Karriere und Moral Wie viel Teufel steckt in Ihnen?

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Natürlich, sagt er heute, seien ihm damals Zweifel an der eigenen Courage gekommen, Skrupel wegen des Verrats am Vorgesetzten und der Konsequenzen. Aber die Alternative wäre gewesen, dass er als Finanzchef für eine Insolvenz mitverantwortlich gewesen wäre – und nichts schadet dem Ansehen eines Controllers mehr als solch ein Eintrag im Lebenslauf. Die Lösung bin ich! Wer darüber klagt, dass ihn der Job korrumpiert, sagt in Wahrheit, dass er zu schwach ist, „für seine Werte auch die beruflichen Konsequenzen zu tragen“, sagt Marcus Schmidt, Personalberater bei Hanover Matrix in München. Über das System schimpfen und gleichzeitig Teil des Systems bleiben ist inkonsequent, solange man nichts dagegen unternimmt. Manager wie Mitarbeiter sind immer Opfer und Täter zugleich. Wer versucht, moralisch Haltung zu bewahren, müsse vor allem „bei sich selbst anfangen“, fordert auch der Managementberater Reinhard Sprenger. Konsumenten können etwa darauf verzichten, Produkte zu kaufen, die den eigenen Wertvorstellungen widersprechen: Wer Massentierhaltung ablehnt, darf eben kein Billigfleisch kaufen; wer die Arbeitsbedingungen auf Kaffeeplantagen kritisiert, muss zu fair gehandeltem Kaffee greifen; wer den Personalabbau eines Konzerns für menschenverachtend hält, wendet sich als Kunde ab und verkauft die Aktien. Schwer ist es nicht, so eine Grundhaltung zu entwickeln. Es kostet nur: fast immer Geld und manchmal auch das Ansehen, wenn man als Weichei, Gutmensch oder Weltverbesserer stigmatisiert wird. Es muss ja nicht gleich ein Boykott sein; die Treue zum eigenen Wort reicht. Beispiel Georg Kulenkampff. Im Dezember vergangenen Jahres trat er als Geschäftsführer des Wohnungsunternehmens Deutsche Annington an, um das Unternehmen mit seinen 230.000 verwalteten Wohnungen an die Börse zu bringen. Nur 48 Stunden vor der Analystenpräsentation wurde der Börsengang jedoch „aus guten und richtigen Gründen“ gestoppt, sagt Kulenkampff. Die Mission war gescheitert, Kulenkampff sollte zurück in die englische Zentrale, die Wohnungsgesellschaft wurde zum ungeliebten Stiefkind der Company. Kulenkampff lehnte das Angebot jedoch ab, weil er der Belegschaft, den Mietervertretern sowie den Landes- und Kommunalpolitikern bei seinem Antritt bekräftigt hatte, dass er seinen Job „als langfristig“ ansehe. Sein Versprechen könne und wolle er „nicht einfach brechen“, begründete er seine Absage an die Londoner Zentrale. Als der Vorstand seine Entscheidung nicht akzeptieren wollte, kündigte er. Das brachte ihm viel Achtung ein, vor allem vor sich selbst. Höre auf deinen Bauch! Wenn Wissenschaftler über Ethik debattieren, kommen sie am Ende immer zu der Frage: Ist Moral angeboren oder wird sie erlernt? Neuste Studien von Hirnforschern und Rechtsphilosophen zeigen: Jeder Mensch besitzt einen angeborenen Sinn für Gut und Böse, einen inneren Moralinstinkt. Der Bonner Philosoph und Neurowissenschaftler Henrik Walter geht davon aus, dass „die Grundregeln des sozialen und damit moralischen Zusammenlebens in uns angelegt sind“. Schon Kinder haben demnach ein Gespür dafür, was richtig ist und was falsch. Unser Unrechtsempfinden werde also nicht erst durch Erziehung und Sozialisation geprägt, so der Neurologe. Allerdings entwickelt sich unser Rechtsempfinden mit den Jahren. Was wir im Jugend- und Erwachsenenalter als Recht oder Unrecht empfinden, entscheide über unsere persönliche Betroffenheit, weiß der Harvard-Psychologe Joshua Greene. In einer Reihe von Befragungen stellte sich heraus, dass beispielsweise Autofahrer einen stark blutenden Verletzten am Straßenrand sofort ins nächste Krankenhaus fahren würden, auch wenn dieser dabei die 200 Dollar teuren Sitzpolster ruiniert – und das unabhängig davon, ob es Zeugen gäbe. Von einer ebenso hohen Spende zur Linderung des Hungers in der Dritten Welt sähen die meisten jedoch ab. Greene’s Fazit: Emotionale Bindung ist Voraussetzung für moralisches Handeln. Gerade im Wirtschaftsleben beruhen aber Entscheidungen oft auf emotional fernen, auf unpersönlich anmutenden Zahlen und Statistiken. Menschliche Schicksale reduzieren sich so zu Excel-Grafiken, und krumme Touren verstecken sich in anonymen Kennziffern wie Ebit-Marge und Deckungsbeitrag. Damit lässt sich zwar das Auge betrügen, nicht aber der Bauch. Deshalb ist es wichtig, gerade bei Entscheidungen in der Grauzone auf sein Bauchgefühl (beziehungsweise das Gewissen) zu hören, und sei es, um sich an die Popularisierung des kategorischen Imperativs zu erinnern: „Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu.“ Fairness lohnt sich! Sei nett, betrüge und belüge nicht – dann wirst du auch selbst nicht betrogen und belogen. Das Prinzip des sogenannten reziproken Altruismus untersuchte der US-Ökonom Vernon Smith bereits in den Sechzigerjahren: Bei seinem Versuch sollten die Probanden Geld in eine Gemeinschaftskasse einzahlen und so vermehren. Der Gewinn wurde anschließend an alle zu gleichen Teilen ausgezahlt. Allerdings hatten die Teilnehmer die Wahl zwischen zwei Strategien: kooperieren und einzahlen oder nicht einzahlen und trotzdem profitieren. Das Experiment zeigte sehr schnell: Spielten alle mit, erzielten sie den höchsten Gewinn. Den höchsten Einzelprofit aber gab’s für egoistische Schmarotzer. Wie zu erwarten war, spielte zu Beginn des Experiments die Mehrheit der Probanden fair, eine Minderheit kassierte mit. Die Ehrlichen waren die Dummen und verhielten sich schon bald ebenfalls eigennützig. Effekt: Der Gemeinschaftsprofit schmolz mit jeder Runde und erreichte zum Schluss seinen Tiefststand. Wie die Stimmung auch. Erst als die Mitspieler Trittbrettfahrer bestrafen konnten, verbesserten sich das Ergebnis und die Atmosphäre schlagartig. Die Sanktionen sorgten für ein neues Gemeinwohl. Der Effekt ist heute vergleichbar mit dem Händler-Feedback im Online-Auktionshaus Ebay: Nur wer dauerhaft fair ist und entsprechend beleumundet wird, macht weiterhin gute Geschäfte. Der Alltag zeigt: Fairness, Ehrlichkeit und Geradlinigkeit sollten unverrückbare Prinzipien bleiben, auch um Reputation und Respekt dauerhaft zu sichern. Suche Sparringpartner! Wer sich immer nur im Dunstkreis derselben Kollegen bewegt, bleibt in einer Art Käseglocke. Die hohen Gehälter, die privilegierte Stellung, der vorauseilende Gehorsam der Untergebenen – all das macht immun gegenüber Zweifeln und Kritik. Spätestens dann, wenn auch der private Freundeskreis nur noch aus Gleichgesinnten derselben Branche besteht, verliert man die Bodenhaftung. Jeder braucht ein soziales Korrektiv, um nicht an der eigenen Zerrissenheit oder Überheblichkeit zugrunde zu gehen – unabhängige Personen – vielleicht der Fachkollege aus einer anderen Firma, ein langjähriger Mentor, der unbeteiligte Joggingpartner –, mit denen Ängste, Sorgen und Bedenken ausgetauscht und weitgehend neutral eingeordnet werden können. Selbst der noch so hartgesottene Haudegen braucht Gelegenheiten, in denen er seine Fehlbarkeit erkennt. Auch Finanzmanager Ganady besprach sich damals mit vertrauten Mitarbeitern und tauschte Informationen aus. „Die Gespräche haben mir die Sicherheit gegeben, dass ich nicht alleine bin mit meiner Meinung“, sagt er heute. Ziel dabei ist auch, das eigene Reflexionsvermögen zu verbessern. Wer ständig mit sich hadert und sich mit seinen Zweifeln im Kreis dreht, braucht externe Impulse, um Denkblockaden aufzulösen. Allerdings haben viele Manager diesen Kontakt zu sich verloren, weil ihre Aufgaben, die 14-Stunden-Tage und täglichen Diskussionen im Job längst die Kontrolle über ihr Leben übernommen haben. Was ihnen fehlt, ist ein Spiegel, der sie wieder erdet und die Prioritäten gerade rückt. Außenstehende leisten hierbei oft die wertvollsten Impulse. Wenn sie weder Unternehmen noch Branche kennen, stehen sie dem Job „kritischer gegenüber“, sagt Berater Sprenger. Ihre Rückmeldung sei deshalb unverblendeter, unangepasster und so erfrischend freimütig, wie nur ein Kumpel das abends beim Bier sagen kann: „Du hast dich ganz schön verändert – und nicht zum Besten!“ Wer drauf hört, profitiert davon mehr als von allen Coachings und Therapien dieser Welt.

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