Karriere Wie Sie mit Gerüchten Ihre Karriere beflügeln oder riskieren

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Bergmann fand ebenso heraus, dass Männer und Frauen inhaltlich anders klatschen: Zwar plaudern beide gleich gerne über das jeweils andere Geschlecht. Frauen neigen bei ihren Erzählungen jedoch eher zum Extrem – „entweder sie werden deutlich gehässiger als Männer oder aber mitfühlender“, so Bergmann. Männer wiede-rum tratschten emotionsloser und thematisieren vornehmlich das neue Auto des Nachbarn, das iPhone des Kollegen oder die Figur seiner Geliebten. Im Kern geht es bei ihnen immer um Trophäen.

Selbst den sprichwörtlichen Kaffeeklatsch halten Forscher mittlerweile für eine männliche Erfindung des 17. Jahrhunderts: Als in London erstmals Kaffee importiert wurde, trafen sich die ausschließlich männlichen Händler in den Kaffeehäusern, kungelten Verträge aus und plauderten über die Kreditwürdigkeit und die Schwächen der Konkurrenten – vermutlich mit großem Genuss. Klatsch ist ein wahrer Balsam für das menschliche Hirn.

Anfang 2006 untersuchte der Wissenschaftler Alex Mesoudi von der schottischen St.-Andrews-Universität dessen Wirkung, ließ seine Probanden vier Texte lesen und anschließend aufschreiben, woran sie sich erinnerten. Dieses Exzerpt erhielten weitere Probanden, die die Texte ihrerseits zusammenfassten. Nach vier Textgenerationen verglich der Forscher das Ergebnis mit dem Original: Im Gedächtnis gut haften blieben jene Passagen, die pikante Details wie Lügen und Untreue enthielten. Sie wurden genauer und umfangreicher wiedergegeben als jene Passagen, die ausschließlich Fakten zu einer Person transportierten.

Konspirative Spekulationen haben Konjunktur, zumal in Krisen und Umbruchphasen. Wenn mehrere Kollegen um einen Posten buhlen, wenn Stellen abgebaut werden oder Rivalitäten überhand nehmen, dann liegen die Nerven blank und der Propagandapegel steigt. Hinter vorgehaltener Hand heißt es dann, dieser sei mit der Aufgabe eigentlich „überfordert“, jener sei nicht „integer“ genug, und sie habe sich ja doch nur „hochgeschlafen“. In dem Maß, wie die Unsicherheit im Unternehmen wächst, die Mehrheit den offiziellen Verlautbarungen misstraut, orientieren sich die Leute zunehmend am Hörensagen.

Auch Wiebke hat das erlebt. Sie ist Geschäftsführerin bei einem mittelständischen Personaldienstleister; damit sie das auch bleibt, möchte sie ebenfalls unerkannt bleiben. Bisher teilte sie sich die Firmenleitung mit dem Inhaber des Unternehmens. Weil der aus Altersgründen bald ausscheiden wird, stieg vor Kurzem ein Dritter in die Geschäftsleitung ein: sein Sohn. Der ist deutlich unerfahrener als Wiebke, jünger, aber ehrgeizig. Mit seinem Antritt wirkte Wiebke mit einem Mal wie eine „lame duck“ – eine ausgebremste Favoritin.

Prompt ging das Gerede los: „Er kann sie eigentlich nicht ausstehen.“ „Ihre Tage in der Firma sind gezählt.“ „In letzter Zeit hat sie ohnehin keine gute Figur abgegeben.“ Selbst Klienten riefen bei ihr an, um sich mit mitleidsvollem Unterton nach ihrem Befinden zu erkundigen. „Eine ganz fiese Tour“, sagt Wiebke. „Egal, was man sagt – entweder es klingt nach Beschwichtigen oder nach einem Gegenangriff.“

Genau darin lauert die Gefahr, auch für den Überbringer der Botschaft selbst. „Wo immer in der Kommunikation ein Vakuum entsteht, werden Gift, Müll und Unrat hineingeworfen“, schrieb der britische Publizist Cyril N. Parkinson. Das kurzfristige Überlegenheitsgefühl, etwas zu verkünden, das noch keiner kennt, kann zum Pyrrhussieg werden. Erstens, weil am Werfer immer etwas vom Dreck kleben bleibt. Zweitens, weil Lästern nicht gerade von noblem Charakter zeugt. Drittens, weil sich die Mitteilung als unwahr herausstellen kann. Dann gilt der Urheber entweder als Lügner oder als ahnungsloser Wichtigtuer. Und nichts schadet der Laufbahn so sehr wie der Ruf, ein Schwätzer zu sein.

„Wer tratscht, verbaut sich Wege“, warnt Stefan Koop, Geschäftsführender Gesellschafter bei der Personalberatung Delta Management Consultants in Hamburg, vor einer allzu losen Zunge. Für die Belegschaft mag Klatsch ein gutes Regulativ sein, um Druck abzubauen und über Chefs und andere Evolutionsfehler herzuziehen. Aber je höher man in der Hierarchie aufsteigt, „desto gefährlicher und justiziabler wird das“, sagt Koop. Schon ein leichtfertiger Kommentar à la „Mann, sieht Stefanie heute scharf aus“ kann eine Abmahnung zur Folge haben. Im Top-Management wird Geschwätzigkeit zum Karrierekiller. Mangelnde Diskretion diskreditiert jeden noch so aussichtsreichen Aufsteiger und nährt den Verdacht, er könnte seiner Neigung auch an empfindlichen Stellen nachgeben, etwa Personalien oder Bilanzzahlen. Schon König Salomo warnte seine Eleven: „Wer als Schwätzer umgeht, plaudert Geheimnisse aus. Darum lasse dich nicht mit einem ein, der viel redet.“

Umgekehrt wäre es zwar anständig, aber auch dämlich, sich kategorisch herauszuhalten. Denn Büroklatsch erfüllt durchaus wichtige soziale Funktionen. Zum einen stärkt er den Zusammenhalt der Gruppe, zum anderen transportiert er unterschwellig deren Werte. Wenn alle über den knickrigen Chef lästern, der den Schampus zu seiner Geburtstagsfeier nicht aus eigener Tasche bezahlte, dann sagen sie damit auch etwas über ihr Anstandsempfinden aus.

Die Dosis macht das Gift. Beim Tratschen sollte jeder „zwischen harmlosem Small Talk und diffamierendem Gerede unterscheiden“, rät Marcus Schmidt, Geschäftsführender Gesellschafter der Personalberatung Hanover Matrix in München. Diffamierungen seien ein absolutes Tabu, Small Talk hingegen sei ein nützliches Instrument zum Eigenmarketing. Getratscht wird so oder so, die Kunst sei, so Schmidt, den Flurfunk dann „entweder zu kanalisieren oder richtig zu nutzen“.

Das gilt besonders für die Opfer gezielter Rufschädigung. Wer solchen Intrigen ausgesetzt ist, kann sie nur selten bis zur Quelle zurückverfolgen und sich kaum wehren. So geraten die Betroffenen in die Defensive, verbrauchen ihre Energie mit Rechtfertigungen, während ihre Produktivität immer weiter sinkt.

Um das durchzustehen, braucht man starke Nerven, sonst passieren Fehler, die der Angreifer nutzt. Oft hilft nur die Offensive, also: Leute, die Gerüchte verbreiten, sofort persönlich und unter vier Augen anzusprechen, nach dem Urheber zu fragen und sich weitere Verbreitung zu verbieten. Auch wenn die Tratschmäuler zunächst dementieren, wird wenigstens der Schaden begrenzt. Wer sich ertappt fühlt, hält in der Regel die Klappe.

Fast noch wichtiger ist, sich nicht selbst zum Opfer zu machen. Es wirkt sowohl souveräner als auch sympathischer, die kolportierten Unwahrheiten etwa in einem Meeting nebenbei anzusprechen und mit Belegen dagegen zu arbeiten – allerdings stets unaufgeregt.

Der größte Fehler wäre, mit gleichen Waffen zurückzuschlagen. „Hüten Sie sich davor, über Ihren Widersacher ebenfalls Gerüchte zu verbreiten“, warnt Personalberater Schmidt. Manch einer hat von dem Auslöser vielleicht gar nichts mitbekommen und sieht nur den Konter. Und dadurch wirkt der Verteidiger prompt selbst wie ein Stuhlbeinsäger. Klüger ist die Haltung von Wilhelm Busch. Der sah im Neid „die aufrichtigste Form der Anerkennung“.

Klatsch und Tratsch lassen sich aber auch gezielt und zum eigenen Vorteil nutzen. Weniger, um andere damit zu beschädigen, sondern vielmehr um eine positive Reputation aufzubauen und den guten Leumund zu festigen. So nutzen Profis vor allem die Macht der po-sitiven Gerüchte, indem sie ein Netz von Mentoren und Verbündeten knüpfen, die gut über sie reden. Stetig an seinem Ruf zu arbeiten wirkt wie ein Schutzschild, hält Intriganten auf Distanz und steigert den Status.

In der Soziologie ist dieser Effekt schon länger als das „Dutch Admiral’s Paradigm“ bekannt: Zwei niederländische Offiziere schworen sich, während ihrer Amtszeit nur Gutes über die Taten des anderen zu berichten. Etwa, dass der eine der beste Mann sei, den die Marine hat, und dass man über die brillanten Ideen des anderen nur staunen könne. Wo immer das Duo auftauchte, verbreitete es Lobesarien über den Partner des Paktes – mit großem Erfolg: Nach ein paar Jahren waren die beiden die jüngsten Admiräle der Niederlande.

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