Die Welt und damit auch der Kontext, in dem wir arbeiten, verändert sich rasant. Täglich sind wir mit den Folgen der Globalisierung, Digitalisierung, den Anforderungen neuer Generationen sowie einer immer älter werdenden Gesellschaft konfrontiert. Zeit, Ort und Struktur von Arbeit lösen sich zunehmend auf, die bisherigen Modelle der Zusammenarbeit werden ersetzt durch agile Teams, mobiles Arbeiten, Cloud Working, Co-Working und zunehmende Arbeitszeit-Souveränität auf Seiten der Mitarbeiter.
Die Auswirkungen auf Menschen und Organisationen bleiben nicht aus:
Viele Führungskräfte und Mitarbeiter fühlen sich durch die Komplexität und ungewohnte Geschwindigkeit überfordert. Verlust- und Versagensängste entstehen. Orientierungslosigkeit schafft zusätzliche Verunsicherung. Die Ausfall- und Krankheitstage erreichen nie dagewesene Höchststände: Nach Zahlen der Krankenkassen und des statistischen Bundesamtes belaufen sich die Kosten für Ausfalltage aufgrund psychischer Erkrankungen auf 20 bis 30 Milliarden Euro pro Jahr – mit steigender Prognose.
Auf der „Haben-Seite“ entstehen dafür neue Wachstumsfelder. Mitarbeitern bieten sich internationale Entwicklungs- und Partizipationsoptionen verbunden mit größeren Freiheitsgraden und einer verbesserten Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Märkte vernetzen sich wie nie zuvor, Vielfalt in der Belegschaft und von Kooperationspartnern wird zunehmend als Motor für Innovation betrachtet und dementsprechend genutzt und wertgeschätzt. Durch die Digitalisierung entsteht eine bisher nicht gekannte Transparenz über Wissen, das so auch für viele Menschen verfügbar gemacht werden kann. Gleichzeitig lassen sich auf diese Weise auch Entscheidungsprozesse nachvollziehbarer gestalten.
Zur Person
Julia Borggräfe hat Jura, Philosophie und Soziologie studiert. Die promovierte Arbeitsrechtlerin ist Senior Vice President Human Resources der Messe Berlin GmbH, arbeitete als Leitende Führungskraft im Personalbereich der Daimler AG in Berlin, Stuttgart und Paris, bei der Koelnmesse als Personalreferentin sowie in einer Kanzlei in Tel Aviv.
Genau diese Auswirkungen bestimmen den zentralen Fokus von zeitgemäßem HR-Management: Menschen und Organisation.
Bisher lag der Fokus weniger auf der Förderung von Kreativität, Innovation, Gesunderhaltung und der Interaktion innerhalb von Teams. Da sich im betrieblichen Alltag die Bedeutung von Innovation massiv verändert hat, muss diesem Umstand nun auch in der HR-Arbeit Rechnung getragen werden. Die systematische Nutzung von Kreativität kann der entscheidende Katalysator für Innovation sein, die Unternehmen das Überleben sichert.
Die Kreativitätsforschung hat bewiesen, dass Kreativität eine angeborene Eigenschaft ist, so, wie jeder Mensch bestimmte – verschiedene – Talente besitzt. HR sollte hier ansetzen und zum einen Prozesse entwickeln, die es der Organisation ermöglichen, Talente eines jeden einzelnen hinsichtlich seines Innovationspotentials zu erkennen. Zum anderen könnte es die Rolle von HR sein, einen Kulturprozess anzustoßen und zu moderieren, der einen Rahmen schafft, in dem Kreativität zugelassen und gefördert wird.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Führung und Gesundheit
Auch aus diesem Grund sollte das Thema Führung und Management, gerade im Hinblick auf die Unternehmenskultur, noch stärker als bisher in den Fokus der HR-Arbeit rücken: denn Führungsverhalten kann sowohl als unterstützende Ressource als auch als Stressor mit erheblicher Auswirkung auf die Motivation und Performance der Mitarbeiter wirken. Führungskräfte beeinflussen durch das Gestalten der Rahmenbedingungen von Arbeit die Beschäftigten in hohem Maße. Dabei unterschätzen sie häufig auch ihren Einfluss auf das Wohlbefinden und damit auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter.
Aktive Kontrolle einzelner Arbeitsschritte, Laissez-Faire-Führung und schlechtes Konfliktmanagement erhöhen laut aktueller Studien zum Zusammenhang zwischen Führung und Gesundheit den Stress bei den Beschäftigten, wogegen transformationaler Führung gesundheitsfördernde Wirkung bescheinigt wird. Bedürfnisse wie Zugehörigkeit, Orientierung, Fairness, Entwicklung, Autonomie und Selbstwert-Erfahrung gehören zu den neurobiologischen Grundbedürfnissen des Menschen – sind diese erfüllt, dann entstehen zudem Sicherheit, Motivation und Kreativität, unabhängig davon, wie stark draußen der Sturm tobt.
Mitarbeiter wollen mitbestimmen
Es bietet sich an, im organisationellen und unternehmerischen Interesse Human Resources damit zu beauftragen, einen entsprechenden Prozess zur Kulturveränderung anzustoßen, zu moderieren und nachzuhalten. Dazu gehört es auch, einen Arbeitsrahmen zu schaffen, in dem Mitbestimmung und Beteiligungsmöglichkeiten von Mitarbeitenden, Wertschätzung und Anerkennung, eine aktive Feedback-Kultur, fairer Umgang miteinander, hierarchiebefreite Kommunikationsmöglichkeiten und soziale Unterstützung durch die Führungskraft zum alltäglichen Erleben gehört. Damit eine solche Kultur in Verbindung mit den entsprechenden Prozessen Wirkung entfalten kann, braucht es ein organisationales Commitment zu einer gemeinsamen Unternehmens- und Führungskultur – und dieses darf nicht verhandelbar sein.
So gestalten HR-Manager den Wandel im Unternehmen mit
Der Fachkräftemangel zwingt Unternehmen zum Umdenken. Statt perfekte Kandidaten für Führungspositionen auf dem Arbeitsmarkt zu suchen, richtet sich der Blick immer häufiger ins eigene Unternehmen.
Wer Schlüsselpositionen mit Talenten aus den eigenen Reihen besetzt, spart nicht nur die Kosten, die für eine Stellenausschreibung am Markt und die Eingliederung in den Betrieb anfallen, sondern sendet ein wichtiges Signal der Wertschätzung an alle Mitarbeiter.
Quelle: Steffen Neefe, Top Employers Institute
Angesichts des demografischen Wandels ist eine langfristige Personalplanung überlebenswichtig. Mehr als drei Jahre im Voraus sollte der Bedarf geplant werden, damit Personallücken unter Berücksichtigung von Einarbeitungs- und Qualifikationszeiten rechtzeitig gefüllt werden können. Dies schaffen jedoch die wenigsten Unternehmen. Zu kurze Personaldecken und Fehlbesetzungen sind die Folge.
Wer ins Berufsleben startet oder den Arbeitgeber wechselt, ist auf Unterstützung bei der Eingliederung und der Einarbeitung angewiesen. Führende Unternehmen setzen dabei neben dem persönlichen Coaching verstärkt auf digitale und interaktive Plattformen. Besonders gut gemachte Arbeitgeberportale orientieren sich an den Vorbildern aus der Welt der Social Media.
Berufliche Weiterbildung verbessert Karrierechancen und erhöht das Einkommen. Entscheidend ist allerdings, dass die angebotenen Maßnahmen mit den Zielen des Arbeitgebers übereinstimmen. Das wichtigste Thema bleibt vorerst die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt. Der technologische Wandel hat hier zu erhöhtem Weiterbildungsbedarf auf allen Qualifikationsebenen geführt. Gerade jüngere Mitarbeiter erwarten dabei professionelle und individuelle Lösungen, die maßgeschneidert auf ihre Bedürfnisse und Fähigkeiten sind.
Wer Mitarbeiter zu Bestleistungen führen will, der muss die richtigen Anreize setzen. Klassischerweise werden dazu Zielvorgaben mit einer erfolgsorientierten Vergütung und regelmäßigen Leistungsbeurteilungen kombiniert. In Zukunft wird dieser Ansatz nicht mehr ausreichen. Gefordert sind stattdessen individuellere Zielvereinbarungen, bei denen der Mitarbeiter so weit wie möglich eigene Vorstellungen einbringen kann. Je stärker die Identifikation mit den Zielen und Werten des Arbeitgebers, desto größer werden Motivation und Leistungsbereitschaft.
Von Führungskräften werden heute andere Qualitäten verlangt als früher. Die wichtigste Veränderung: Führung wird nicht mehr vorwiegend als individuelle, sondern zunehmend als gemeinschaftliche Aufgabe verstanden. Als Schlüssel zum Erfolg erweist sich dabei die enge Verzahnung von Führungskultur und Leistungsmanagement im Unternehmen. Führende Arbeitgeber sind flexibler, wenn es etwa darum geht, Leistungsziele mit ihren Führungskräften zu vereinbaren. Dem leitenden Mitarbeiter wird zudem ein größerer Spielraum für die Karriereplanung eingeräumt. Berufliche und private Anforderungen können so besser in Einklang gebracht werden.
Klassische Karrieren, bei denen Arbeitnehmer entlang fest vorgegebener Aufstiegspfade befördert werden, sind ein Relikt aus der Vergangenheit. Moderne Berufsbiographien verlaufen oftmals mit Brüchen und über Umwege. Nicht selten weichen gerade hoch qualifizierte Bewerber Führungspositionen aufgrund der hohen beruflichen Belastung aus. Sie wollen eher ihre individuellen Fähigkeiten im Job entfalten, dabei sollen ihnen möglichst viele Optionen offen stehen. Arbeitgeber müssen sich darauf einstellen und flexiblere und stärker individualisierte Karrieremodelle anbieten.
Im Bereich der Vergütung zeichnen sich zwei Haupttrends ab. Erstens wird heute mehr nach Leistung und nach Beschäftigtengruppen entlohnt. Während High-Performer überdurchschnittliche Lohnzuwächse erzielen können, fallen diese bei den durchschnittlichen Mitarbeitern relativ gering aus. Zweitens setzen Unternehmen im Rahmen der Gesamtvergütung verstärkt auf Zusatzleistungen wiedie betriebliche Altersversorgung, Gesundheitsangebote oder flexible Arbeitszeitmodelle. Gerade für Führungskräfte stellen die nicht monetären Leistungen häufig einen wichtigen Teil der Gesamtvergütung dar. Für Arbeitgeber sind Benefits ein ideales Mittel, um die eigene Attraktivität im Wettbewerb um die besten Köpfe zu erhöhen.
Den Kern einer Unternehmenskultur machen gemeinsame Werte und Verhaltensweisen aus. HR spielt dabei eine Schlüsselrolle, indem es entsprechende Leitbilder entwickelt und gemeinsam mit den Führungskräften im Unternehmen umsetzt. HR ist damit der Katalysator für Veränderungsprozesse und maßgeblich verantwortlich dafür, dass die Unternehmenskultur in der Praxis gelebt wird. Gerade diese Funktion – obwohl in Zahlen kaum messbar – ist eine ganz entscheidende Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg.
Die Frage nach der richtigen Organisationsform und demzufolge nach den passenden Arbeitsmethoden ist mittlerweile zu einem überlebenswichtigen Faktor für ein Unternehmen geworden und sollte daher von HR – oftmals auch zuständig für „Organisation“ – zentral begleitet werden. Werden Innovationen schnell genug auf die Straße gebracht? Sind die Entscheidungsprozesse zu langsam? Sind die Risiken transparent? Arbeiten Teams effektiv zusammen? Wie flexibel müssen Arbeitsformen und Arbeitszeitmodelle sein?
Die Beantwortung dieser Fragen hängt entscheidend damit zusammen, wie sich das unternehmerische Umfeld gestaltet. Ist eine Organisation beispielsweise in einem sehr dynamischen Umfeld unterwegs, in dem die Vorteile schneller Anpassung entscheidend sind und der Bedarf nach Kontrolle eher gering ausgeprägt ist bzw. eine hohe Kompetenz der Entscheidungsfindung auf Mitarbeiterseite vorhanden sein soll, bieten sich vorwiegend selbstorganisierte Strukturen wie beispielsweise Holokratie oder Teal-Organisationen an.
Ist ein Unternehmen dagegen eher in einem statischen und risikoscheuen Feld unterwegs, weil die unternehmerischen Risiken ansonsten zu hoch sind, werden Arbeitsprozesse immer dafür sorgen müssen, dass Kontrollmechanismen greifen und Anpassungen vor ihrer Umsetzung zunächst gründlich geprüft werden. Zeitgemäßes HR-Management kennt sowohl das unternehmerische Umfeld als auch die verschiedenen Modelle von Arbeitsmodellen und kann dadurch passende Konzepte für produktives, effizientes und gleichzeitig erfüllendes Arbeiten anbieten.
Eigenverantwortung ist ein großer Treiber für die Motivation und Bindung von Mitarbeitern – und gleichzeitig muss der Zuschnitt zum Geschäft passen. Zunehmend entscheiden sich Unternehmen für ein hohes Maß an Eigenverantwortung auf allen Ebenen beziehungsweise möchten diesen Weg beschreiten. Dies hat nicht nur damit zu tun, dass Organisationen agiler werden möchten und müssen, sondern auch mit einer deutlich artikulierten Erwartungshaltung der jüngeren Generationen nach Eigenverantwortung und Partizipation.
Es sollte die explizite Rolle von HR sein, sowohl den innerbetrieblichen Kulturentwicklungsprozess zu treiben als auch Führungskräfte und Mitarbeiter auf eine veränderte Arbeitsweise der Organisation vorzubereiten und aktiv zu begleiten. Viele HR-Teams sind bereits auf dem Wege, ihre Rolle entsprechend zu interpretieren und ihr Portfolio entsprechend zu verändern. Oft treffen sie dabei auf massive Widerstände; denn ist die veränderte Aufgabe nicht transparent, wird die Organisationskultur, die Veränderungen gegenüber oftmals nicht sehr aufgeschlossen reagiert, eine entsprechende Rollenveränderung von HR blockieren.
Damit HR im Sinne der zukunftsorientierten Unternehmung wirken kann, braucht es daher die Legitimation und die Unterstützung durch die Unternehmensleitung – dann kann Veränderung im Sinne der Organisation und der in ihr arbeitenden Menschen auch ohne große Reibungsverluste gut gelingen. Ist das nicht der Fall, wird – um den großen Management-Vordenker Peter Drucker sinngemäß zu zitieren – die gelebte Kultur jede Strategie mit Genuss zum Frühstück verspeisen.