Warum digitales Arbeiten für First Line Worker bisher in den Kinderschuhen steckt, kann Geißler nur mit den zähen Lernprozessen bei den Unternehmensführungen erklären. „Der Büroarbeitsplatz gilt vielen immer noch als der ‚wertvollere‘. Wenn in Firmen Entscheidungen getroffen werden, betreffen sie zunächst das Innere des Firmengebäudes, und später die Außendienstler“, meint der Dresdner, und nennt den ADAC als Beispiel: Schickes Hauptquartier in München, die Gelben Engel auf den Straßen hätten aber lange Zeit keine topaktuelle digitale Ausstattung und Vernetzung gehabt – obwohl es Sinn ergäbe.
Hierarchien stehen besserer Ausstattung für First Line Worker im Weg. „Überspitzt gesagt: Viele Chefs sehen nicht ein, dass ihre normalen Mitarbeiter ein iPhone kriegen sollen, weil sie meinen, das wäre ihnen vorbehalten. ‚Der soll doch froh sein, dass er einen Computer hat‘, bekam ich schon zu hören“, erzählt Peter Geißler aus seiner Seminarpraxis. Andere äußerten die Angst, ihre Mitarbeiter könnten auf Diensthandys privat im Internet surfen. „Können Sie denn verhindern, dass die das mit ihren privaten Smartphones tun“, frage er dann zurück und lacht. Solches Denken sei im Handwerk „besonders krass“ ausgeprägt. Zumindest Installateur Holger Köster kann das nicht bestätigen. "Warum soll ein Mitarbeiter denn nicht nach einem Termin seine Freundin anrufen oder mit ihr chatten?", fragt er. Die Lösung im Düsseldorfer Betrieb: Die Firma beteiligt sich an den monatlichen Handykosten, Gerät und Vertrag besorgen sich die Mitarbeiter selbst.
Geld ist häufig ein weiteres Hindernis bei der Digitalisierung von Betrieben. Wenn massenhaft stationäre Rechner in einer Firma vorhanden sind, ist der Wille gering, mobile Geräte anzuschaffen, hat Peter Geißler beobachtet. PCs nützen den Mitarbeitern draußen allerdings nichts. Immerhin beobachtet Geißler aus seinen Seminargesprächen, dass jetzt „massenhaft Laptops ausgeteilt werden, weil die Preise okay sind“. Doch ohne Plan und Strategie sind solche Anschaffungen reiner Aktionismus. Die nächste Hürde seien dann die Lizenzen für die Betriebssoftware, bei denen viele Firmen gerne sparen.
Bahnkunden checken sich selbst ein
Die Deutsche Bahn teilt dagegen mit, den Azubis, die 2017 beim Unternehmen angefangen haben, erstmals Tablets im Wert von 700.000 Euro ausgehändigt zu haben. Die Geräte sollen den Alltag im Bahnberuf erleichtern, indem dort Fahrtenbuch, Intranet und andere Programme gebündelt sind. Das, so ein Bahnsprecher, spare "kiloweise Ordner mit aktuellen Informationen zu Fahrplan und Strecke".
Digitalisierung an der Schnittstelle zwischen Servicemitarbeiter und Kunde bedeutet häufig jedoch auch, dass der Kunde wieder mehr selbst erledigen muss - Stichwort Fahrkartenschalter. Was man bereits vom Selbsteinchecken im Flugzeug kennt, will auch die Bahn nach und nach einführen: Bahnreisende können sich bereits jetzt in einzelnen Zügen selbst kontrollieren. Der Konzern nennt dies "Komfort Check-In" und betont, die Reisenden müssten dann nicht mehr beim Schlafen oder Arbeiten durch die Fahrkartenkontrolle gestört werden.
Digitalisierung nicht aussitzen
Genauso wie bei den Büroarbeitsplätzen braucht es für die Berufe mit Menschenkontakt nun vereinte Kraftanstrengungen von Führungskräften und Mitarbeitern. Erste Webinare und Seminare sind auf dem Markt, um Führungskräften erst einmal zu zeigen, was möglich und nötig ist. Bei den Mitarbeitern gibt es unterdessen - wie bei den Büroarbeitern - den Reflex, auf Veränderungen erst einmal abwehrend zu reagieren. „Man muss die Mitarbeiter oft mit Samthandschuhen anfassen, wenn es um Veränderungen geht. Das ist eben so“, sagt Peter Geißler.
"Menschen müssen in neuer Arbeitswelt mitkommen"
Bei der Bahn gilt seit 2016 ein sogenannter Tarifvertrag 4.0, der ein Recht auf digitale Weiterbildung und Qualifizierung festschreibt. Trotz des Versprechens der Beschäftigungssicherung steckt in dem Recht natürlich auch eine Pflicht: "Qualifizierung und Bindung werden angesichts des zunehmenden Fachkräftebedarfs aber immer wichtiger", sagt der Bahnsprecher.
Die Klempner der Firma Horst Schmitz dagegen haben sich gegen die neue Technik nicht gesträubt, berichtet Holger Köster. Vielleicht auch deshalb, weil die Umstellung auf das heutige System bereits 2006 erfolgte. Das war damals natürlich noch viel weniger digital als heute. Trotzdem hat es die Lernprozesse offensichtlich erleichtert. Peter Geißler appelliert an Führungskräfte und Unternehmenschefs, die Digitalisierung auch bei den handwerklichen Berufen nicht mehr auszusitzen. "Viele denken: 'Das betrifft mich nicht, ich bin Schraubenverkäufer.' Das ist fatal.“