Aldi Nord verbannt den Schlips in die Wühlkiste. „Wir können bestätigen, dass die Krawattenpflicht in unserem Unternehmen abgeschafft wurde“, sagte eine Unternehmenssprecherin der WirtschaftsWoche. „Damit setzen wir unsere Modernisierungsstrategie konsequent in sämtlichen Bereichen fort, so auch in Bezug auf den Dresscode in unserem Unternehmen.“
Merke: Wer modern sein will, lässt den Binder zu Hause.
Die Idee ist so neu nicht: Wettbewerber Lidl hatte bereits vor Jahren den Krawattenzwang gekappt. Konzernchef Klaus Gehrig begründete den Schritt damals scherzhaft so: "Die sind nicht gut fürs Denken, weil sie die Blutzufuhr zum Gehirn einschränken." Und seit März dürfen die 375.000 Mitarbeiter der Schwarz-Gruppe, zu der neben Lidl auch die Handelskette Kaufland gehört, außerdem „Du“ zu ihren Topmanagern sagen. Angeblich nach Lektüre eines entsprechenden Artikels in der WirtschaftsWoche über das Duz-Verhalten eines deutschen Versandhändlers.
Der Vorstand des Handelskonzerns Otto hat nämlich seinen weltweit 53.000 Mitarbeitern schon im Februar das Du angeboten. Und einen Monat später wurde aus Herr Gehrig von Lidl der Klaus.
Doch nicht nur den Handel gibt sich lässig, auch bei den Dax-Konzernen sieht man die Vorstände immer öfter ohne Schlips und Kragen oder in Turnschuhen.
Bislang galt, egal, was Manager und Angestellte bei Autobauern, Medienhäusern oder Unternehmensberatungen tragen oder nicht tragen mögen – es gibt eine Branche, bei der ist mit dem Dresscode nicht zu spaßen: die Finanzbranche. Und selbst die lockern den Krawattenknoten. Die amerikanische Großbank JP Morgan Chase pfeift auf den Schlips, bei der Hamburger Sparkasse experimentiert man mit smart casual.
Das bedeuten die verschiedenen Business-Dresscodes
Bedeutet gehobene Freizeitkleidung, also: Baumwollhose, Polohemd, Jackett. Beim Business Casual putzen sich die Leute mehr heraus: Frauen tragen Kostüm oder Hosenanzug, nicht zu hohe Schuhabsätze, unsichtbare Zehen. Männer tragen eine Kombination, die Krawatte kann im Schrank bleiben.
Meist bei Einladungen nach der Arbeit. Konservativ: Er trägt Anzug, aber keine Brauntöne. Sie: Kostüm oder Hosenanzug, aber keine großen Handtaschen mit Schulterriemen. Einzig richtig: Clutchbags – kleine Handtäschchen ohne Riemen. Rocklänge: nie kürzer als eine Handbreit über dem Knie.
Damen: halblange, elegante Kleider
Herren: dunkelgraue oder schwarze Anzüge.
Gerne zu Abendanlässen.
Er: Smoking, Hemd mit Doppelmanschetten, Kummerbund und Einstecktuch, schwarze Fliege, schwarze Schuhe.
Sie: schwarze lange Robe, Tasche (kleiner als der Kopf). Accessoires gerne farbig.
Er: Frack, weiße Weste mit tiefem Ausschnitt, Stehkragenhemd mit verdeckter Knopfleiste, weiße Fliege, Lackschuhe.
Sie: bodenlanges Abendkleid in Schwarz, Weiß oder Grau (Schultern bei Ankunft bedeckt). Zum Ballkleid geschlossene Schuhe mit Seidenstrümpfen. Findet der Ball im Hochsommer statt, auch hohe Sandaletten – dann ohne Strümpfe.
Zu eleganten Partys und Vernissagen ab 16 Uhr.
Er: dunkler Anzug, Hose mit Bügelfalte, einfarbiges Hemd, dunkle Krawatte, lässiger Schnürschuh.
Sie: das kleine Schwarze. Schultern, Dekolleté und Bein dürfen gezeigt werden.
Werden oft falsch zugeknöpft. So ist es richtig: Zweireiher immer geschlossen. Sakko mit zwei Knöpfen: ein Knopf geschlossen, wahlweise der untere oder der obere. Drei-Knopf-Sakko: beide oberen Knöpfe zu oder nur der mittlere. Vier-Knopf-Sakko: die beiden mittleren oder die drei oberen Knöpfe geschlossen. Fünf-Knopf-Sakko: alle Knöpfe bis auf den untersten bleiben zu. Frack: wird immer offen getragen. Weste: alle Knöpfe bis auf den untersten bleiben geschlossen.
Unter Sakkos tabu! Die Hemdmanschette muss unter dem Ärmel herausschauen. Richtig: Die Ärmel des Sakkos enden knapp über dem Handrücken, die Hemdmanschette schaut darunter einen Zentimeter heraus.
Klassisch aus weißer Baumwolle, modern aus farbiger Seide oder Kaschmir. Hat nie (!) dasselbe Muster wie die Krawatte, passt aber farblich dazu.
Sie reicht exakt bis zur Gürtelschnalle, nicht länger, nicht kürzer. Der Knoten darf nie so dick werden, dass er den Kragen vom Hemd abdrückt.
Ungepflegte Galoschen enttarnen jedes stilvolle Outfit als Verkleidung. Das Minimum ist ein Paar schwarzer Schnürschuhe aus Leder. Etwa ein Oxford – glatt mit schlichter Kappe. In Braun passt er auch zu Sportjacketts oder Tweedanzügen. Der Semi-Brogue eignet sich zu gemusterten Anzügen und weichen Stoffen. Auch er hat eine Kappe, die weist aber dezente Lochmuster wie beim Brogue auf. Der wird auch Budapester genannt und passt mit seinem typischen Lochmuster auf der geschwungenen Kappe und den Seitenflügeln zu Anzügen aller Art. Wirkt aber stets etwas konservativ.
Zumindest was das Duzen angeht, sind viele Betriebe längst soweit. Eine Befragung der Jobseite Indeed unter mehr als 1000 Arbeitnehmern zeigt, dass viele ihren Chef oder ihre Chefin im Alltag duzen: 52,3 Prozent gaben an, dass sie bei der Anrede nicht nach Hierarchiestufen unterscheiden. Ob die Befragten auch den CEO duzen, wurde allerdings nicht gefragt.
Grundsätzlich sind Duzen und Dresscode eine Frage der Unternehmenskultur. Und die stellen immer mehr Betriebe auf den Prüfstand beziehungsweise verordnen sich eine Veränderung: Weg vom traditionellen Modell mit Firmenpatriarch (im Anzug!), der über seine Untergebenen befiehlt, hin zu eher flachen Hierarchien und einem Team aus Gleichberechtigten. Das zeigt sich auch in der Kleidung und im allgemeinen Umgang miteinander – und schlägt sich häufig positiv auf die Mitarbeitermotivation nieder.
Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass Mitarbeiter bei Aldi Nord nun freundlicher, schneller oder effektiver werden, weil sie den Schlips zuhause lassen können. Trotzdem schadet es sicher nicht, dafür zu sorgen, dass sich die Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz wohl fühlen. Ob das über einen Krawattenbann besser funktioniert als über andere Faktoren, darüber lässt sich trefflich streiten.