Karriere First Ladies

Töchter erobern in Familienunternehmen die Chefsessel. Den Vätern ist das nur recht: Anders als Söhne zeigen die jungen Frauen mehr Respekt vor dem Lebenswerk des Seniors. So gelingt ihnen eine reibungslosere Nachfolge.

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die Rodenstocks: Randolf Rodenstock, 59, hat ein Büro im Beratungsunternehmen von Tochter Beatrice, 35. Das Duo unterstützt Familienbetriebe in Nachfolgefragen Quelle: Robert Brembeck für WirtschaftsWoche

Eberhard von Rundstedt, 67, ist ein Unternehmer von Format: groß, kräftig, sonore Stimme. Und einer, der gerne und viel redet. In drei Jahren will er sich aus seiner Personalberatung von Rundstedt & Partner zurückziehen. Die Nachfolge ist geklärt: Zum Jahreswechsel ist Tochter Sophia in die dreiköpfige Geschäftsführung aufgestiegen. Mit ihren blonden Haaren, blauen Augen und der schmalen Silhouette wirkt sie zart neben dem Vater. Doch Zweifel an ihrer Durchsetzungskraft lässt die 35-Jährige nicht aufkommen. Immer wenn der Senior vom Thema abschweift, unterbricht sie ihn so charmant wie bestimmt: „Papi, das führt zu weit.“ Dann redet Sophia – ganz der Vater – gerne und viel.

„Genau meine Wellenlänge“, sagt von Rundstedt über die Tochter. Da nehme er Kritik viel leichter an. Auch ihre Arbeitsweise sei ähnlich wie seine: spontan und aus dem Bauch heraus. Der Sohn dagegen ticke ganz anders. Constantin, drei Jahre jünger als die Schwester, arbeitet ebenfalls im väterlichen Unternehmen. Aber „für ihn ist es völlig in Ordnung, dass ich die Frontfrau sein möchte“, sagt Sophia. Den Vater freut’s.

Vorbei die Zeiten, da männliche Nachkommen in Familienunternehmen bei der Nachfolge selbstverständlich den Vorrang hatten. Immer häufiger besetzen so selbstbewusste wie qualifizierte Töchter die Chefsessel. Elterliche Betriebe, die innerhalb der Familiendynastie weitergegeben werden, gehen inzwischen in jedem fünften Fall an eine Nachfolgerin.

Ein echter Fortschritt. Noch im Jahr 1954 bezeichnete der damalige BDI-Chef Fritz Berg Frauen an der Spitze von Betrieben als „vorübergehende Kriegsfolgeerscheinung“. Als empörte Reaktion darauf gründete sich der Verband deutscher Unternehmerinnen. Dessen erste Präsidentin Käte Ahlmann, einst Lenkerin » des größten Stahlwerks in Norddeutschland, gehört zu den Pionierinnen, die Anfang des 20. Jahrhunderts Wirtschaftsgeschichte schrieben (siehe Kasten Seite 85). Dennoch blieb es in Familienbetrieben bis in die Sechzigerjahre hinein Usus, der Tochter mit Mitte 20 einen Anteil an der Firma auszuzahlen – und der Sohn übernahm das Ruder.

„Diese Tradition hängt uns immer noch nach“, sagt Stefan Heidbreder von der Stiftung Familienunternehmen. Doch dabei wird es nicht bleiben. Experten wie Heid-breder sehen „keinen Grund, warum die Gleichstellung hier nicht stattfinden sollte“. Familienbetriebe sind Teil und damit Spiegel der Gesellschaft: Noch vor ein paar Jahrzehnten hatte es Vorrang, die Tochter gut zu verheiraten. Heute wird es zusehends Normalität, dass Frauen Unternehmen genauso führen können wie Männer.

Die Chancen stehen besser denn je: Laut dem Institut für Mittelstandsforschung fallen in den nächsten fünf Jahren rund 70 000 Unternehmensübertragungen jährlich an. 90 Prozent der Familienunternehmen wünschen sich eine interne Lösung. Aber in weniger als der Hälfte der Fälle erfüllt sich der Wunsch, weil geeignete Nachfolger fehlen.

Da wird es zur Nebensache, ob Sohn oder Tochter den Vater beerbt – Hauptsache, die Qualifikation stimmt. Zumal aus Sicht der Seniors nichts gegen, sondern viel für eine Nachfolgerin spricht. Von Mann zu Mann ist die Konkurrenz größer und damit das Risiko, dass ein Autoritätskampf zwischen Junior und Senior entflammt.

Als naturgegebenes Muster prägen Vater-Sohn-Konflikte Geschichte und Mythologie; beispielhaft sind griechische Tragödien, wie die von Uranos und Chronos oder die von Chronos und Zeus. Auf dem Sohn lastet schicksalsträchtig eine doppelte Bürde: Qua Geburt zum Thronfolger bestimmt, wird er später zum Königsmörder, um sich gegen den Vater durchzusetzen.

„Töchter tun sich in der Nachfolge deutlich leichter“, sagt Rudolf Wimmer, Professor am Institut für Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke. Sie wachsen rivalitätsfrei in die Führungsposition hinein, ihr Wissen bringen sie ergänzend ein.

Die Von Dewitz: Nächstes Jahr zieht Vater Albrecht, 67, sich in den Aufsichtsrat des Bergsportausrüsters Vaude zurück. Dann übernimmt Tochter Antje, bereits vierfache Mutter Quelle: Dan Cermak für WirtschaftsWoche

Erfolgsbeispiele mit Vorbildcharakter

So ist die Antwort auf die Nachfolgefrage immer öfter ein weiblicher Name – ob beim Spirituosenhersteller Underberg, dem Juwelier Wempe oder dem Reiseunternehmen Öger Tours. Allesamt Erfolgsbeispiele mit Vorbildcharakter. Einen Überraschungscoup landete vor zwei Jahren Berthold Leibinger, Gründer des schwäbischen Werkzeugmaschinenherstellers Trumpf: Der Patriarch entschied sich nicht für den Sohn oder den Schwiegersohn als Nachfolger, sondern für seine Tochter Nicola, eine Philologin. Seine Begründung: „Meine Tochter hat einen sehr guten Charakter.“ Motto: Ein Gramm davon zählt mehr als zehn Kilo Fachwissen.

Kurz darauf zog ein weiterer Weltmarktführer aus Schwaben nach. „Schraubenkönig“ Reinhold Würth wählte Tochter Bettina zur Thronfolgerin. Die hatte ebenso wenig wie die Trumpf-Tochter ein Ingenieurstudium absolviert, sondern sich nach dem Schulabbruch zunächst für eine Ausbildung zur Kindergärtnerin entschieden.

Typisch für Nachfolgechefinnen:  Je weniger Druck sie verspüren, das väterliche Unternehmen fortzuführen, desto eher entscheiden sie sich dafür. Die meisten probieren verschiedene Jobs aus, machen Erfahrungen und Anfängerfehler außerhalb des elterlichen Betriebs. Und sie besinnen sich dann auf die Werte, die sie geprägt haben: nämlich unternehmerische Verantwortung zu übernehmen. Zieht es sie zurück zu den Wurzeln, gehören sie dort hin.

Auch Sophia von Rundstedt wurde nicht „als potenzielle Nachfolgerin geboren“. 13 Jahre ist sie alt, als der Vater die Personalberatung mit amerikanischer Lizenz in Düsseldorf gründet, außerdem hat sie zwei jüngere Brüder. Nach dem Jura-Studium startet sie in einer großen Sozietät. Doch das ist ihr zu weit weg vom Kunden. Der nächste Job bei einer kleinen Unternehmensberatung in Berlin ist schon eher nach ihrem Geschmack. Aber der Schwerpunkt „öffentlicher Personennahverkehr“ begeistert sie nicht. Die Bemerkung einer Beraterkollegin trifft schließlich ihren Nerv: „Warum gehst du nicht in euer Unternehmen?“ Obwohl die Schülerin und Studentin Sophia gerne beim Vater jobbte – just die Frage hatte sie sich nie gestellt.

Dieses „Nicht-Müssen“ stärkt die Frauen für die spätere Führungsposition: Sie haben Alternativen ausprobiert und ihren Horizont erweitert. Männliche Nachkom- » men dagegen stehen traditionell unter höherem Druck, die Nachfolge anzutreten – oder die Eltern mit einem „Nein“ zu enttäuschen. Die freie Wahl müssen sie sich entsprechend aufreibend erkämpfen. Töchtern gestehe man „Zickzackkurse eher zu“, sagt Bettina Daser vom Sigmund-Freud-Institut an der Uni Frankfurt. Die Sozio-Ökonomin hat mit ihrem Kollegen Rolf Haubl eine Studie zu den Erfolgsfaktoren von Töchtern als Unternehmensnachfolgerinnen verfasst.

Das spezielle Vertrauensverhältnis zum Papa ist dabei entscheidend. „Vater-Töchter“ nennen Psychologen diesen Typus: Als Vierjährige spielen sie unter seinem Bürotisch, als 16-Jährige lassen sie sich von ihm die Bilanz erklären. Sie freuen sich mit ihm über Geschäftserfolge und trauern mit ihm über Rückschläge. Die Tochter bewundert, was der Vater aufgebaut hat. Und der Vater weiß später, dass sie sein Lebenswerk in seinem Sinne fortführen wird.

Antje von Dewitz ist so ein Papa-Kind. Seit gut zwei Jahren mischt die 35-Jährige in der Geschäftsführung des Bergsportausrüsters Vaude am Bodensee mit. Nächstes Jahr zieht sich Vater Albrecht, 65, in den Aufsichtsrat zurück, und die Tochter wird Chefin. Die Juniorin denkt, spricht und entscheidet genauso schnell wie der Senior. „Oft sagt einer von uns zwei Worte, und der andere sagt: Sehe ich genauso“, sagt sie.

So wird Antje, die Mittlere von drei Geschwistern, schon als Kind allseits gefragt, ob sie das Unternehmen übernimmt. Nur einer schweigt „ganz bewusst“: Der Vater möchte, dass die Tochter „ihr Glück selbst findet“. Antje von Dewitz studiert Kulturwirtschaft, schnuppert in Medien und Politik herein, macht schließlich ein Praktikum im väterlichen Betrieb. Daraus werden vier Jahre. „Meine Welt“, stellt Antje fest, und bewirbt sich beim Vater um die Nachfolge.

Ihr Abkommen: Der Vater kümmert sich um Technik und Produktentwicklung; die Tochter baut Marketing und Kommunikation auf. Als „wahnsinnig innovativ“ lobt Antje von Dewitz den Vater. Doch nach außen seien Neuerungen nicht klar geworden.

Wer als „Kind von“ im väterlichen Betrieb anfängt, muss sich aber auch vor der Belegschaft beweisen – egal, ob Sohn oder Tochter. Also steigt Sophia von Rundstedt zunächst in der Frankfurter Niederlassung als Vetrieblerin ein, zwei Jahre später rückt sie zur Niederlassungsleiterin auf. „Ich wollte zuerst die harte Arbeit an der Front machen“, sagt sie. Im Vertrieb belegen die Zahlen ihre Leistung: Die anfängliche Skepsis, berichtet eine Mitarbeiterin, sei dem „guten Gefühl gewichen“, dass der Familienbetrieb in die zweite, kompetente Generation geht.

Nur eitel Sonnenschein herrscht bei keinem Führungswechsel. Oft müssen verdiente Kräfte aus der Ära des Vaters gehen, wenn die nicht ebenso 100-prozentig die Pläne der neuen Chefin unterstützen.

Viktoria Strehle startete 2004 nach fünf Jahren Erfahrung im Einkauf der Luxuswarenhäuser Saks in New York und Harrods in London beim väterlichen Mode-Label Strenesse. Neben den Läden verantwortet die 30-Jährige vom schwäbischen Nördlingen aus die Accessoire-Linie. Chef-Designerin ist Stiefmutter Gabriele Strehle. Deren dreiköpfiges Kreativteam, das Schuhe und Taschen entwirft, hat Viktoria neu aufgestellt. „So eine Entscheidung muss ich dem Vorstand plausibel präsentieren. Wie normale Angestellte auch“, betont sie.

Der grundlegende Unterschied: Familienbetriebe operieren stets im Spannungsfeld zwischen emotionalen Bindungen und betriebswirtschaftlicher Ratio. 75 Prozent der deutschen Unternehmen sind familiengeführt, doch nur ein Drittel schafft es in die dritte Generation. Die meisten scheitern nicht am Markt, sondern an Auseinandersetzungen in der Familie. Da ist es entscheidend, wie Konflikte ausgetragen werden. „Frauen streiten konstruktiver“, sagt Nachfolgeexperte Heidbreder. Söhne schwiegen sich mit den Vätern oft aus oder reagierten mit Gegenwehr – beides vernichtet Werte.

Diskussionen mit ihrem Vater-Chef Gerd Strehle, 66, seien „immer von Respekt geprägt“, sagt Junior-Chefin Viktoria. Macht sie einen schrägen Vorschlag, hat der Modeunternehmer einen zur Güte parat: „Okay, wir probieren es ein Mal.“

Töchter verstehen es, diplomatisch neue Elemente ins Unternehmen zu bringen. Während der Gründervater oft in einer bestimmten Technologie zu Hause ist, konzentriert sich die gut ausgebildete Nachfolgerin auf Marketing oder Personal. Folglich haben Vater-Tochter-Duos keine Probleme damit, das Unternehmen jahrelang gemeinsam zu führen; die Ablösung vollzieht sich reibungslos. Das klassische Nachfolge-Dilemma, bei dem der Senior » sich nicht genügend wertgeschätzt fühlt, bleibt aus. Söhne dagegen beharren meist auf einem festen Ausstiegspunkt:  Du oder ich! Das fordern sie nicht aus Respektlosigkeit, klar, sondern um sich aus der Dominanz des Seniors zu befreien. Aber das birgt Sprengstoff genug.

Jedoch etablieren sich auch Nachfolgerinnen im Familienbetrieb nur, wenn sie ihre Position von der des Vaters abgrenzen – als Führungskraft und nicht als Tochter.

Sophia von Rundstedt holte sich taktisch klug die Unterstützung von Dritten. Die Juristin nimmt Bruder Constantin mit zum Nachfolgeforum des Bundes Junger Unternehmer, um das Thema „strukturiert“ anzugehen. Reibungslos gewinnt sie den Bruder für ihr Vorhaben, die Frau an der Spitze zu werden. Gemeinsam überzeugen die beiden anschließend den Vater. Danach ziehen die von Rundstedts noch eine Beraterin vom Institut für Familienstrategie hinzu, für die „Rollenklärung“.

Demnach wird Sophia sich in der Geschäftsführung um den Zweig Beratung kümmern, der Vater ums Kaufmännische. Der Bruder übernimmt eine Führungsaufgabe in der Tochtergesellschaft Rundstedt Transfer, die Personalabbauten begleitet.

Wie den Herrenabend, zu dem Viktoria in den Münchner Shop einlud, mit nur männlichen Gästen, Whisky und Poker-Tischen. Eine Party ohne Frauen – klappt nie, wettete der Vater. Und verlor: Die erste Veranstaltung endete mit ihm, Viktoria und Boris Becker um 4 Uhr morgens. Inzwischen waren bei weiteren Männer-runden Fußballmanager Oliver Bierhoff oder Linde-Chef Wolfgang Reitzle zu Gast, Anzüge gehen bei den „Gentlemen’s only“-Abenden reihenweise über den Ladentisch.

Auch Antje von Dewitz und Vater Albrecht sehen „richtigen Mehrwert“ darin, zu streiten: Beim gemischten Doppel sei eben „nicht so viel Testosteron im Spiel“, erklärt die künftige Vaude-Chefin trocken.

Weibliche Führungsqualitäten weiß der Mittelstand besser zu nutzen. Während fast jeder dritte der rund 3,4 Millionen mittleren Unternehmen von einer Frau geführt wird, stagniert der Anteil der Managerinnen in Konzernen bei zehn Prozent. Bis zum Alter von 30 liegen Frauen hier mit Männern in Führungspositionen gleich auf. Doch nach der Familiengründung fallen sie zurück. In Familienunternehmen dagegen ist die Vereinbarkeit von Kind und Karriere von hohem Wert.

„Meine Tochter ist meine Chefin“, sagt Randolf Rodenstock, ehemals Geschäftsführer des Brillenherstellers Rodenstock, voller Stolz. Die Familienanteile am Traditionsunternehmen hat er mittlerweile verkauft. Jetzt arbeitet der 59-Jährige unter anderem in der Unternehmensberatung seiner Tochter. Zur Nachfolge im Familienbetrieb ist es für Beatrice Rodenstock, die Chefin in vierter Generation geworden wäre, nicht gekommen. Zu jung war sie, als der Vater um 2000 herum erwog, das Unternehmen an Investoren zu veräußern. Dafür predigt er der Tochter und dem Sohn: „Schlagt den Weg ein, der zu euch passt.“

Beatrice findet ihn über Umwege: Im Inhouse-Consulting von DaimlerChrysler entdeckt sie ihr „Unternehmerblut“ und gründet in München eine eigene Beratung namens Naviget. Mittelständler unterstützt sie bei der Nachfolge mit Vater Randolf. Als „entspannt und inspirierend“ beschreibt die 35-Jährige die Zusammenarbeit.

Und wenn sie ihren zweijährigen Sohn mit ins Büro bringt, ist auch die Betreuungsfrage geklärt: „Geh mal zum Opa.“ 

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