Wo kommen Sie her? Wollen Sie (mehr) Kinder? Haben Sie eigentlich auch ständig Rückenschmerzen? Derart persönliche Fragen machen das ohnehin stressige Vorstellungsgespräch noch unangenehmer. Bewerbern steht aber ein leichter Ausweg offen: Lügen. Fliegt die Lüge später auf, muss dies für den Angestellten folgenlos bleiben. Denn der Arbeitgeber hat mit den Tabu-Fragen gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstoßen. Wurde jemand bei der Bewerbung klar benachteiligt, ist eine Entschädigung drin. Viele Menschen wissen allerdings noch nicht einmal, welche Fragen diskriminierend sind.
Das musste die Antidiskriminierungsstelle des Bundes feststellen. In einer 2018 veröffentlichten Umfrage wurde untersucht, wie viele Menschen schon mit unzulässigen Fragen in Vorstellungsgesprächen konfrontiert wurden und wie sie reagiert haben. Das Ergebnis: Die Arbeitnehmer sind zu wenig über ihre Rechte aufgeklärt.
„Jeweils eine deutliche Mehrheit der Befragten hält zum Beispiel Fragen nach dem Lebensalter (86 Prozent), der Staatsangehörigkeit oder einer (Schwer-) Behinderung (jeweils 72 Prozent) für grundsätzlich zulässig, obwohl danach nur in Ausnahmefällen gefragt werden darf“, stellten die Experten fest. 39 Prozent der interviewten Beschäftigten fanden es demnach sogar in Ordnung, eine Frau nach einer bestehenden Schwangerschaft zu fragen, „obwohl dies eindeutig verboten ist und von der Bewerberin auch nicht oder nicht wahrheitsgemäß beantwortet werden muss“.
Verbotene Frage sind laut der Untersuchung keine Ausnahme. Von den knapp 1000 Befragten ab 15 Jahren wurden
52 Prozent nach dem Alter
- 37 Prozent nach dem Familienstand
- 28 Prozent nach der Staatsangehörigkeit gefragt.
- Sechs Prozent der Frauen bekamen schon einmal die „Sind Sie schwanger?“-Frage gestellt.
Vor einem Bewerbungsgespräch muss man sich deshalb nicht nur auf die üblichen Fragen zu Laufbahn, Qualifikation und Karrierezielen vorbereiten. Jobsuchende sollten ein klares Bild davon haben, welche Fragen zu ihrer Person rein gar nichts mit der Eignung für die Stelle zu tun haben und wie sie im Ernstfall reagieren wollen. „Es ist wichtig zu wissen, welche Fragen man wahrheitsgemäß beantworten muss und bei welchen Fragen man gegebenenfalls auch die Unwahrheit sagen darf“, sagt Nathalie Oberthür, Vorsitzende des Arbeitsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins.
Das hat übrigens nichts mit mangelnder Aufrichtigkeit zu tun. „Wenn man glaubt, jede Frage wahrheitsgemäß beantworten zu müssen, gibt man mehr von sich preis, als erforderlich ist und macht sich angreifbar“, unterstreicht Till Bender, Online-Redakteur der DGB Rechtsschutz GmbH, die die Mitglieder des Deutschen Gewerkschaftsbundes rechtlich vertritt. Er stellt klar: „Alle Fragen, die keinen Bezug zur Tätigkeit haben, sind unzulässig.“
Warum die Lüge schließlich erlaubt wurde
Viele Menschen tendieren bei unliebsamen Fragen dazu, auszuweichen oder mit „Dazu möchte ich lieber nichts sagen“ zu kontern. Allerdings ist klar, dass daraus ein Nachteil entsteht. DGB-Experte Bender rät hier nicht zu falscher Zurückhaltung: „Wer die Antwort auf eine Frage verweigert, macht sich verdächtig. Daher empfiehlt es sich nicht, bei unzulässigen Fragen die Antwort zu verweigern.“
Die Rechtsprechung habe dieses Dilemma erkannt und gestehe ein Recht zur Lüge zu. „Das trägt dem Umstand Rechnung, dass es der Fragende ist, der sich mit seiner Frage ins Unrecht setzt. Hierfür soll er nicht belohnt werden.“ Anwältin Oberthür spricht hingegen von einer individuellen Entscheidung: „Die Lüge auf eine unzulässige Frage ist zulässig und häufig überzeugender als die bloße Nichtbeantwortung. Dennoch kann eine Lüge, wenn sie später bekannt wird, das Vertrauensverhältnis im Arbeitsverhältnis belasten.“
Für Laien ist es allerdings schwer zu beurteilen, wann eine persönliche Frage womöglich legitim ist und wann es hier eindeutig in Ordnung ist, die Unwahrheit zu sagen. Deswegen gehen wir jetzt ins Detail und klopfen einige der wichtigsten „Schutzbereiche“ des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ab. Das verbietet die Benachteiligung von Menschen aufgrund dieser Faktoren:
- Geschlecht
- Alter
- Behinderung
- Rasse beziehungsweise ethnische Herkunft
- Religion oder Weltanschauung
- sexuelle Identität
Tabu oder legitim? Experten klären auf
Alter
Gibt es Fragen nach dem Alter, die legitim sind, weil dieser Fakt für die Ausübung des Berufs ausschlaggebend ist? „In aller Regel nicht“, meint Oberthür. Berufserfahrung dürfe aber erfragt werden. Bender findet: „Es ist eigentlich kein Fall denkbar, in dem es im Hinblick auf die Stelle tatsächlich relevant ist, wie alt derjenige ist, der sie innehat.“ Ausgenommen seien allenfalls absolute Sonderfälle wie etwa Theaterschauspieler. Zudem ergebe sich das Alter in der Regel aus beigefügten Dokumenten wie etwa Arbeitszeugnissen oder einem Berufsabschluss. „Zum anderen dürfte der Arbeitgeber im Gespräch selbst erkennen, ob es sich eher um einen jungen oder älteren Menschen handelt. Selbst bei einem reinen Telefongespräch lässt die Stimme Rückschlüsse zu.“
Behinderung
Hier gibt es schon mehr Szenarien, in denen Fragen legitim sein können. „Nach der Behinderung darf der Arbeitgeber dann fragen, wenn diese dazu führt, dass der Bewerber/die Bewerberin die Stelle nicht ausüben kann“, erläutert DGB-Experte Bender. „Eine Gehbehinderung, im Extremfall Rollstuhl, spielt keine Rolle, wenn es sich um eine reine Bürotätigkeit handelt. Ein Arbeitgeber muss sich aber weder auf einen blinden Fernfahrer noch einen Bäcker mit Mehlallergie einlassen.“
Anwältin Oberthür wird konkreter: „Entscheidend ist, ob die Behinderung die Eignung ausschließt oder die erforderlichen Hilfsmittel für den Arbeitgeber zumutbar sind. So wird bei einem Dachdecker nach einer epileptischen Erkrankung gefragt werden dürfen. Ein verstellbarer Schreibtisch, ergonomische Stühle, besondere Lesehilfen oder Ähnliches werden häufig noch zumutbar sein. Wenn für den Rollstuhlfahrer ein eigener Eingang mit Aufzug eingerichtet werden müsste, ist dies möglicherweise finanziell unzumutbar.“
Die Fachanwältin für Arbeitsrecht und Sozialrecht stellt aber klar: „Die bloße Vermutung, ein Arbeitnehmer könnte wegen einer Behinderung häufigere Fehlzeiten haben, ist unberechtigt.“ Dieser Fakt ist auch für Menschen mit chronischen Beschwerden wichtig. Hier gelten laut den beiden Experten dieselben Regeln wie für Behinderungen. Wer also wegen anhaltender Rückenschmerzen vermutlich häufiger im Bürojob fehlen wird, muss dies im Bewerbungsgespräch nicht offenlegen.
Sexuelle Orientierung
„Es fällt mir schwer, mir ein Beispiel vorzustellen, in dem es für eine bestimmte Tätigkeit auf die sexuelle Orientierung ankommt“, meint Bender. „Derartige Fallgestaltungen wären wohl allenfalls im Rotlichtmilieu anzusiedeln.“ Anwältin Oberthür definiert den Begriff über Homosexualität hinaus. In aller Regel seien Fragen dieser Art zwar verboten. „Im Einzelfall kann aber beispielsweise eine Vorstrafe wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung eines Kindes einer Tätigkeit als Kindertagespfleger entgegenstehen“, fügt sie an.
Schwangerschaft
Dies ist die eindeutigste Kategorie. Wann sind Fragen dazu erlaubt? „Nie“, antwortet Oberthür. Hier hat sich die Rechtslage weiterentwickelt, wie Bender erläutert. „Nach früherer Rechtsansicht durfte ausnahmsweise nach einer bestehenden Schwangerschaft gefragt werden, wenn das Arbeitsverhältnis nur auf eine kurze Zeit angelegt ist und die Bewerberin in dieser Zeit aufgrund der Schwangerschaft überhaupt nicht arbeiten kann. Dies ist heute aber nicht mehr der Fall. Fragen nach Schwangerschaft dürfen nicht gestellt werden.“
Religionszugehörigkeit
Kirchen und Religionsgemeinschaften neben beim gesetzlichen Schutz vor Diskriminierung eine Sonderstellung ein. „Ein Recht darauf, nach der Religionszugehörigkeit zu fragen, haben nur solche Arbeitgeber, bei denen die Religionszugehörigkeit relevant ist, im wesentlichen also die Kirchen und Unternehmer in kirchlicher Trägerschaft“, erklärt Bender. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs müssten aber auch die Kirchen in einem Arbeitsrechtsprozess im Zweifel nachweisen, warum die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft für die konkrete Stelle erforderlich sei. „Entscheidend ist die Frage der sogenannten ‚Verkündungsnähe‘: Diese wird man bei einem Priester ohne weiteres annehmen können, bei seiner Reinigungskraft eher nicht“, sagt Bender.
Spezialfragen - von Social Media bis zum Prozess vor dem Arbeitsgericht
Extra-Fragen an die Experten
Wie sollte man sich verhalten, wenn man im Bewerbungsgespräch unsicher ist, ob eine Frage legitim ist?
„Ist die Frage unbedenklich, macht es nichts, auf sie zu antworten“, erklärt Bender. „Fürchtet man hingegen negative Konsequenzen, empfiehlt es sich eher, die Frage zu umgehen oder mit einer Gegenfrage zu antworten.“ Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist jedoch kein Freifahrtschein, um das Blaue vom Himmel zu lügen. „Wer auf eine zulässige Frage lügt, riskiert allerdings, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis später wegen arglistiger Drohung anficht“, warnt Bender. „Das Arbeitsergebnis endet dann ohne Kündigungsfrist. Auch Sonderkündigungsschutz, wie etwa bei Schwangeren, gilt dann nicht.“
„Erlischt“ das Recht auf Antidiskriminierung, wenn persönliche Informationen in der Bewerbung unnötigerweise angegeben wurden (beispielsweise Tätigkeit für eine Partei)?
Bender: „Wenn der Bewerber oder die Bewerberin Informationen von sich aus offenbaren, so wird es natürlich schwer, eine Diskriminierung nachzuweisen. Gleichwohl darf der Arbeitgeber nur dann auf die gegebenen Informationen eingehen, wenn diese für die fragliche Stelle relevant sind. Andernfalls würde es sich wiederum um eine unzulässige Frage handeln, die gegebenenfalls einen Anspruch wegen Diskriminierung begründet.“
Oberthür: „Das hängt von der konkreten Situation ab. Eine unzulässige Frage, die mit einem von § 1 AGG geschützten Merkmal zusammenhängt, ist in der Regel ein Indiz für eine Benachteiligung, da sie belegt, dass die Einstellungsentscheidung von diesem Merkmal mit abhängt. Wenn die Frage sich auf eine ungefragt offenbarte Information bezieht, kann im Einzelfallkontext diese Indizwirkung entfallen.“
Viele Menschen geben über soziale Medien viel über ihr Privatleben preis. Ist es zulässig, dass Firmen diese Informationen bei Bewerbern recherchieren? Ist es ratsam, den Zugang vor einer Bewerbung zu beschränken?
Oberthür: „Recherchen über das Privatleben eines Bewerbers in Social Media sind aus datenschutzrechtlichen Gründen grundsätzlich unzulässig. Da dies dennoch bisweilen gemacht wird, ist es grundsätzlich ratsam, mit persönlichen Daten im Netz sehr sorgsam umzugehen und den Zugriff Dritter weitestmöglich zu beschränken.“
Eine Bewerberin hat im Vorstellungsgespräch gelogen (beispielsweise bezüglich einer Schwangerschaft), was unweigerlich bald herauskommen wird. Sollte sie das Thema nach erfolgter Anstellung ansprechen?
Bender: „Besteht die Situation, dass die Lüge ohnehin bald aufliegen wird, würde ich zu Offenheit raten. Auch wenn die Arbeitnehmerin hinsichtlich der Schwangerschaft lügen durfte, dürfte es den Arbeitgeber wenig freuen, wenn er durch andere von diesen Umständen erfährt. Außerdem muss eine Arbeitnehmerin ihre Schwangerschaft dem Arbeitgeber auch mitteilen, sonst hat sie keinen besonderen Kündigungsschutz.“
Wie kann ein Beschäftigter beweisen, dass er wegen einer legitimen Lüge im Bewerbungsprozess entlassen wurde – und die damals anwesenden Firmenvertreter nun die Unwahrheit sagen, um die Kündigung durchzukriegen?
Bender: „Hier stehen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer wieder vor der misslichen Situation, dass sie im Gespräch mit dem Arbeitgeber alleine waren, während dieser weitere Vertrauenspersonen hinzugezogen hat. In einem Arbeitsgerichtsprozess muss man dann versuchen, die Aussagen dieser Zeugen auseinanderzunehmen und sie mit vorherigen Aussagen konfrontieren. Es lässt sich aber nicht in jedem Fall vermeiden, dass Arbeitnehmer ihren Prozess verlieren, weil Personen lügen, die im Lager des Arbeitgebers stehen.“
Oberthür: „Prozessual wäre es dann so, dass der Arbeitgeber zum Nachweis des Kündigungsgrundes seine Mitarbeiter als Zeugen benennt. Aus Gründen der Waffengleichheit muss der Arbeitnehmer im Prozess als Partei vernommen werden. Wenn das Gericht einer Partei Glauben schenkt, wird der Prozess zu deren Gunsten ausgehen. Wenn das Gericht nicht entscheiden kann, welche Seite die Wahrheit sagt (non liquet), bleibt der Arbeitgeber beweisfällig und die Kündigungsgründe können nicht nachgewiesen werden.“
Beide Experten weisen darauf hin, dass die heimliche Aufzeichnung eines Vorstellungsgesprächs verboten ist.
Hohe Entschädigung bei Diskriminierung möglich
Nicht immer muss böser Wille dahinterstecken, wenn im Vorstellungsgespräch verbotene Fragen gestellt werden (mit Ausnahme der Frage nach dem Kinderwunsch). „Die Frage nach der Herkunft kann zum Beispiel rein aus persönlichem Interesse sein. Ob jemand aber in Hamburg oder in München geboren wurde, spielt für die Einstellung in der Regel keine Rolle und ist damit verboten“, warnt Bender. Aber auch hier gilt: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.
„Unzulässige Fragen im Bewerbungsgespräch, die sich auf eines der in § 1 AGG geschützten Merkmale beziehen, indizieren eine Benachteiligung“, erklärt Oberthür. „Hat der Arbeitgeber keine Rechtfertigung, kann der Bewerber Ansprüche auf Entschädigung und Schadenersatz geltend machen.“ Sie weist zudem darauf hin: „Unzulässige Fragen beinhalten regelmäßig einen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung. Dies begründet (unabhängig von den Ansprüchen nach AGG) Ansprüche des Bewerbers auf Entschädigung wegen der Persönlichkeitsrechtsverletzung.“
Wäre der diskriminierte Bewerber ohnehin nicht genommen worden, ist die Entschädigung laut Bender auf drei Monatsgehälter gedeckelt. „Kann der Bewerber/die Bewerberin jedoch nachweisen, dass sie für den Arbeitsplatz geeignet ist, so kann die Entschädigung auch höher ausfallen.“ Der Anspruch auf Entschädigung müsse innerhalb von zwei Monaten nach dem Ablehnungsschreiben schriftlich geltend gemacht werden.
Fazit
Auch vermeintlich harmlose persönliche Fragen im Vorstellungsgespräch können sich für Bewerber zum Nachteil entwickeln. Sie sollten sich daher sorgfältig auf derartige Situationen vorbereiten und eigene „Schwachstellen“ prüfen, bei denen Diskriminierung geschehen könnte. Lügen ist ein legitimes Mittel, um rechtswidrige Benachteiligung zu verhindern. Die Art und Menge verbotener Fragen im Bewerbungsgespräch können im Umkehrschluss aber auch ein Alarmsignal sein, dass das Klima in der Firma grundsätzlich nicht stimmt.