann auch gern mal im laufenden Verfahren für ein zügigeres Angebot ab.
Dabei scheint die Firmen, die Eingangsbestätigungen wegrationalisiert haben und allenfalls noch Serien-Absage-E-Mails „i.A.“ von den Azubis schreiben lassen, bezüglich der Auswahlverfahren der Optimierungswahn gepackt zu haben: Das herkömmliche Bewerbungsgespräch ist im Aussterben begriffen: Einst Führungskräften vorbehalten, müssen heute auch Absolventen und Fachkräfte mit durchschnittlich drei Auswahlterminen mit Assessment-Elementen rechnen.
Checkliste: Indizien, anhand derer Sie Fake-Inserate erkennen
In den Medien werden Untergangszenarien gezeichnet, während das Unternehmen, das sich offensichtlich in der Schräglage befindet, inflationär neue Stellen ausschreibt. Wenn es dann auch noch alle paar Wochen oder Monate dieselben sind, dann handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um verzweifeltes Potenzgebaren und vermeintliche Imagepflege.
Einfach mal die angebotene Vakanz in die Suchmaschine eingeben. Zwar wird oft nicht mit Klarnamen gearbeitet, aber bereits veröffentlichte Anforderungsprofile sind schnell gefunden. Oft haben Headhunter gar kein (Exklusiv-)Mandat – aber immerhin war die Stelle dann nicht erfunden.
Vorsicht bei Anfragen über Xing oder LinkedIn, die sich zu traumhaft anhören. Nach den Kapitänen, Ärzten und Romance-Scammern bei Facebook wollen nun auch die Bewerbungsbetrüger dieser Welt an Ihre sensiblen Daten – und damit an Ihr Konto.
Das Job-Profil ist ellenlang und verlangt sehr spezifische oder nicht geläufige Qualifikation, etwa eine spezielle, interne Software oder einen Doktortitel, obwohl es sich um keine akademische Karriere und auch keine repräsentative Spitzenposition handelt.
In der Stellenausschreibung stehen Fakten, die bereits von der Wirklichkeit überholt wurden, die Abteilung oder das Projekt gibt es nicht mehr oder ist in der Auflösung, auch gern „Change“ genannt. Aufschluss geben Bewertungsportale, auf denen sich Mitarbeiter äußern wie Glassdoor oder kununu (Claim: Finde heraus, wie es wirklich ist).
Überlegen Sie sich gut, ob Sie zu einem Unternehmen wechseln wollen, das zwar volles „Commitment“ verlangt, sich aber erst nach zig Auswahlrunden, womöglich von externen Dienstleistern, für Sie entscheiden kann. Zeugt von Entscheidungsschwäche und wenig persönlichem „Engagement“ von Unternehmensseite.
Sie haben sich beworben oder waren womöglich sogar zum Vorstellungsgespräch – und haben nie wieder etwas gehört? Letzteres: ganz, ganz schlechter Stil. Schon einmal überlegt, selbst eine Absage zu schreiben? Am besten direkt an die Geschäftsführung und die Pressestelle: Die wissen meist, wie man Employee Branding übersetzt.
Auch bei ausbleibender Antwort oder einer Absage kann eine Nachrecherche aufschlussreich sein: Wurde der Job tatsächlich vergeben? Und wenn ja, an wen: einen Bewerber von außen? Oder einen internen Mitarbeiter? Organigramme sind bei staatlichen Arbeitgebern online, bei privaten kann man bei höheren Positionen womöglich über die Keyword Recherche im Internet oder Branchenreports fündig werden.
Der zielführendste Weg, einen Fake aufzudecken, ist der Anruf. Ist kein Ansprechpartner genannt, so kann das drei Gründe haben: Das Unternehmen setzt auf Massenbewerbungsverfahren und will Gespräche vermeiden. Das Unternehmen hat das Bewerbungsverfahren an externe Dienstleister ausgelagert, die nicht kompetent oder befugt sind, Fragen zu beantworten. Oder das Unternehmen oder den Job gibt es nicht. In allen drei Fällen wollen Sie dort nicht wirklich arbeiten.
„Das ist auf dem Bewerbungsmarkt wie auf dem sogenannten Heiratsmarkt: Es gibt immer mehr Singles, aber die finden nicht zueinander. Die Singles klagen, dass sie nicht den richtigen Partner finden. Die Firmen klagen, dass sie nicht genug Fachkräfte bekommen – wenn Sie sich aber mal bei Fachkräften wie Ingenieuren umhören, so ist es nicht so, dass die hofiert werden oder sich nicht ausgiebig bewerben müssen“, sagt der studierte Psychologe Hesse.
Aber Optimierungswahn, Rationalisierungsbestrebungen und der Verfall guter Sitten sind noch nicht alle Antworten auf die Frage, warum immer weniger Bewerbungen gar nicht oder erst sehr spät abschließend beurteilt und beantwortet werden. Hinzu kommen durchaus mutwillige Täuschungsmanöver und zweifelhafte „Motivationsmethoden“ von privaten Firmen wie öffentlichen Organisationen: „Unternehmen inserieren, um wirtschaftliche Stärke zu zeigen, auch gegenüber Geldgebern und der Bank, nach dem Motto: Wir expandieren, uns geht es gut. Dazu gehört auch, dass man die Konkurrenz verunsichern oder ein bisschen ärgern möchte, wie wunderbar doch die Geschäfte laufen“, meint Jürgen Hesse.
Noch perfider: „Außerdem inserieren Unternehmen, um ihrer eigenen Mannschaft das Gefühl zu geben: Unser Unternehmen sortiert sich und wer hier nicht zu den Spitzenleistern gehört, der wird womöglich durch eine neue, unverbrauchte Arbeitskraft ersetzt“, sagt Hesse. Manches Mal werde auch einfach schnell inseriert und dann doch vom Vorstand entschieden, dass die Stelle nicht besetzt wird – oder aber intern schon jemand gefunden ist. Für eine Antwort fühlt sich dann offenbar niemand mehr verantwortlich.
Wenig zimperlich geht auch der Staat mit seinen Interessenten und den eigenen Bediensteten um: Bei vielen öffentlichen Ausschreibungen treten Interne und Externe gegeneinander an. Meist ein Kampf David gegen Goliath, der den Vorschriften geschuldet ist – und allenfalls dazu dient, die Motivation langjähriger Beamter aufzufrischen, die ihren Posten behalten und nicht versetzt werden wollen.
Bis zur Umstrukturierung sind die Jobinserate längst überholt
„Auch in Konzernen ist eine Ausschreibung formal erforderlich, unter der Hand sind aber mindestens 50 Prozent der Jobs schon einem Insider versprochen“, bestätigt Martin Wehrle, Ex-Manager und Leiter der Karriereberater-Akademie Hamburg, massenhafte Pro-Forma-Ausschreibungen. „Betriebsräte können nach Paragraf 93 des Betriebsverfassungsgesetzes die Ausschreibung aller Stellen verlangen, bis auf die leitender Angestellter. Deshalb kommt es oft dazu, dass interne und externe Bewerber konkurrieren – doch während die Internen eine Lobby haben, haben die Externen oft schlechte Karten“, so Wehrle.
Die Lobby für diese nur Arbeit verursachenden und von Anfang an nicht unbedingt gewollten Kandidatinnen und Kandidaten ist dann auch in den Personalabteilungen der Konzerne und Verwaltungen dementsprechend klein. Und nicht selten an externe Dienstleister ausgelagert, die ähnlich wie beim Online-Shopping das lästige Nachfrage- oder Beschwerdemanagement übernehmen – E-Mail-Absender @noreply, versteht sich!
Neben Pro-Forma-Ausschreibungen, wirtschaftlicher Potenzdemonstration sowie mangelnder Absprache zwischen Führung, Fach- und Personalabteilung lassen auch immer kürzere Umstrukturierungszyklen die Anzahl der Fake-Jobs in die Höhe schnellen. Diese Trends bestätigt auch Martin Wehrle: „Unternehmen schreiben aus, um dem Markt das Signal zu senden: Wir wachsen und expandieren. Aber das Einzige, was hier wirklich wächst, ist die Angeberei!“
Auch als Sachbuchautor für Klartext bekannt – mit Titeln wie „Ich arbeite (immer noch) im Irrenhaus“, „Sei einzig, nicht artig“ oder „Der Klügere denkt nach“ – legt Wehrle nach: „Und immer öfter werden die trägen Personalbürokratien von einer Wirklichkeit überholt, die sich täglich wandelt: Projekte, für die jemand gesucht wurde, werden abgeblasen, Aufgaben ausgelagert, ganze Firmenanteile abgestoßen. Aber weil diese Prozesse oft heimlich im Hintergrund laufen, erscheinen die Stellenausschreibungen einfach weiter – auch um Normalität vorzutäuschen.“
Bei Eingangsbestätigungen und Absageschreiben hört die Normalität dann allerdings auf, worüber heute immer mehr Bewerber und Bewerberinnen klagen – und sich fragen, was der Grund für so viele unbeantwortete Bewerbungen trotz Spitzen-Qualifikation und Top-Unterlagen ist.
Ebenso fragwürdig sind die Facebook-ähnlichen Praktiken mancher Headhunter und Personaldienstleister, die nur ihre Kandidaten-Datenbank auffüllen wollen, um gegenüber potenziellen Auftraggebern besser dazustehen: „Das ist bei Headhuntern mittlerweile ungefähr so wie bei Facebook und Google oder anderen Social Media- und Business-Plattformen: Hier geht es ganz klar darum, Daten zu sammeln. Headhunter leben davon, dass sie eine große Datei haben. Und mal ganz böse gesagt: Wenn man weiß, dass jemand wechselbereit ist, dann weiß man auch, dass dieses Unternehmen demnächst eine neue Besetzung sucht.“
Headhunter füllen ihre Datenpools
Richtig zwielichtig wird es dann, wenn Vakanzen ausgeschrieben werden, die es (noch) gar nicht gibt und womöglich auch nie geben wird – und den Interessierten dann noch vorgegaukelt wird, dass sie ihre Bewerbungsunterlagen oder das eigene Auftreten erst optimieren müssten: „Viele Headhunter oder Personalberatungsfirmen bieten ja auch gleichzeitig ihre Dienste an – und manche geben Bewerbern dann den Hinweis: Für diese Stelle kommen Sie nicht infrage, ihre Unterlagen sind überarbeitungsbedürftig, aber für die Summe X begleiten wir Sie, bis etwas gefunden ist. Das hat dann einen ziemlichen Beigeschmack“, erklärt Jürgen Hesse übliche Praktiken.
Die Berufskollegen von der Karriereakademie Püttjer/Schnierda haben unter der Headline „Tricks der Headhunter …“ sogar eine Warnung auf ihrer Homepage veröffentlicht: „Mit dem zeitlich späteren Verweis auf die – leider – doch schon besetzte Stelle, lassen sich unbedarfte Kandidaten erst einmal vertrösten und hinhalten. Die Headhunter dagegen können ihrem wichtigen Pool an Führungskräften auf dem Karrieresprung einen weiteren aktuellen Datensatz hinzufügen“, heißt es dort.
Es werde außerdem „versucht mithilfe von Fake-Jobs die Führungskräfte von Konkurrenzunternehmen zu ködern, um sie in Vorstellungsgesprächen gründlich über die Aktivitäten und künftigen Absichten ihrer Arbeitgeber auszufragen. Aktuell beispielsweise in stark wachsenden Startups im E-Commerce für Mode, Möbel oder in Spin-Offs.“
Auch in Absolventen- und Studentenforen ist einiges über unlautere Praktiken von Headhuntern zu lesen, etwa bei „Studis online“ heißt es zum Stichwort „Schein-Stellenangebote“: „Ja das ist tatsächlich so. Habe mal ein Praktikum als Personalberater gemacht. "Wir" haben auch Stellen ausgeschrieben, die es gar nicht gab, einfach, um Lebensläufe zu sammeln und einen Kandidatenpool zu akquirieren.“ Auf die Frage „Hat jemand von euch Erfahrungen mit sogenannten Fake-Stellenangeboten gemacht?“ kommt prompt die Antwort: „Vor allem viele Bauingenieure aus meinem Umfeld erzählen mir davon, dass manche Unternehmen ständig Stellen schalten – und wenn man sich darauf bewirbt, dann heißt es, die Stelle sei bereits besetzt. Vier Wochen später werden die gleichen Stellen dann wieder geschaltet und es wird suggeriert, dass das Unternehmen wächst.“
Verstärkt wird das Angebot untauglicher Stellenangebote noch durch Jobportale und Meta-Suchmaschinen, die bei der Suchanfrage immer wieder veraltete, aber womöglich undatierte, Gratis-Inserate aus den Tiefen des Netzes ziehen.
Nicht nur Datenklau und Fake-Ausschreibungen, auch der Perfektionierungswahn der Unternehmen wird in den Foren von Betroffenen bestätigt: „Im Strukturvertrieb (Finanzdienstleistung/Personalberatung etc.) ist es gang und gäbe sieben Jungakademiker, meist BWLer oder Quereinsteiger mit sonst schwer verwertbaren Abschlüssen pro Monat einzustellen – und von diesen die beiden schlechtesten noch innerhalb dieses Monats wieder zu kündigen. Getreu dem Motto, ein paar werden schon hängen bleiben. Hire-and-Fire gemäß US-Vorbild.“
Vorbei sind anscheinend die Zeiten, in denen Bewerber sich bei einer Ausschreibung sicher sein konnten, auch tatsächlich gebraucht zu werden. „Früher war eine Stellenangebotsanzeige eben wirklich ein freier Platz, der besetzt werden sollte, das ist heute einfach viel zu kurz gedacht“, so Hesse. „Heute geht es ein gutes Stück weit um Image – bei den Geldgebern, bei den Kunden, bei den eigenen Mitarbeitern, bei der Konkurrenz.“
Fragt sich nur, wie lange sich der begehrte Nachwuchs der Geburtenknickjahrgänge und Fach- und Führungskräfte in Mangelberufen so viel Fake noch gefallen lassen. Wer leer ausgeht sind letztlich die Unternehmen, wenn sie tatsächlich einmal suchen. Denn wirkliche Talente haben weder Lust auf langwierige und einseitige Optimierungsverfahren, noch sind sie dumm genug, Show und Potenzgebaren auf Dauer nicht zu durchschauen.