Der Trend zur Zeitarbeit hat längst auch die Führungsebenen deutscher Unternehmen erreicht. Dort haben immer häufiger vorübergehend Interim Manager das Sagen. Sie helfen beispielsweise bei einer Insolvenz, begleiten ein anspruchsvolles Projekt oder vertreten den Geschäftsführer im Sabbatical. Die Nachfrage boomt, nicht zuletzt wegen des Fachkräftemangels. Das spiegelt sich in hohen Honoraren für die selbstständigen Chefs auf Zeit wider. Die in der Dachgesellschaft Deutsches Interim Management (DDIM) organisierten Führungskräfte riefen zuletzt Honorare zwischen 1000 und 2500 Euro auf – pro Tag, versteht sich.
„Wir haben aktuell einen Kandidatenmarkt. Viele Manager können ihre Mandate frei wählen“, erklärt die DDIM-Vorstandsvorsitzende Marei Strack das Gehaltsniveau ihrer Branche. Rund 11.500 Interim Manager sind laut Schätzungen ihres Verbands aktuell in Deutschland aktiv. Tendenz: stetig steigend. Konzerne, aber insbesondere auch kleine und mittelständische Unternehmen suchten verstärkt nach hochqualifizierten Führungskräften, die schnell und flexibel einsetzbar sind.
Das macht ein Interim Manager
„Schnell und flexibel“ bedeutet konkret: Wenn die Zeit wirklich drängt, kann so ein selbstständiger Notfallmanager binnen 48 Stunden anfangen, wie Anette Elias erklärt, Gründerin und Geschäftsführerin der Vermittlungsagentur Interim Profis. Theoretisch kann jede Führungsposition in jeder Branche vorübergehend mit einem Interim Manager besetzt werden, ist sie überzeugt. „Unsere Kunden sind vorrangig der produzierende Mittelstand“, berichtet Elias.
Besonders häufig kommen Interim Manager in den folgenden Situationen zum Einsatz:
• Umbau der Firma samt Einführung neuer Geschäftsbereiche
• Digitalisierung des Unternehmens
• anspruchsvolle Sonderprojekte
• Insolvenz und Insolvenzvermeidung
• Personalumbau sowie größere Entlassungsrunden
• Optimierung von Lieferketten oder Produktionsabläufen
Derzeit sind besonders Finanzexperten gefragt, stellt Elias fest. Der Grund: Unternehmen müssen auf die Herausforderungen durch gestörte Lieferketten, kranke Mitarbeiter und fehlende Fachkräfte reagieren und Prozesse umorganisieren oder Kosten neu kalkulieren. Als Beispiele für Sonderprojekte zählt die Vermittlerin auf: „SAP-Einführung, Gründung eines Auslandsstandortes oder Umstellung der Finanzbuchhaltung auf einen internationalen Buchhaltungsstandard.“ Leider würden die externen Helfer hier aber oft erst gerufen, wenn sich das Projekt bereits in akuter Schieflage befinde.
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In so einer Situation sind starke Nerven und viel Erfahrung gefragt. Da wundert es nicht, dass der typische Interim Manager älter ist. Früher dominierte die Generation Ü60 die Branche. Diese Karriere als Freelancer war nicht selten eine Übergangslösung bis zur Rente, etwa nach einer Kündigung oder um die Einnahmen als Frührentner aufzubessern. „Das hat sich mittlerweile deutlich gewandelt“, beobachtet Marei Strack. Das Durchschnittsalter sei in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken. Außerdem falle die Entscheidung für die Selbstständigkeit heute in den meisten Fällen aus freien Stücken. In der Pandemie hätten viele die neuen Freiheiten zu schätzen gelernt.
Die großen Karriere-Irrtümer
Viele ambitionierte Menschen verlassen sich auf logisch erscheinende Theorien, die nur auf Erfahrungen Einzelner basieren. Natürlich gibt es auch nützliches Erfahrungswissen, aber ohne psychologische Reflexion und systematische Aufbereitung bleibt es Einzelwissen.
Beim Mentoren-Prinzip fördern erfolgreiche Top-Manager ihre jüngeren, unerfahrenen Kollegen. Der Mentor will dem Mentee nach bestem Wissen und Gewissen sagen, „wo es lang geht“. Ist der Mentor gut, schrumpft das Wissensgefälle nach kurzer Zeit – und damit auch die Wichtigkeit des Mentors. Dieser wird dann oft wütend und eifersüchtig und ist versucht, die Karriere seines Schützlings zu hemmen.
Es ist eine verbreitete, aber falsche Annahme, dass Chefs offene und konstruktive Kritik benötigen, um besser zu werden. Denn diese wirkt sich oft desaströs auf die Karriere des Kritisierenden aus. Zumindest unbewusst will sich kein Chef Kritik anhören, schon gar nicht in seiner Position.
Es ist die Haltung des Gebens, die zum Erfolg und damit zur Karriere führt. Auch als unerfahrener Mitarbeiter kann man seinem Mentor etwas „geben“. Anstatt eine Beziehung zu seinem Mentor anzustreben, in der man nur selbst profitieren will, macht man seinem Vorbild Komplimente, zeigt seine Bewunderung und bittet um Rat und Hilfe.
Man muss nicht unbedingt mehr im Unternehmen arbeiten, wenn man höherwertige Positionen im Unternehmen erreicht. Top-Manager müssen vor allem die Verbindung zwischen der eigenen beruflichen und privaten Person intensivieren und als Persönlichkeit auf das Unternehmen wirken und dieses repräsentieren.
Karrieren hängen nicht von einzelnen Situationen ab, sondern entwickeln sich über einen langen Zeitraum. Bei Entscheidungen unter Zeitdruck ist es unerlässlich, innezuhalten. Je länger sie pausieren, ohne nachzudenken, umso unwahrscheinlicher ist eine Fehlentscheidung.
Talent ist zu vernachlässigen, wenn alle anderen Dimensionen für eine Karriere – wie das Streben nach höchstem Können und eine stabile Psyche – stimmen.
Die individuelle Karriere folgt keiner Normalverteilung. Für sie gibt es keine berechenbare Wahrscheinlichkeit. Die realen Einflussgrößen sind Widerstände und Krisen, die zu bestehen sind und an denen man wachsen kann.
Wer das System Karriere nicht durchschaut, hält die Erfolge seiner Karriere für Zufall. Es ist jedoch nicht Glück, sondern der autonomer Wille der Ambition – also harte Arbeit unter der Regie seiner Ziele.
Zwar werden Interim Manager tendenziell jünger. Dennoch ist dieser Job laut Elias eher etwas für die zweite Hälfte des Berufslebens: „Interim Manager bringen vor allem durch die Lebens- und Berufserfahrung Ruhe und Klarheit in Sondersituation.“ Die besten Kandidaten sind laut der Vermittlerin Menschen, die immer wieder Krisen durchgemacht haben oder wiederholt flexibel mit Projekten und veränderten Situationen umgehen mussten. „Sie merken in der zweiten Hälfte der Berufstätigkeit, dass sie in Krisen besonders selbstwirksam sind und spüren zudem den Wunsch, selbstverantwortlich zu arbeiten“, schildert die Expertin einen typischen Werdegang. Interim Manager stammen ihrer Erfahrung nach zudem häufiger aus dem Mittelstand. „Konzernmanager sind eher als Berater tätig, da sie oft nicht mehr hemdsärmelig genug selbst mitarbeiten können.“
Chefs auf Zeit haben Freiheitsdrang
Marei Strack vom DDIM attestiert den Chefs auf Zeit einen besonderen Freiheitsdrang. „Als Interim Manager bin ich selbstständiger Unternehmer und entscheide frei, für welchen Auftraggeber und an welchen Themen ich arbeiten will“, sagt sie. Viele Kollegen hätten zudem keine Lust mehr auf Unternehmenspolitik oder interne Machtkämpfe. Auch das ist für die DDIM-Chefin Teil des Erfolgsgeheimnisses eines Interim Managers. „Er ist nicht Bestandteil der unternehmensinternen Politik, verfolgt keine eigenen Karriereziele und kann sich so vom ersten Tag an voll auf die Aufgabe konzentrieren.“ Das führe in der Regel zu schnellen Erfolgen. Im Gegenzug setzt der Job Flexibilität voraus. „Für Menschen mit einem hohen Sicherheitsbedürfnis ist Interim Management nichts“, unterstreicht Strack. Denn oft stehe nicht fest, ob man im nächsten Monat einen Auftrag habe oder wo der sein wird. Manche Firmen engagieren Interim Manager zudem nur in Teilzeit.