Von wegen "Fachkräftemangel" Deutschlands unbekannte Arbeitskräfte

Ob offiziell arbeitslos oder nicht - zwei Millionen "Nichterwerbspersonen" wünschen sich Arbeit, zeigt das Statistische Bundesamt. Arbeitgeberverbände sollten sich die Zahlen zu Gemüte führen, bevor sie wieder über Fachkräftemangel klagen.

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Zu den als arbeitslos gemeldeten Erwerbslosen (hier bei der Arbeitsagentur in in Frankfurt/Oder) kommt noch eine stille Reserve von Hunderttausenden Nichterwerbspersonen. Quelle: dpa

Während Arbeitgeberverbände seit Jahren die Politik und öffentliche Meinung mit dem Klagelied über den "Fachkräftemangel" beleiern, schlummert in Deutschland offenbar auch jenseits der Arbeitsagenturen noch ein großes Heer von nicht arbeitenden aber arbeitswilligen Menschen. Fast zwei Millionen so genannte Nichterwerbspersonen wünschen sich Arbeit, meldet das Statistische Bundesamt. "Wir wollen mit unserer Erhebung zeigen, dass es ein großes ungenutztes Potenzial von Arbeitskräften in Deutschland gibt", sagt Martina Rengers von destatis.

Für Nicht-Arbeitsmarkt-Statistiker ist es nicht so leicht zu verstehen, was eine Nichterwerbsperson ist. Es ist laut Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) eine Person zwischen 20 und 64 Jahren, die nicht am Erwerbsleben teilnimmt, also weder erwerbstätig, noch erwerbslos sind. Das klingt absurd, aber nur so lange man sich nicht bewusst macht, dass nach der ILO-Nomenklatur nur als "erwerbslos" gilt, wer keine Arbeit hat und sowohl aktiv nach neuer Arbeit sucht, als auch innerhalb einer Zwei-Wochen-Frist eine neue Stelle antreten kann. Es gab 2012 nach der heute veröffentlichten Arbeitskräfteerhebung des Statistischen Bundesamtes (destatis) in Deutschland nur 2 2002 000 Erwerbslose, aber 9 395 000 Nichterwerbspersonen.

Eine Nichterwerbsperson kann also zum Beispiel ein Student sein, der sich komplett ohne Jobben finanziert, oder eine junge Frau in Elternzeit, oder ein 60-jähriger Mann, der nicht glaubt jemals wieder eine Stelle zu finden, und es daher gar nicht erst versucht. Mit der Arbeitslosenstatistik der Bundesagentur, das ist wichtig zu betonen, hat diese Kategorisierung nichts zu tun. Die durch das erfassten Nichterwerbspersonen können also sowohl arbeitslos gemeldet sein, also Arbeitslosengeld I oder II (Hartz IV) erhalten, als auch nicht.

Destatis hebt unter den 9 395 000 Nichterwerbspersonen eine "Stille Reserve" von 879 000 Menschen hervor. Das sind nicht arbeitende Menschen, die eines der beiden ILO-Kriterien für Erwerbslosigkeit nicht erfüllen, also die 434 000 arbeitssuchenden aber nicht innerhalb von 14 Tagen verfügbaren Menschen und die 445 000 verfügbaren aber nicht aktiv suchenden.

Die Gründe dafür, dass diese stillen Reservisten nicht suchen oder nicht verfügbar sind, unterscheiden sich in Abhängigkeit von Geschlecht und Alter. Bei den 20- bis 39-Jährigen spielt die schulische oder berufliche Ausbildung eine Hauptrolle. Aber es gibt auch große Geschlechtsunterschiede. Junge Frauen bis 39 Jahre in der Stillen Reserve nennen zu über 40 Prozent am häufigsten persönliche oder familiäre Verpflichtungen, wie die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Personen, während dies für junge Männer kaum eine Rolle spielt. Neben der Ausbildung sind Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit häufige Ursachen für die Inaktivität jüngerer Männer am Arbeitsmarkt. Bei den Über-40-Jährigen spielen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit sowie (vorzeitiger) Ruhestand und allgemeine Entmutigung eine wichtige Rolle.
Aber auch unter den 8 515 000 sonstigen Nichterwerbspersonen, die weder eine Arbeit suchen noch kurzfristig verfügbar sind, behaupten 1084 000, dass sie eigentlich gerne arbeiten möchten. Sie wurden entsprechend sowohl nach den Gründen ihrer Nichtverfügbarkeit als auch nach den Gründen ihrer Nichtsuche gefragt. Im Vergleich zu den Personen der Stillen Reserve bekommen insbesondere bei den jüngeren Frauen persönliche oder familiäre Verpflichtungen eine noch größere Relevanz. Rund 60 Prozent der 20- bis 39-jährigen Frauen, die trotz Arbeitswunsch am Arbeitsmarkt nicht aktiv waren, nennen Familienpflichten als Hauptgrund für fehlende Verfügbarkeit und Nichtsuche.

Natürlich verstecken sich in diesen Zahlen auch Tausende notorische Schwarzarbeiter, Leistungserschleicher, Lebenskünstler und Menschen, die in ökonomischen Modellen nicht vorkommen. Der unsichtbare Kunsterbe Cornelius Gurlitt zählte bis zu seinem 64. Lebensjahr ebenso zu den Nichterwerbspersonen, wie der Tantiemen-Schmarotzer Will Freeman in Nick Hornbys Roman "About a Boy" dazu zählen würde.

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