Bei der Besetzung von Vorstandsposten setzen Unternehmen auf maximale Akribie. Personalberater prüfen die Lebensläufe künftiger Chefinnen und Chefs, in Gesprächsrunden ergründen sie die persönliche Passung und in Assessment Centern die fachliche Eignung. Ein kostspieliges Verfahren, dass sich stets damit begründen lässt, dass die zu besetzende Führungsposition auch kostspielige Entscheidungen treffen muss.
Einen Teil dieses Aufwands könnten sich die Unternehmen aber sparen, wie ein Forscherteam aus Deutschland und der Schweiz in einer aktuellen Studie argumentiert: Sie plädieren dafür, den Zufall über die Besetzung entscheiden zu lassen. Inspiriert wurden die Soziologen Katja Rost und Joel Berger und die Ökonomen Margit Osterloh und Thomas Ehrmann durch einen Blick in die Geschichtsbücher. So wurden im Basel des späten 17. Jahrhunderts wichtige Stellen in der Politik, in Gilden und an Universitäten durch Lotterien besetzt, um die Machtkonzentration auf einige wenige Familien zu vermeiden. Auch im antiken Griechenland wurden Politiker per Los bestimmt, ebenso wie in Venedig und Florenz, als diese Städte noch das Weltgeschehen prägten.
Was in der Schweiz, im antiken Griechenland oder den italienischen Stadtstaaten funktioniert hat, könnte laut neuester Untersuchungen der Forscher auch heute für mehr Fairness und weniger Hybris in den oberen Schichten der Gesellschaft sorgen. Sie haben das Würfelprinzip und seine Folgen in mehreren experimentellen Studien untersucht. „Chef oder Chefin per Los mag auf den ersten Blick verrückt erscheinen“, schreiben die Forscher in einem Blogbeitrag. „Doch konnten wir in unseren Experimenten zeigen, dass es gute Gründe für den Einsatz von aleatorischen Verfahren im Management gibt.“
Mit aleatorischen Verfahren ist die zufällige Auswahl von Menschen für eine bestimmte Position gemeint, abgeleitet von Alea, dem lateinischen Wort für Würfel. Das Konzept wurde lange Zeit vernachlässigt, ehe der renommierte Schweizer Ökonom Bruno Frey den Losentscheid in zwei aktuellen Aufsätzen wieder zur Diskussion stellte. Die Experimente seiner Kollegen greifen seine Ideen auf.
In einer ersten Studie an der ETH Zürich untersuchten die Forscher, ob sich das Verhalten von Anführern ändert, wenn sie zufällig berufen werden. Dazu sortierten sie 864 Probanden in Sechsergruppen und ließen sie zunächst 30 Wissensfragen beantworten. Danach sollten sie schätzen, wie viele Fragen sie nach ihrer Ansicht richtig beantwortet hatten. Aus der Differenz aus Anspruch und Wirklichkeit konnten die Forscher so ein grobes Maß für die Selbstüberschätzung der Teilnehmer ableiten.
Zufallsbeförderung statt Frauenquote
Im Anschluss ernannten sie für die Gruppen je einen Anführer auf eine von drei Arten. In der ersten Variante wurde das Mitglied Anführer, das die meisten Fragen richtig beantwortet hatte. In der zweiten Variante wurde aus den sechs Mitgliedern per Zufall ein Anführer gewählt. Und in der dritten Variante machten die Forscher Gebrauch von einer historischen Regelung, mit der die Universität Basel im 18. Jahrhundert ihre Professoren berief: Die drei Probanden einer Gruppe die die meisten Fragen richtig beantwortet hatten, kamen in eine Endauswahl – dann erst entschied der Zufall.
Im Anschluss bekamen die Anführer der Gruppen Geldeinheiten, die sie unter den Mitgliedern verteilen oder selbst behalten durften. Die Forscher beobachteten dabei ein interessantes Muster: Grundsätzlich missbrauchten die Probanden, die sich schon bei den Wissensfragen selbst überschätzten ihre Macht als Anführer stärker als andere, in dem sie mehr Geld für sich selbst behielten. Dieses Verhalten wurde aber bedeutend schwächer, wenn sie nicht aufgrund ihrer Leistung, sondern per Zufall zum Anführer ernannt wurden. Die Chefs per Münzwurf waren deutlich bescheidener und litten weniger unter ihrer Hybris.
In einem zweiten Experiment stellten die Forscher die Hypothese auf die Probe, ob Zufallsbeförderungen auch zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führen könnte. Grundlage für ihre Überlegungen war eine in Studien gut belegte Tatsache, die neben vielen anderen Faktoren dafür sorgt, dass Frauen seltener in Führungspositionen landen: Weibliche Kandidaten nehmen seltener bei Wettbewerben und Turnieren teil, bei denen es nur einen Gewinner oder eine Gewinnerin gibt. Doch genau solche Situationen sehen die Forscher aber im Rennen um die wichtigsten Positionen in einem Unternehmen – schließlich werden nur selten zwei Personen zum CEO befördert. Wer aber gar nicht erst am Turnier teilnimmt, kann es auch nicht gewinnen.
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In einem Setting wie in der ersten Studie verglichen sie das Wettbewerbsverhalten von 420 Frauen und Männern in Abhängigkeit von der jeweiligen Beförderungsregel. Im Vergleich zur reinen Leistungsauswahl, nahmen Frauen deutlich stärker an einem Wettbewerb mit Zufallskomponente teil und gelangten dadurch auch öfter in die Position der Anführerin. Die Autoren leiten daraus sogleich eine politische Idee ab: „Fokale aleatorische Verfahren stellen damit eine wirkungsvolle Alternative zu den umstrittenen Quoten dar.“
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