Schampus, Luftballons, Feierlaune: Nichts deutete in der Firmenzentrale von Encyclopædia Britannica auf einen schmerzhaften Abschied hin – obwohl Verlagschef Jorge Cauz an diesem Märztag im Jahr 2012 das Aus einer Ikone verkündete. 1768 war die Enzyklopädie erstmals erschienen. Im selben Jahr, als James Cook seine erste Expedition startete, der fünfte Krieg zwischen Russland und dem Osmanischen Reich losbrach und Genua die Insel Korsika an Frankreich verkaufte.
Ein Vierteljahrtausend später endete die Ära des weltberühmten Wälzers. Wehmut oder Trauer unter den Mitarbeitern? Fehlanzeige. Aber nicht, weil die Belegschaft nicht zu Emotionen fähig war – sondern weil ihr Verstand es besser wusste. „Zu diesem Zeitpunkt musste niemand mehr überzeugt werden“, sagt Britannica-Chef Cauz. „Das hatten wir über Jahre zuvor getan.“ Veränderung sei kein punktuelles Ereignis, sondern ein langwieriger Prozess, dasselbe gelte für die Motivation von Mitarbeitern.
Und deren Arbeit hat sich radikal verändert. Statt von Tür zu Tür zu gehen und Lexika zu verkaufen, bietet Encyclopædia Britannica mittlerweile digitale Lerninhalte für Schulen und Privatpersonen an. „Natürlich waren einige Mitarbeiter am Anfang skeptisch“, sagt Cauz. „Aber die Vorteile, die wir online haben würden, waren offensichtlich. Und wir haben sie beharrlich vermittelt.“ Zum Beispiel in den sogenannten Town Hall Meetings. Diese regelmäßigen Zusammenkünfte in der Chicagoer Konzernzentrale dienen bei Encyclopædia Britannica bis heute zum gegenseitigen Austausch. Das Management präsentiert die neuesten Entwicklungen vor der Belegschaft, die Mitarbeiter können ihre Fragen und Anregungen loswerden.
Management der Zukunft
Mit der Initiative „Management der Zukunft“ zeichnen die WirtschaftsWoche und KPMG CEOs aus, die mit ihren Managemententscheidungen für Mut und Führungsstärke stehen. Kernidee der Initiative ist die Wahl des „EntscheidungsMachers“.
Weitere Informationen finden Sie unter entscheidungsmacher.wiwo.de
Doch nicht nur Cauz’ Kommunikationstalent, sondern auch nicht aufzuhaltende Entwicklungen halfen ihm bei der Überzeugungsarbeit.
Neue Konkurrenten wie Microsofts kostenlose CD-ROM Encarta oder später Wikipedia verdeutlichten, wie absehbar das Ende des bisherigen Geschäftsmodells war. An den historischen Wälzern festzuhalten hätte den sicheren Untergang bedeutet, so Cauz’ Argumentation.
Übertriebener Pessimismus? Vielleicht. Aber ganz ohne gelegentliche Hiobsbotschaften geht es nicht. Große Veränderungen stoßen naturgemäß auf große Widerstände. „Chefs sehen sich manchmal in der Situation, Abwehrhaltungen nur durch Drohungen aufbrechen zu können“, sagt Guido Friebel, Professor für Personalwirtschaft an der Goethe-Universität Frankfurt.
Tatsächlich sind Menschen häufig erst bereit, etwas zu ändern, wenn ihnen die Bedrohung in drastischer Weise vor Augen geführt wird. Wenn etwa der Partner die Scheidung einreicht oder der Chef die Pleite des Unternehmens prognostiziert.
Die meisten haben es nun mal nicht so mit Veränderungen. „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“, sagt Friebel. „Jede Veränderung strengt ihn an.“ Egal, ob er neue Aufgaben übernehmen oder mit anderen Kollegen zusammenarbeiten muss. Friebel: „Kaum jemand kommt gerne aus seiner Komfortzone.“ Aber genau das ist eine Kernkompetenz im Zeitalter der Disruption. Wer sich nicht verändert, der wird verändert – und schlimmstenfalls überflüssig.
Wandel unerwünscht
Doch jene tief greifenden Veränderungen, die alte Geschäftsmodelle obsolet machen und neue entstehen lassen, die alte Produkte ersetzen und neue hervorbringen, kann die oberste Führungsebene nicht allein bewältigen. Jeder Vorstand braucht zumindest eine Kernmannschaft, die den Wandel mitträgt und bestenfalls sogar vorantreibt.
Dass das nicht selbstverständlich ist, zeigt eine aktuelle Studie der Innovation Alliance, eines Verbunds aus zwölf IT-Unternehmen unter der Führung des US-Unternehmens Cisco. 500 Führungskräfte aus dem Mittelstand beantworteten Fragen zur Digitalisierung. Etwa jede dritte gab an, regelmäßig gegen interne Widerstände ankämpfen zu müssen. Und als die Commerzbank im Jahr 2016 4000 Geschäftsführer mittelständischer Unternehmen befragte, gingen 56 Prozent davon aus, dass ihre Belegschaft den Status quo am liebsten behalten wollte. Veränderung? Gerne – solange sich für mich nichts ändert.
Jede Ungewissheit bedeutet Angst
Und das ist nur allzu verständlich, denn jeder Wandel bedeutet Ungewissheit, jede Ungewissheit bedeutet Angst.
Experten wie der Soziologe Christoph Kucklick sprechen im Zuge der Digitalisierung längst von den größten Umwälzungen am Arbeitsmarkt seit der industriellen Revolution, bei der die Erfindung der Dampfmaschine 90 Prozent aller Jobs in der Landwirtschaft vernichtete.
Dennoch sind Fachleute überzeugt: Die Belegschaft bremst Innovationen nicht per se aus. Vielmehr hängt der Erfolg des Wandels vom Management ab. Mit diesen vier Methoden können Sie die Belegschaft für den Neuanfang begeistern:
1. Schlüsselfiguren überzeugen
Wer ist im Unternehmen unverzichtbar? Wer kann den Wandel blockieren? Und wer hat den größten Einfluss auf seine Kollegen? Die Antworten auf diese Fragen sind essenziell. Denn nur wer die Schlüsselfiguren in seiner Belegschaft identifiziert und begeistert, kann große Veränderungen durchsetzen.
Wie gehen Sie mit Stress und Ärger um?
Denken Sie darüber nach, welche Faktoren Stress auslösen und bringen Sie diese in eine Rangfolge. Nicht alle Gründe wiegen gleich schwer. Stressauslöser, die bisher als unumgänglich gelten, könnten zu körperlicher und seelischer Beeinträchtigung führen.
In kritischen Situationen spontan regieren zu können, ist nicht nur auf der Straße wichtig. Auch im Büro sollte die Bedeutung des Bauchgefühls nicht unterschätzt werden. Wer in Situationen mit Kollegen und Kunden zu kopflastig reagiert, kann sie in Sekunden vergraulen. Laut Conen ist Intuition lernbar – und kann wieder erweckt werden, falls man dazu bereit ist.
Jede Veränderung schenkt ein Stück neues Leben. Dennoch ist nicht jeder Unmut Grund genug, alles über den Haufen zu werfen. Veränderung ist kein Allheilmittel. Tiefen durchzustehen ist das eine, chronischer Frust das andere.
Viele vermeiden es über Jahre, sich Erschöpfung einzugestehen. Ein Burnout kann ein schleichender Prozess sein. Jahrelanger Medikamenten, Alkoholmissbrauch, Autoimmunerkrankungen oder psychische Auffälligkeiten weisen auf Erschöpfung hin.
Lernen Sie ihre Sinne wieder einzusetzen. Riechen und fühlen Sie die Natur oder konzentrieren Sie sich auf die verschiedenen Bestandteile ihres Essens. Verlangsamen Sie eine Aktivität wenn es möglich ist und genießen Sie den Augenblick. Versuchen Sie die Umgebung abzuscannen und sich einzuprägen.
Das Chamäleon sollte das Tier dieses Jahrhunderts werden. Es zeigt alle Fähigkeit, die heute notwendig sind. Vor allem kann es sich auf veränderte Bedingungen einstellen. Es geht nicht darum, seine Authentizität zu verlieren. Es geht darum, sich nicht mehr zu wünschen, dass alles wieder so wird, wie es mal war. Das macht unglücklich. Wagen Sie in der Jobkrise den Sprung in eine zweite Karriere.
Hinterfragen Sie, wo Sie wie viel Energie investieren und ob es sich lohnt. Hinterfragen Sie Ihre innere Motivation und konzipieren Sie um. Schaffen Sie es Ihr Energielevel unter Kontrolle zu halten, bleibt mehr für die Freizeit über.
Achten Sie nicht nur darauf, was Personen in Ihrem Umfeld sagen, sondern auch, wie sie es sagen. Die Wechselwirkung mit dem Gegenüber und die Umstände einer Konversation beeinflussen das Ergebnis in hohem Maße.
Stellen Sie sich vor, Sie wären Gast im Ratequiz „Was bin ich?“. Welche Eigenschaften, und dazu zählen eben auch die kleinen Fähigkeiten, machen Sie aus? Protokollieren Sie die Bereiche, die bisher noch nicht ausreichend zur Geltung kommen. Da gibt es bestimmt mehrere.
Eine positive Selbstbewertung senkt das Stresslevel. Fangen Sie morgens an mit einer positiven Grundstimmung und versuchen Sie, dieses Gefühl den Tag zu halten. Positive Selbstgespräche oder kurze tägliche Ritual helfen dabei. Auch malen, schreiben oder eine freundliche Büroeinrichtung wirken positiv.
Dabei sollte die Selbstbeobachtung nicht vergessen werden. Intuitive Selbstkontrolle hilft, während eines Gesprächs die Reaktionen seines Gegenübers nicht zu übersehen. Wie Sie auf andere wirken, lässt sich leicht bei einem Abschied erkennen. Ist die Situation entspannter, als bei der Begrüßung, hat sich der Gesprächspartner wohl gefühlt.
Seminare, lebenslanges Lernen, neue Herausforderungen. Nutzen Sie wirklich alle Ihre Bildungsurlaubstage? Haben Sie wirklich schon alles gelernt, was Sie sich vorgenommen haben? Trainieren Sie, nicht zu schnell zu satt zu sein und fordern Sie von sich selbst, mehr aus sich zu machen.
Ärger kann in kürzester Zeit zu Antriebslosigkeit führen. Das Take-Care-Prinzip soll helfen, sich weniger zu ärgern: Versuchen Sie zunächst, Ärger von sich fernzuhalten. Nicht jede Meinungsverschiedenheit mit Kollegen oder den Nachbarn ist einen Streit wert. Falls es doch dazu kommen sollte, distanzieren Sie sich innerlich. Einen Witz machen kann helfen. Sollte es doch heftiger kommen, ist es wichtig, sich beim Sport oder einen Urschrei abzureagieren.
Egal ob im Beruf oder im Privatleben, eine Entscheidung sollte nicht alleine aus dem Kopf heraus getroffen werden. Beziehen Sie Ihren Bauch mit ein. Auch wenn Sie ein Gefühl rational nicht nachvollziehen können, sollten Sie versuchen, es zu ergründen. Es könnte sein, dass ihre innere Stimme weiser ist, als Sie in diesem Augenblick.
Seien Sie die Schlange, nicht das Kaninchen. Reagieren Sie schneller als die anderen. Also erwarten Sie stets das Unerwartete, lernen Sie zu improvisieren, lösen Sie sich rasch von Denkmustern. Und vor allem: verändern sie Gewohnheiten.
Wer sich aufgibt, wird zum Spielball der Umgebung. Bestärken Sie sich jeden Tag darin, dass Sie über Ihr eigenes Lebens bestimmen. Conen empfiehlt: „Lernen Sie mitten im Geschehen zu sein und doch darüber zu stehen.“ Sie kommen mit Störungen besser um, wenn Sie sich als freier und selbstbestimmter Mensch fühlen.
Der Extremfall dieser wichtigen Knotenpunkte sind Piloten und Lokführer. Sie können das Tagesgeschäft lahmlegen und die Geschäftsführung faktisch erpressen, wenn Veränderungen ihnen nicht passen. Oder all diejenigen, die in Abteilungen für Forschung und Entwicklung arbeiten. Nur wenn sie ihr Wissen einbringen, kann die Transformation gelingen.
Die zweite Gruppe der Schlüsselfiguren ist schwieriger zu identifizieren, da sie sich nicht durch eine Position, sondern durch ihren Einfluss auf die Kollegen auszeichnen. Fragen Sie Ihre Vertrauten, wer nach deren Meinung ein solcher Influencer ist. Überlegen Sie genau, wer sich in öffentlichen Diskussionen viel einbringt und wie häufig er Unterstützung von anderen erhält. Vielleicht machen Sie sogar eine Liste, die Sie mit Ihren Vertrauten besprechen.
Sind die wichtigen Mitarbeiter identifiziert, müssen Sie versuchen, jeden Einzelnen zu überzeugen. Bitten Sie sie zu persönlichen Gesprächen und erläutern Sie Ihre Ideen, fragen Sie sie nach ihrer Meinung. „Können Sie einige Schlüsselpersonen nicht überzeugen, müssen Sie sich von ihnen trennen“, sagt Dieter Lederer, der Konzerne und große Mittelständler bei Veränderungsprozessen berät. Damit verhindern Sie, dass die Nörgler in der Belegschaft Unruhe stiften. Dass das arbeitsrechtlich schwierig ist, weiß natürlich auch Berater Lederer. Dennoch sollten Unternehmen überlegen, wie viel Geld ihnen der interne Frieden wert ist und entsprechende Abfindungen anbieten. Das ist kurzfristig finanziell schmerzhaft, langfristig aber strategisch klüger.
Die größten Fehler beim Einsatz von E-Mails
„Welche negativen Auswirkungen ergeben sich aus einem unreflektierten Umgang mit dem Medium E-Mail?“ Der E-Mail-Spezialist Günter Weick, der mit seinen Kollegen von SofTrust Consulting seit 2001 die E-Mail-Kultur internationaler Unternehmen gestaltet, nennt in seinem Buch „Wenn E-Mails nerven“ zwölf potentielle negative Nebenwirkungen.
Eine davon ist die Verschwendung von Arbeitszeit. Beratungsgesellschaften beziffern den Wert der verlorenen Arbeitszeit auf mehrere Milliarden Euro jährlich.
E-Mails haben Suchtpotenzial. Auf lange Sicht leisten die Mitarbeiter so in der regulären Arbeitszeit weniger.
Wer sich von E-Mails treiben lässt, ermüdet schneller, wie Studien belegen. Die ständigen Unterbrechungen durch Emails erhöhen das Bournout-Risiko.
Jeder dürfte es schon mal erlebt haben, dass der Text einer E-Mail falsch verstanden wird. Missverständnisse passieren einfach sehr viel häufiger als in direkten Gesprächen. Zudem treten auch fachliche Fehler leichter auf.
Hierarchien haben sich ja nicht aus Zufall gebildet. Wer berichtet was an wen – das umgeht die E-Mail-Kommunikation viel häufiger, als es alle Beteiligten wahr haben wollen. Vielleicht geht der „kleine Dienstweg“ per Email manchmal schneller, aber das geht zu Lasten von Zuverlässigkeit und Qualität.
Anstatt richtig in Prozessen organisiert zu sein, wird vieles immer wieder als Einzelfall betrachtet. Das ist nicht nur aufwendiger, sondern es passieren auch mehr Fehler.
Soziologen und Psychologen sagen, dass jene Menschen, die vor allem elektronisch kommunizieren, die Fähigkeit und das Interesse verlieren, sich mit Menschen direkt auseinanderzusetzen.
Es gibt viele Themen, in den E-Mails einfach die uneffektivere Kommunikationsform sind (siehe Seite 2). Die Geschäftsvorfälle dauern länger als notwendig und erfordern mehr Aufwand. So manches Thema, das sich per E-Mail über Wochen hinzieht, ist in einer Zehn-Minuten-Besprechung vom Tisch.
Das dringende Kleine im Posteingang wird wichtiger als das wirklich wichtige Große. Auch das ist ein Nachteil der E-Mail-Kommunikation. Umso wichtiger ist es, sich da gut zu organisieren.
Es kommt schnell zu einem Realitätsverlust: Mitarbeiter schicken Dutzende E-Mails durch die Gegend und glauben, sie hätten wirklich gearbeitet. Doch wie produktiv sind die meisten E-Mails wirklich? Hat man für das Unternehmen tatsächlich so viel bewegt, wie man in derselben Zeit hätte können?
Wer über weitere Strecken des Tages auf eingehende E-Mails reagiert, hat folglich weniger Zeit zum Agieren. Das frustriert den Einzelnen und bringt dem Unternehmen wenig.
Jeder will E-Mails schnell vom Tisch haben. Also wo immer möglich gilt da die Devise: weiterleiten statt erledigen.
2. Visionen teilen
Im Februar 2011 wandte sich der damalige Nokia-Chef Stephen Elop in einer emotionalen Rede an die Belegschaft. Darin verglich er den finnischen Konzern mit einer brennenden Ölplattform: „Was hat Nokia gemacht, während die Konkurrenz unsere Marktanteile in Flammen gesetzt hat? Wir sind zurückgefallen, wir haben große Trends verpasst, und wir haben Zeit verloren.“ Elop zeichnete eine erschreckende Bestandsaufnahme – wenngleich am Ende mit verhalten optimistischem Ausgang. Aber das reicht nicht, meint Berater Lederer. „Kurzfristig ist Angst zwar ein sehr starker Motivator“, sagt er. Aber auf die bedrohlichen Zukunftsszenarien müssten gleich die rettenden Visionen folgen. „Zeigt das Management keinen Ausweg auf, resigniert die Belegschaft und schaut sich anderweitig nach Jobs um.“
Besser machte es Andreas Kaufmann, heute Aufsichtsratsvorsitzender des Kameraherstellers Leica. Auch dieses Traditionsunternehmen stand vor einigen Jahren kurz vor der Pleite, weil es die Digitalisierung seiner Modelle verschlafen hatte. Als Kaufmann damals als Investor einstieg, benannte er die Probleme klar, hob aber gleichzeitig Leicas Potenzial hervor. Er skizzierte, mit welchen Alleinstellungsmerkmalen sich der Kamerahersteller auch in der Digitalfotografie behaupten könne – und stellte immer wieder die deutsche Ingenieurkunst ins Zentrum. „Wir müssen uns auf unsere Kompetenzen konzentrieren“, sagt Kaufmann. Etwa die präzise Leica-Optik. Mittlerweile ist beim hessischen Kameraproduzenten von Krise nichts mehr zu spüren. Im vergangenen Geschäftsjahr kletterte der Umsatz auf knapp 400 Millionen Euro. Ein Plus von rund sechs Prozent.
3. Ängste nehmen
Auch beim Stahlhändler Klöckner hatten viele Mitarbeiter zu Beginn der Transformation Angst – vor allem um ihren Arbeitsplatz. Denn schon 2020 soll der Onlineumsatz des Konzerns 50 Prozent des Gesamtumsatzes betragen. Vor fünf Jahren gab es diese Einnahmequelle noch gar nicht. Und dieser Wandel hatte erhebliche Auswirkungen für die Angestellten.
Statt Vertriebsmitarbeiter, die sich per Fax und Telefon um ihre Kunden kümmern, braucht es künftig Entwickler, E-Commerce- und Marketing-Experten. Zwar versucht Klöckner, die Mitarbeiterzahl von aktuell 8800 durch Wachstum mehr oder weniger konstant zu halten. Aber klar ist auch: „Wir haben nicht alle beim Wandel mitgenommen. Das können wir auch nicht“, sagt Christian Pokropp, Geschäftsführer der digitalen Einheit Kloeckner.i. Dennoch versucht der Stahlhändler möglichst wenige zurückzulassen.
Damit das gelingt, muss das Management die Ängste der Mitarbeiter ernst nehmen. Berater Lederer wirbt bei diesem sensiblen Thema für möglichst viel Transparenz und schlägt Formulierungen wie diese vor: „Ich verstehe, dass der Wandel Ihnen Angst macht, schließlich passen Ihre Kompetenzen nicht eins zu eins zu den neuen Aufgaben.“ Im nächsten Schritt sollte der Vorgesetzte aufzeigen, wohin sich der Mitarbeiter entwickeln muss, um eine Zukunft im Unternehmen zu haben – und wie er ihn darin unterstützen kann.
Stahlhändler Klöckner strengt sich an, die Mitarbeiter weiterzuentwickeln. Zum einen gründete der Vorstandsvorsitzende Gisbert Rühl eine digitale Akademie, die allen Mitarbeitern während der Arbeitszeit zur freien Verfügung steht. Dort gibt es Onlinekurse zu Themen wie Design Thinking und Digitale Plattformen. Zum anderen fördert Rühl den steten Austausch zwischen den jungen Digitalen in Berlin und den erfahrenen Stahlhändlern am Hauptsitz in Duisburg. Diese enge Zusammenarbeit soll dabei helfen, Ängste abzubauen. Regelmäßig kommen Mitarbeiter aus der Zentrale im Ruhrgebiet für ein bis sechs Monate in die Hauptstadt, um sich dort neue, digitale Kompetenzen anzueignen. Im Gegenzug erhalten die Entwickler dadurch ein besseres Verständnis für die Stahlbranche.
4. Mitarbeiter einbeziehen
Als Gerold Linzbach beim Maschinenbauer Heidelberger Druckmaschinen im September 2012 den Vorstandsvorsitz übernahm, steckte das Unternehmen in einer tiefen Krise. Viele Druckereien und damit potenzielle Kunden gingen im Zuge der Finanzkrise pleite. Immer schnellere Maschinen und immer weniger Druckaufträge führten dazu, dass die bestehenden Geräte nicht ausgelastet waren. Neue wurden kaum noch bestellt. Deshalb musste Heidelberger über Jahre kontinuierlich Mitarbeiter entlassen, im Frühjahr 2012 folgte der Abstieg aus dem MDax.
Linzbach musste das Geschäft des Traditionsunternehmens neu ausrichten. Seine Idee: Der Kunde brauchte nicht ständig neue Maschinen mit weiteren technologischen Finessen, sondern Service. So gewann etwa der Vertrieb von Farben und Lacken an Bedeutung. Schließlich weiß der Hersteller selbst am besten, mit welchen Materialien seine Maschinen die besten Druckergebnisse erzielen.
Was vergleichsweise banal klingt, bedeutete für die verunsicherte Belegschaft eines bislang technologiegetriebenen Unternehmens eine große Veränderung. Linzbach wusste um diese Brisanz und bezog seine Mitarbeiter früh ein.
Als er etwa ein Jahr im Amt war, sich einen Überblick verschafft und eine Zukunftsvision entwickelt hatte, schickte er jedem Mitarbeiter ein persönliches Ideenbuch. Es bestand aus einer DIN-A4-Mappe, auf der der Name des Mitarbeiters stand. Darin fünf Seiten mit Linzbachs Vision, dann mehrere leere Blätter und am Ende ein Briefumschlag, der an Linzbach adressiert war. „Die Grundidee war, bestehende Probleme und Erfolg versprechende Maßnahmen bei denen abzuholen, die täglich mit der Abwicklung des Geschäftes zu tun haben“, sagt Linzbach, „vom Entwickler bis hin zum Logistikmitarbeiter.“ Und es funktionierte. Statt der erhofften 300 bis 400 Antworten erhielt der neue Chef 5000 Briefe – mit bis zu 50 Seiten handschriftlichen Erläuterungen.
Sein Kalkül war aufgegangen. Die Mitarbeiter hatten sich detailliert mit den Problemen auseinandergesetzt, Auswege aus der Misere überlegt und begonnen, sich mit dem bevorstehenden Wandel zu identifizieren. „Sie sollten ihre eigenen Ideen hinter den formulierten Leitsätzen wiederfinden“, sagt Linzbach.
Im Geschäftsjahr 2015/16 schrieb Heidelberger Druckmaschinen nach Jahren des Verlusts erstmalig wieder schwarze Zahlen. Nach getaner Arbeit verließ Restrukturierer Linzbach im Sommer 2017 das Traditionsunternehmen. Auch sein Nachfolger Rainer Hundsdörfer wird nun seine Fähigkeiten als Motivator unter Beweis stellen müssen. Kündigte er doch jüngst an, Heidelberger Druckmaschinen zum „Amazon der Druckbranche“ machen zu wollen. Nach der Disruption ist vor der Disruption.