Egal, ob sie in Zeitschriften schmökern, Kongresse besuchen oder den Worten ihrer Chefs lauschen: Stets wird Führungskräften das Gefühl vermittelt, dass in ihren Unternehmen kein Stein auf dem anderen bleiben darf. „Und was wird dann aus mir?“ Das fragt sich insgeheim so manche Führungskraft. Denn im Zusammenhang mit der Diskussion über digitale Transformation, Agilität und Industrie 4.0 wird immer wieder die Frage laut, ob Führung überhaupt noch gefragt ist. Die Zukunft scheint vielmehr sich selbst steuernden Teams zu gehören, die sich bedarfs- und situationsabhängig neu formieren.
Führung wird immer wichtiger
Zweifellos, die meisten Unternehmen werden sich in den kommenden Jahren stark verändern. Neben ihren Strukturen und den Arbeitsbeziehungen in ihnen werden sich oft auch ihre Geschäftsmodelle wandeln. Doch eines wird sich nicht verändern: der Mitarbeiter. Er wird sich weiterhin Halt und Orientierung wünschen – gerade wenn im Unternehmen selbst und in dessen Umfeld scheinbar alles im Fluss ist.
Zur Person
Barbara Liebermeister ist Wirtschaftswissenschaftlerin und Managementberaterin und leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ). Das IFIDZ unterstützt Unternehmen dabei, ihren Mitarbeitern die Kompetenzen zu vermitteln, die sie im digitalen Zeitalter brauchen. Ende März erscheint Liebermeisters neues Buch „Digital ist egal: Mensch bleibt Mensch – Führung entscheidet“.
Letztlich können ihm nur Führungskräfte diesen Halt geben. Deshalb wird Führung in den Unternehmen in Zukunft immer wichtiger werden – gerade weil es im Unternehmenskontext nichts mehr gibt, worauf man als Mitarbeiter bauen und vertrauen kann.
Das bedeutet aber auch, dass sich die Art zu führen, im digitalen Zeitalter radikal wandeln muss. Denn:
Die für den Unternehmenserfolg relevanten Leistungen werden immer weniger in einzelnen Bereichen, sondern zunehmend von bereichs- und oft sogar unternehmensübergreifenden Teams erbracht. Für die Führungskräfte bedeutet dies: Sie haben immer seltener einen unmittelbaren Zugriff auf ihre Mitarbeiter. Sie müssen diese zunehmend loslassen beziehungsweise an der langen Leine führen und auf ihre Loyalität, Integrität und Kompetenz vertrauen.
Die für die (firmeninternen) Kunden erbrachten Lösungen setzen immer mehr Spezialwissen voraus, das die Führungskräfte selbst nicht haben. Für die Führungskräfte bedeutet dies: Sie haben immer seltener einen Wissens- und Erfahrungsvorsprung vor ihren Mitarbeitern. Und sie sind beim Erbringen der gewünschten Leistung sozusagen existenziell auf die Kompetenz ihrer Mitarbeiter angewiesen und müssen die Spezialisten in ihre Teams integrieren können.
Die von den Unternehmen erarbeiteten Strategien, Planungen usw. haben eine immer kürzere Gültigkeitsdauer. Sie stehen sozusagen permanent auf dem Prüfstand. Für die Führungskräfte bedeutet dies: Sie können die Arbeit und Zusammenarbeit immer weniger langfristig planen; sie müssen sozusagen „auf Sicht“ fahren und im Dialog mit ihren Mitarbeitern die Arbeit stets neu justieren.
Die Führungskräfte und ihre Bereiche stehen immer häufiger vor neuen Herausforderungen, für die sie noch keine Lösung haben. Für die Führungskräfte bedeutet dies: Sie können ihren Mitarbeitern immer seltener sagen, „Tue dies oder tue das, dann haben wir Erfolg“. Sie müssen vielmehr mit ihren Mitarbeitern immer häufiger sozusagen kleine Versuchsballons starten, was könnte die richtige Lösung sein, und dann im Prozess ermitteln, was zielführend ist.
Führungskräfte müssen „Marken“ werden
Mit Anweisungen nach dem klassischen Befehl- und Gehorsam-Prinzip kommen Manager hier nicht weiter. Genauso wenig hilft es, sich als die fachlichen Alles-besser-Wisser zu profilieren. Der einzig mögliche Lösungsweg in einem solchen Umfeld ist: Die Führungskräfte müssen sich zu echten Leadern entwickeln, also Persönlichkeitsmarken, denen die Mitarbeiter vertrauen. Das klingt abstrakt, doch hat konkrete Auswirkungen für das Selbstverständnis und Verhalten von Führungskräften.
Führungskräfte müssen für Werte stehen
Eine Marke kennzeichnen unter anderem zwei Faktoren. Erstens: Sie ist aufgrund ihres Auftritts beziehungsweise Erscheinungsbilds wiedererkennbar. Und zweitens: Sie gibt den Kunden ein klares Leistungsversprechen. So wie zum Beispiel das Unternehmen Audi seinen Kunden mit dem Slogan „Vorsprung durch Technik“ oder das Unternehmen BMW mit seinem Slogan „Freude am Fahren“. Diese Slogans fassen sozusagen formelhaft die Vorzüge zusammen, die die Produkte der Unternehmen Audi und BMW auszeichnen.
Ähnlich verhält es sich mit Führungskräften, die aus Sicht der Personen, die mit ihnen Kontakt haben, eine „Persönlichkeitsmarke“ sind. Auch sie stehen für ihr Umfeld erkennbar für konkrete Werte und Überzeugungen, die sich wiederum in ihrem Verhalten dokumentieren. Also lautet die erste Anforderung an Führungskräfte, die sich zu einer Persönlichkeitsmarke entwickeln möchten: Sie müssen sich ihrer Werte und Überzeugungen sowie Stärken bewusst werden – also darüber, was sie als Person einzigartig und unverwechselbar macht.
Dazu zählt auch das Kennen der eigenen Schwächen. Denn erst aus dem Bewusstsein unserer Stärken und Schwächen erwächst das erforderliche Selbstverständnis für unsere mögliche Wirkung. Und dieses hilft uns wiederum, nicht nur an „Schönwetter-Tagen“, sondern auch, wenn es (im Unternehmen oder Markt) „stürmt und schneit“ eine souveräne Haltung einzunehmen und zu zeigen. Und dies ist wiederum ein deutliches Signal für unsere Umwelt: Dieser Marke beziehungsweise Person kannst du vertrauen. Denn andere Menschen können nur auf uns bauen und uns vertrauen, wenn wir auch das erforderliche Selbst-Vertrauen ausstrahlen.
Strategieumsetzung: Tipps von Managern für Manager
Die Unternehmensberater von Liebrecht Rau haben ihre Klienten gefragt, was diese aus ihren Fehlern gelernt haben.
Einer der Befragten antwortete: "Denke von Schritt zu Schritt anstatt zwei oder drei Schritte im Voraus."
Quelle: Liebrecht Rau-Managerstudie 2016
"Verliere nicht die Kontrolle über das Zeitmanagement und die Budgetplanung."
"Unterschätze nicht den Umfang des Vorhabens in zeitlicher Hinsicht als auch in der Tiefe der Analysen."
"Verschaffe Dir immer den Gesamteindruck."
Und ein anderer rät zu "Klare Vision, gute Kommunikation über alle Ebenen, einfache und anschauliche Visualisierung des Ziels."
"Es geht um Respekt, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Qualität."
"Denke nicht zu früh, du hättest alle an Bord" und: "Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Mitarbeiter Dir allzeit ehrlich und konstruktiv begegnen."
"Erkläre nicht immer wieder in den unterschiedlichsten Farben, wenn der andere eigentlich darauf pfeift. Argumentiere nicht inhaltlich, wenn es um die Beziehung geht" ist ein Rat, ein weiterer: "Rechtfertige Dich nicht vor Bedenkenträgern."
"Gib wichtige Entscheidungen nicht zu früh ins Team; Mitarbeiter wollen „eingebunden geführt“ werden. Was zählt, ist Orientierung", sagt ein Manager. Ein anderer rät: "Gehe weg vom Push, hin zum Pull Prinzip."
"Entscheide nicht ohne enge Abstimmung mit den Eigentümern" ist ein genauso nachvollziehbarer Rat wie "Achte auf Politik und erkenne Intrigen."
Und zum Schluss noch ein paar Tipps auf der Selbstmanagement-Ebene: "Tapfer sein ist immer gut", rät einer, ein andere empfiehlt, sich nicht zu früh anzupassen und der nächste, auf das Bauchgefühl zu achten.
Man solle beherzt entscheiden, empfiehlt einer der Befragten. Der nächste rät: "Versuche nicht, zu schnell zu viel zu wollen" und wiederum ein anderer warnt vor Perfektionismus. "Verlasse dich nicht nur auf mündliche Zusagen", musste ein Manager erfahren. Und einer empfiehlt: "Tu einfach so, als wärst Du der Besitzer der Firma." Dann läuft es schon.
Sich präsentieren und vermarkten
„Sie sollten als Führungskraft eine Marke sein und sich als solche auch präsentieren und vermarkten“ – diese Aufforderung stößt bei vielen Führungskräften auf Vorbehalte. Denn mit dem Begriff „Vermarktung“ assoziieren sie solche Attribute wie „schrill“ und „laut“. Doch nicht jede Marke ist so schrill und laut wie zum Beispiel Afri Cola. Es gibt mindestens ebenso viele Marken, zu deren Marken-Identität es gehört, gerade nicht schrill und laut, aufdringlich und dominant zu sein, sondern stattdessen bewusst auf ein unaufgeregtes Understatement zu setzen.
Ähnlich verhält es bei der Selbst-Vermarktung von Führungskräften. Auch hier geht es nicht darum, stets am lautesten zu schreien (obwohl eine selbstbewusste Führungskraft ihr Licht nie unter den Scheffel stellen sollte). Es geht vielmehr darum, immer wieder nach außen zu zeigen und zu artikulieren, wofür man steht und was einem als Person wichtig ist. Denn so entstehen Glaubwürdigkeit und somit Vertrauen. Und diese Faktoren werden für den Führungserfolg in der von Veränderung geprägten VUCA-Welt immer wichtiger.