Digitalisierung an der Frontlinie Wenn der Handwerker mit dem Tablet kommt

Digitalisierung aller Berufe Quelle: imago images

Wie sieht der digitale Arbeitsplatz aus, wenn es kein Schreibtisch ist? Häufig gibt es ihn nicht, bemängeln Experten. Mehr noch: Manchen Handwerkern werde nicht einmal ein Smartphone gegönnt. Es geht aber auch anders.

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Beim Gas- und Wasserinstallateurmeisterbetrieb Horst Schmitz in Düsseldorf hat die Digitalisierung schon Einzug gehalten. Holger Köster, einer der vier Geschäftsführer, sitzt an einem trüben Januartag in Arbeitskleidung an seinem Schreibtisch und schaut sich auf zwei großen Bildschirmen Aufträge und Rechnungen an. Die Firma hat sich bereits vor zwölf Jahren nach reiflicher Überlegung eine passende Software speziell für Handwerksbetriebe angeschafft, mit der Angebotsunterbreitung und Kundendienst verwaltet werden können. "Unser Ziel ist das papierfreie Büro", sagt Köster. Hinter ihm auf der Fensterbank liegen trotzdem ein paar Bögen Papier, von Hand ausgefüllte Formulare. "Viele Kunden wollen noch etwas in der Hand halten", erklärt der Installateur und Heizungsbauermeister.

Solange digitalisierte Abläufe die Kunden nicht abschrecken oder überfordern, ist es der Firma im Stadtteil Pempelfort aber ernst mit der Digitalisierung. "Es ist viel einfacher geworden", sagt Köster und weist auf ein Formular auf seinem Bildschirm, das ein Kunde bei seinem Kollegen auf dessen Laptopdisplay mit einem speziellen Stift unterschrieben hat. Danach lief das Formular elektronisch über die Software im Büro ein und kann nun bearbeitet werden. Falls der Kunde die Rechnung per E-Mail akzeptiert, muss der Vorgang im Idealfall nur noch einmal für die Buchhaltung ausgedruckt werden - die ist immer noch analog.

Die Düsseldorfer Firma würde sicher großes Lob von Peter Geißler bekommen. Er schult für die Dresdner Beratungsfirma Communardo Unternehmenslenker und Personaler. "Bei Digitalisierung denken die meisten an vernetzte Büroarbeitsplätze, Geräte mit Touchscreen und vielleicht auch noch an Roboter in Fabrikhallen. Das ist ein Fehler", sagt Geißler. „Ein Großteil der produktiven Mitarbeiter sind Nicht-Büro-Arbeiter, die bisher keinen eigenen PC-Arbeitsplatz haben. Aber auch ihre Berufe sind von der Digitalisierung betroffen.“

Fortschritt mit Schattenseiten

Geißler nennte diese Mitarbeiter First Line Worker - die Arbeiter an der Front. Sie stehen meist im direkten Kontakt mit Kunden, Patienten oder Fahrgästen. Die Vielfalt der Anwendungsfelder macht es offenbar schwer für Firmen, die richtige technische Lösung zu finden. „Es geht darum, dass man alle Berufe prüft und schaut, wie die Prozesse laufen, wo man beschleunigen, transparenter machen oder mehr Austausch schaffen kann“, erklärt Digitalcoach Geißler aus Dresden. „Um das herauszufinden, muss man sie erzählen lassen.“

Wer ab und zu Zug fährt, dürfte es bemerkt haben: Neben einem Fahrkartenknipser haben Schaffner schon seit Jahren große Geräte am Gürtel hängen, die ausgedruckte Online-Tickets und Handytickets direkt vom Display scannen können. Die Deutsche Bahn hat hier bereits eine Lösung für einen konkreten Anwendungsfall gefunden. Der Konzern musste früh handeln, weil Millionen Kunden auf der anderen Seite den Fortschritt erwarteten. Das Beispiel Bahn zeigt aber auch die Zweischneidigkeit, die Digitalisierung haben kann: Digitale Tickets sind bereits Standard, wer aber lieber am Schalter kaufen möchte, muss Gebühren dafür bezahlen und unter Umständen länger warten.

"Den Lösungen sind kaum Grenzen gesetzt"

Bei der gigantischen Umstellung aller Berufe auf elektronisch automatisierte Prozesse geht es indes um mehr als um die Fahrkartenkontrolle oder um die Stifteingabe auf Touchscreens. Die Digitalisierung für die Arbeiter an der Front ist im ersten Schritt komplex - kann aber eine deutliche Erleichterung bringen. Im Betrieb Horst Schmitz in Düsseldorf läuft die Kommunikation innerhalb der Firma durch den Einsatz der technischen Helfer reibungsloser und schneller als früher. "Fehlt ein Teil, kann der Mitarbeiter im Kundendienst schnell ein Foto ans Büro schicken oder direkt von seinem Dienstlaptop die Bestellung aufgeben. Dort hat er Zugriff auf alle Herstellerlisten", sagt Geschäftsführer Holger Köster. Die Kollegen auf den Baustellen seien zwar nur mit Smartphones ausgerüstet, könnten aber immerhin jederzeit die Zentrale erreichen.

Peter Geißler ist von den Möglichkeiten begeistert. "Auch in einem Pflegeberuf kann es eine große Erleichterung sein, nicht mehr alles von Hand in Formulare eintragen zu müssen", erklärt er. Oder wenn auf einen Klick Ansprechpartner auffindbar sind. "Wenn der Anwendungsfall verstanden ist, sind für die Lösung kaum Grenzen gesetzt", sagt Geißler. Er sieht vor seinem inneren Auge schon Baustellen, auf denen Arbeiter Stückzahlen abfragen und Nachschub ordern können. Und mehr Handwerker, deren Kunden wie bei Horst Schmitz in Düsseldorf keine zerknitterten Formulare mehr abzeichnen müssen.

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