Karriere Woran man Talent erkennt

Wir schätzen angeborenes Talent mehr als hart erarbeiteten Erfolg. Und häufig zeigt sich bereits in früher Kindheit, wer im Leben Erfolg haben wird. Was Psychologen über die Überflieger herausgefunden haben.

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Pianistin (Foto:Dmitry Quelle: dapd

Schon in der Schule haben es Streber nicht leicht. Wer faul ist, oder zumindest so tut, und trotzdem gute Noten schreibt, hat das bessere Image. Aber warum? Die simple Antwort: Wir schätzen angeborenes Talent mehr als hart erarbeiteten Erfolg.

Ursprünglich stammt der Begriff "Talent" vom griechischen "talanton" ab, was so viel heißt wie "Waage" oder "Gewicht". Im Neuen Testament ist die Rede von einem "anvertrauten Gut", woraus sich das heutige Verständnis ableitet: Talent ist eine Gabe, die man entweder hat oder nicht. Aber wie reagieren wir auf offenkundig talentierte Personen?

Dieser Frage widmeten sich vor wenigen Monaten die Harvard-Doktorandin Chia-Jung Tsay und der Psychologieprofessor Mahzarin Banaji in einer Studie (.pdf). In drei Experimenten wollten sie herausfinden, wie Begabte von anderen bewertet werden.

Im ersten Versuch wurden 103 ausgebildete Musiker im Alter von 18 bis 65 mit zwei unterschiedlichen Pianisten konfrontiert. Zunächst lasen sie deren Kurzporträts, danach hörten sie die beiden 20 Sekunden lang in Aktion. Was die Teilnehmer allerdings nicht wussten: Beide Stücke wurden vom selben Interpreten gespielt – bloß hatten die Wissenschaftler vorher die Lebensläufe der Pianisten verändert.

Aus dem einen ging klar hervor, dass der Klavierspieler eher zur Gruppe der fleißigen und ehrgeizigen Künstler gehörte, während beim anderen Talent die entscheidende Rolle für sein Können spielte – und dieser kleine, aber feine Unterschied wirkte sich erheblich auf die Bewertungen aus.

Zwar gaben die Probanden an, dass für sie regelmäßiges Üben und knallhartes Training die entscheidenden Kriterien seien. Doch als sie die beiden Pianisten benoten sollten, verhielten sie sich völlig anders. Dem Naturtalent gaben sie nicht nur bessere Bewertungen und sagten ihm höhere Erfolgschancen voraus. Sie waren auch wesentlich eher dazu bereit, ihn einzustellen.

In zwei weiteren Experimenten war das Resultat dasselbe: Wieder bekamen die Naturtalente bessere Noten – obwohl den Befragten harte Arbeit eigentlich wichtiger war. Offenbar schätzen wir angeborenes Talent mehr als Fleiß und Ehrgeiz – so wie in der Schule.

Quälende Fragen

Bin ich talentiert? Wenn ja, wie früh zeigt sich eine solch sagenumwobene Begabung? Und wodurch? Zu all diesen quälenden Fragen haben Psychologen in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Antworten gefunden. Die jüngsten Untersuchungen legen vor allem einen Schluss nahe: Schon in früher Kindheit zeigt sich, wer im Leben Erfolg haben wird

Beispiel Schulnoten. Als die Psychologin Sabrina Trapmann von der Universität Hohenheim 2007 sämtliche seit 1980 publizierten europäischen Studien analysierte, die sich dem Zusammenhang zwischen Schulnoten und Hochschulexamen widmeten, kam sie zu dem erstaunlichen Ergebnis: Die Abinote ist das "valideste" Einzelindiz für den späteren Studienerfolg. Mit anderen Worten: Wer ein gutes Abitur gemacht hat, schneidet auch im Examen überdurchschnittlich gut ab.

Herausragende Talente faszinieren Forscher seit Jahrzehnten. 1911 begleitete der ungarische Psychologe Géza Révész ein musikalisches Wunderkind namens Erwin Nyiregyhazi. Der konnte mit drei Jahren Melodien nachsingen, mit vier Klavier spielen und komponieren. In den Fünfzigerjahren wiederum studierte der US-Ökonom Nathan Leites die Gemeinsamkeiten von Überfliegern in der damaligen Sowjetunion. Alle konnten sich über einen langen Zeitraum konzentrieren und waren stets neugierig.

Erfolgreiche Eigenschaften

Um eine Persönlichkeit zu beschreiben, haben Psychologen das Modell der "Big Five" entwickelt. Dabei handelt es sich um fünf Merkmale, die bei Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sind: Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, soziale Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Jetzt zeigt sich: Besonders talentierte Menschen sind nicht nur neugierig und offen für neue Erlebnisse – sondern auch überdurchschnittlich gewissenhaft.

Darauf deuten etwa Untersuchungen des Psychologie-Professors Heinz Schuler von der Universität Hohenheim hin. Wer zu Neurotizismus neigt – also Nervosität oder geringer Stressresistenz – ist tendenziell schneller unzufrieden mit dem Studium, bricht ab oder scheitert. Menschen, die sich hingegen durch besondere Gewissenhaftigkeit auszeichneten, hatten die besten Noten.

Die Psychologieprofessorin Angela Duckworth von der Universität von Pennsylvania hat vor kurzem noch eine weitere karrierefördernde Eigenschaft ausfindig gemacht: Biss. Duckworth versteht darunter die Leidenschaft und Ausdauer, langfristige Ziele zu verfolgen. Für ihre Untersuchungen besuchte sie 273 Finalisten des "Spelling Bee", einem traditionsreichen US-Wettbewerb, bei dem Schüler Fremdwörter buchstabieren müssen.

Zuvor analysierte Duckworth anhand standardisierter Fragebögen, wie viel Biss die Kinder im Alter von 7 bis 15 Jahren bereits hatten. Außerdem absolvierten die Schüler einen Intelligenztest. Als Duckworth anschließend die Ergebnisse des Buchstabierwettbewerbs auswertete, bemerkte sie: Biss war für den Erfolg weitaus wichtiger als der Intelligenzquotient. Kinder mit Durchhaltevermögen übten nicht nur länger – sie schnitten auch besser ab.

Duckworth konnte in vielen weiteren Arbeiten die hohe Bedeutung von frühzeitiger Selbstdisziplin bestätigen: Bissige Schüler hatten nicht nur bessere Noten, sie fehlten seltener in der Schule, hatten mehr Spaß am Lernen, machten häufiger ihre Hausaufgaben und guckten weniger Fernsehen.

Wer jetzt zurückblickt und keine übermäßigen Begabungen an sich und seinen Kindern entdeckt: Wie bei jeder Regel gibt es auch hier Ausnahmen. Die berühmte Kinderbuchautorin Astrid Lindgren veröffentlichte ihr erstes Buch mit 37. Und der US-Geschäftsmann Solomon Guggenheim war schon 66, als er mit dem Sammeln moderner Kunst begann.

Wie so oft gilt also: Besser spät als nie.

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