Kontroll-Profis Beste Berufschancen für hauptberufliche Aufsichtsräte

Schärfere Gesetze, härtere Kontrollen: Unternehmen engagieren zunehmend hauptberufliche Aufsichtsräte. Dieses neue Berufsbild bietet beste Chancen – nicht nur für eine zweite Karriere.

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Klaus Bukenberger Quelle: Deniz Saylan

Klaus Bukenbergers Bühne ist ein Sitzungszimmer mitten im Schwarzwald, in Waldkirch bei Freiburg. In dem 20.000-Einwohner-Städtchen sitzt Sick, der Weltmarktführer für Industriesensoren. Und hier läuft der 51-jährige Ex-Manager zu Hochform auf: Wie sind die Zahlen? Sind die Maschinen ausgelastet? Wo steigen die Kosten? Bukenberger hakt nach: Wie stellt sich das Unternehmen auf steigende Rohstoffpreise ein? Mit immer neuen Fragen bringt er das Management zu klaren Antworten. Und seine Fragen stellt er nicht nur bei Sick. Bukenberger kontrolliert die Geschäfte von sechs Unternehmen, und damit ist er Angehöriger einer neuen Spezies: Er ist hauptberuflich Aufsichtsrat.

Bisher erledigten Aufsichtsräte ihre Arbeit oft neben einem Job im Management. Doch die Anforderungen an Aufseher sind heute größer denn je. Sie brauchen genaue Kenntnisse der Branche, ein Gefühl für Finanzen und Erfahrung bei der Auswahl von Führungspersonal. Zudem müssen sie sich zügiger in immer neue Technologien einarbeiten und stehen unter Druck durch schärfere Gesetze. Nebenbei ist der Aufsichts-Job kaum noch zu bewältigen. Deshalb heuert eine wachsende Zahl von Unternehmen professionelle Aufsichtsräte an. Viele machen damit gute Erfahrungen. Doch qualifizierte Profi-Aufseher sind zunehmend schwerer zu finden.

Denn es sind Praktiker gefragt. Wer einen Vorstand kontrollieren und beraten will, muss selbst schon einmal Führungskräfte angeheuert und entlassen haben –  so wie Bukenberger es viele Jahre getan hat. Schon mit 29 Jahren saß der Wirtschaftsingenieur im Vorstand eines Automobilzulieferers. Später steuerte er acht Jahre lang als Chef die 5000 Mitarbeiter des Maschinenbauers Homag. Doch ihm war immer klar, dass das keine Lebensaufgabe ist, weil er nicht nur operativ, sondern auch strategisch arbeiten wollte.

Ein zeitaufwendiger Job, der sich lohnt

Das kann er jetzt. Sechs Aufsichtsmandate hat Bukenberger. Neben dem Sensorenhersteller Sick fühlt er mit seinen Fragen auch dem Management seines alten Arbeitgebers Homag auf den Zahn, ebenso kontrolliert er die Geschäfte des Messgeräte-Herstellers Carl Mahr. Mehr als sechs Mandate könne man allerdings kaum seriös ausfüllen, sagt Bukenberger. Denn der Job kostet viel Zeit.

Noch vor ein paar Jahren waren Aufsichtsratssitzungen in der Regel "nach wenigen Stunden erledigt", sagt Bukenberger. Heute dauert eine Sitzung den ganzen Tag. Vor allem, weil nach großen Wirtschaftsskandalen die Gesetze immer wieder verschärft wurden, müssen die Kontrolleure viel genauer hinsehen. Alleine der Umfang des Jahresabschlusses, den Bukenberger mit dem Wirtschaftsprüfer im Prüfungsausschuss durchgeht, hat sich in den vergangenen Jahren durch die neuen Bilanzierungsregeln verdoppelt.

Etwa 60 Tage im Jahr ist Bukenberger mit dem Aufseher-Job bei Sick beschäftigt, für die übrigen Mandate ist er bis zu 20 Tage unterwegs. Aufsichtsräte, die ein Großunternehmen kontrollieren, haben oft alleine damit schon eine Vollzeitbeschäftigung.

Regelmäßig trifft Bukenberger die Vorstände, um über aktuelle Entwicklungen zu diskutieren. Energiekosten sind dann Thema oder die Geschäfte von Tochtergesellschaften. Aufsichtsräte beraten die Vorstände, sie stärken ihnen den Rücken gegen den Druck des Kapitalmarktes.

Doch sie müssen auch unbequem sein. Ist das Vertrauen gestört, "muss der Aufsichtsrat einen Vorstandswechsel herbeiführen", sagt Wolfram Nolte, der seit sieben Jahren als Berufsaufseher arbeitet. Um solche Entscheidungen treffen zu können, brauchen sie unabhängige Informationen.

Zunehmend setzt sich in Aufsichtsräten deswegen "die Praxis der Informationsholschuld durch", sagt Nolte. Heißt: "Der Aufsichtsrat beschafft sich Zahlen auf eigene Faust, wenn er glaubt, dass der Vorstand Informationen zurückhält. Notfalls engagiert er unabhängige Gutachter, um sich einen Überblick zu verschaffen. Diplomatie sei dabei zweitrangig, sagt Nolte. Im Umgang mit Vorstand, Aktionären und Arbeitnehmern komme es vor allem "auf Klarheit und Wahrheit an".

Nolte weiß, wovon er spricht. Sein arbeitsintensivstes Mandat ist der Aufsichtsratsvorsitz bei dem Bürodienstleister Triumph Adler. Ein schwerer Job. Bis vor zwei Jahren steckte das Unternehmen in einer turbulenten Umstrukturierung: Die Produktion in Deutschland musste geschlossen werden, Hunderte Mitarbeiter verloren den Job. Um das Unternehmen zu retten, wurde es von einem Hersteller von Büro-Ausrüstung zu einem Beratungsunternehmen umgebaut. Seit zwei Jahren kann Triumph Adler wieder Gewinne verkünden – ein schöner Erfolg, auch für Nolte.

Seine langjährige Management-Erfahrung half dem 58-Jährigen bei den Entscheidungen. Nach seinem MBA an der Wharton Business School arbeitete Nolte viele Jahre im Beratungsunternehmen McKinsey, zuletzt als Vorstand des Versicherungskonzerns Axa.

Andere Unternehmen müssen lange nach Experten wie Nolte suchen. „Die meisten Mandate werden aus dem Beziehungsnetz der Aufsichtsratsvorsitzenden besetzt“, sagt der Spezialist für die Suche nach Aufsichtsräten, Florian Schilling von Board Consultants International.

Doch das Beziehungsnetz reicht oft nicht mehr aus, weil eine wachsende Zahl von Unternehmen professionelles Aufsichtspersonal anheuert. Für viele ist ein Aufsichtsrat ohnehin Pflicht, darunter die rund 16.000 Aktiengesellschaften in Deutschland, die 8500 Genossenschaften und die rund 32.000 GmbHs mit mehr als 500 Mitarbeitern.

Inzwischen gründen aber auch kleinere Unternehmen öfter sogenannte Beiräte, das sind freiwillige Aufsichts- und Beratungsgremien in mittelständischen Firmen. Und das spüren vor allem die Personalberater.

Etwa 15 Prozent aller Aufsichtsratsposten in Deutschland werden durch externe Berater besetzt, schätzt Experte Schilling. Und die Nachfrage steigt gerade spürbar. Um 25 Prozent habe die Zahl der Anfragen nach Berufsaufsichtsräten alleine in den vergangenen Monaten zugenommen, schätzt der Personalberater Marcus Labbé, der auch Aufsichtspersonal vermittelt.

Während sich die Aufseher-Szene professionalisiert, interessieren sich auch jüngere Manager für den Beruf. Bei Axel Smend, der mit seinem Beratungsunternehmen Deutsche Agentur für Aufsichtsräte Kontrollgremien coacht, melden sich zunehmend Manager ab 45 Jahren.

Gesucht: Manager mit Berufserfahrung

Und die sind gern gesehen. „Jüngere Aufsichtsräte bringen andere Sichtweisen ein“, sagt Nolte. Sie haben oft mehr internationale Erfahrung als ältere Kollegen, sind eher bereit, Konflikte mit Vorständen auszutragen und zudem neuen Technologien gegenüber offener eingestellt. Aber zehn Jahre Management-Erfahrung sollten Aufsichtsräte in spe in jedem Fall mitbringen – und das nötige Handwerk.

Wer da Nachholbedarf hat, kann im Schlosshotel Reichenschwand für knapp 10.500 Euro nacharbeiten, im Kurs „Qualifizierter Aufsichtsrat/Beirat für den Mittelstand“. Dieser erste Lehrgang für angehende Aufsichtsräte und Beiräte wurde von Berater Labbé entwickelt. Dabei frischen neun Top-Manager in drei mal drei Tagen ihr Wissen auf: Jura, Risikomanagement, Bilanzanalyse und Planungsinstrumente.

Einer, der in der alten Wasserburg die Schulbank drückt, ist Manfred Bohn. Noch ist Bohn Direktor für Finanzen und Personal in einem großen Konzern. Ende des Jahres geht er in Rente und hat mit Anfang 60 noch „Zeit für neue Aufgaben“, wie er sagt. Er will seine Management-Erfahrungen einem mittelständischen Unternehmen zur Verfügung stellen.

Erfahrungen weitergeben, auf die strategische Seite wechseln und Geld verdienen – das sind die wichtigsten Motive der Berufs-Aufseher.

Doch der Job birgt auch Risiken: Viele Aufsichtsräte machen sich nicht klar, dass sie bei persönlicher Pflichtverletzung auch mit ihrem Privatvermögen haften. Ein Aufsichtsrat verletzt seine Pflichten schon dann, wenn er versäumt, sich Informationen einzuholen. Oder wenn er zu spät auf unvorhergesehene wirtschaftliche Entwicklungen des Unternehmens reagiert.

So stand der Aufsichtsratsvorsitzende eines bayrischen Gastronomieunternehmens vor Gericht, weil er nicht unverzüglich eine außerordentliche Sitzung einberufen hatte. Dabei wusste er nachweislich von der massiven Krise der Firma. Die Klage wurde später vom Gericht zurückgewiesen und der Mann kam mit einem blauen Auge davon. Doch das muss keineswegs immer so ausgehen.

Selbst für operative Entscheidungen des Managements können Aufsichtsräte belangt werden. Wenn sich etwa ein Geschäft, dem der Aufsichtsrat zugestimmt hat, als Verlustbringer für das Unternehmen herausstellt, kann er belangt werden. Experten empfehlen angehenden Aufsichtsräten deswegen, unbedingt eine Managerhaftpflichtversicherung abzuschließen.

Gemessen an diesen Risiken, verdienen Aufsichtsräte wenig – vor allem in kleineren Unternehmen. Im Mittelstand hängt die Höhe der Vergütung von der Firmengröße ab, aber auch von der Branche und der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens. Laut dem Experten-Netzwerk Mittelstandplus, das auch Aufsichtspersonal vermittelt, erhalten Kontrolleure von Unternehmen mit mehr als 500 Millionen Euro Umsatz durchschnittlich 31.000 Euro im Jahr. Unternehmen mit weniger Jahresumsatz zahlen ihren Aufsehern zwischen 5000 und 20.000 Euro.

Gute Gehaltsaussichten in großen Firmen

Das muss sich ändern, um den Beruf für Manager attraktiver zu machen. „Die Entlohnung von Berufsaufsichtsräten sollte sich – auf Tagessätze bezogen – an Vorstandsbezügen orientieren“, sagt Berater Labbé. Große Konzerne sind da weiter.

Dort hat sich die Bezahlung in den vergangenen Jahren kontinuierlich verbessert. Rund acht Prozent legten die Gehälter der Aufseher in Dax-Konzernen zuletzt zu, belegt eine Studie der Beratungsfirma Towers Perrin. Das höchste Honorar aller Dax-Aufseher kassierte der Aufsichtschef der Deutschen Bank: Clemens Börsig bekommt für seine Arbeit 618.000 Euro im Jahr.

Es gibt aber noch andere Gründe, Berufsaufsichtsrat zu werden: die Lust auf Neues zum Beispiel. Denn Aufsichtsräte müssen sich nicht nur auf ein Unternehmen konzentrieren, sie können sich in verschiedenen Branchen engagieren.

Das macht den Beruf als zweiten Karriereweg so attraktiv. Klaus Bukenberger schätzt es, für verschiedene Unternehmen zu arbeiten und gleichzeitig noch Freiraum für die Familie zu haben, Messen zu besuchen und zwischendurch in aller Ruhe in seinem Büro in der Stuttgarter Königsstraße zu grübeln.

Sein Berufskollege Wolfram Nolte erweitert seinen Horizont noch konsequenter. Er bringt als Vorstand den Museumsverein der Kölner Museen auf Vordermann, wirkt in zahlreichen Kuratorien, etwa der Rheinischen Musikschule mit und widmet sich einer alten Liebe, dem Klavierspiel.

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