An Alster und Elbe Hamburgs Treffpunkte der Macht

An der Alster muss alles mit Aussicht sein. Wenn nicht auf die Alster, dann auf die Elbe. Oder den Hafen. Mondäne Brasserien und distinguierte Traditionshäuser sind die Kulisse für die Gespräche der Hanseaten.

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Hamburgs Gastro-Highlights
Crasse Croûte Quelle: Pressebild
Louis C. Jacob Quelle: Pressebild
Jahreszeitengrill Quelle: Pressebild
Das L'Europeo ist auch für leckere Salate bekannt. Quelle: Fotolia
Carls Quelle: Presse
Bullerei Quelle: Presse
Sansibar (Sylt) Quelle: Presse

Sich in Understatement zu üben – das ist in Hamburg ein mindestens so gut inszeniertes Schauspiel wie die Uraufführung eines Stücks von Peter Handke am Thalia Theater. So sehen es jedenfalls einige Hamburger, die ohne die Ahnengalerie einer Reederdynastie im Stadtstaat wohnen. Die Verschwiegenheit, sagen sie, sei vorgegaukelt, das Hanseatentum ein gut gepflegtes Ablenkungsmanöver.

Eines, dessen Inszenierung auch von denen lebt, die in Deutschland Meinung und Stimmung machen. Werbeunternehmen und PR-Agenturen sind reichlich über die Stadt verteilt, die Verlage von Springer, Gruner + Jahr, Spiegel und Zeit sind jeweils fußläufig voneinander entfernt. Die einen residieren in noch immer futuristisch anmutender Architektur, die anderen hinter Fassaden von neuer selbstbewusster Größe, die dennoch nicht protzig wirken will, denn die Hanseatische Komödie würde das nicht dulden.

Große Gespräche in Hamburg

Die Kulisse ist beeindruckend. Historische Häuser mit einer mehrere Jahrhunderte zurückreichenden Vergangenheit treffen in der HafenCity unvermittelt auf die Stahl gewordenen Träume heutiger Architekten und Stadtplaner. Sie treiben nicht allein das größte Bauprojekt Europas voran, sondern zeigen mit den in ihrer Vielfalt fast uniform wirkenden modernen Fassaden, dass Tradition das eine und Fortschritt das andere ist.

Die Speichergebäude in Rotklinker stehen neben den Glasfassaden der Wohn- und Bürotürme, in denen die teuersten Einheiten zuerst verkauft werden und Werbeagenturen wie Reeder ihren Mitarbeitern einen atemberaubenden Blick bieten.

Hamburg, das ist, auch mit nur einem Dax-Konzern (Beiersdorf) vor Ort, die Zentrale Norddeutschlands. Mag Volkswagen in Wolfsburg ein anderes, viel größeres Rad drehen als die Unternehmen im feinen Hamburg und Patriarch Ferdinand Piëch mit dem Ritz-Carlton ein repräsentatives Hotel samt Drei-Sterne-Restaurant in die Autostadt bauen. Mag Ex-Kanzler Gerhard Schröder in Hannover immer wieder in die Hinterzimmer des Gasthauses Wichmann laden, wenn es Großes zu besprechen gilt, wie 2002, als es um Leo Kirchs Schicksal ging, oder 2004, als Putin sein Gast war.

Cölln's Restaurant Quelle: Pressebild

Cölln´s Restaurant

Le Canard Nouveau Quelle: Pressebild

Das alles ficht die Pöseldörfer und Blankeneser Bürger nicht an. Man weiß, wer man ist, und zeigt das deutlicher, als es das Image vermuten lässt. Und wenn man dafür ins Souterrain muss, wie in Cölln’s Austernkeller, wo historische Kacheln, Decken aus Leder und ein Zimmer aus der Zarenzeit zu bestaunen sind. Oder, wie in der Brasserei Die Bank, zuerst den Pförtner passiert und die ehrfurchtgebietenden Säulen im Erdgeschoss bestaunt, bevor man über das Treppenhaus in die 1. Etage gelangt.

Auch die restaurierte Art-déco-Grandezza des Jahreszeitengrill oder die imposante Aussicht des Le Canard Nouveau – Zurückhaltung wird in Hamburg gern luxuriös gelebt. Schließlich: Wenn die Hamburger Gesellschaft unter sich sein will, dann zieht sie sich am Wochenende vorzugsweise nach Sylt zurück. In die reetgedeckten Ferienhäuser mit Tiefgarage und Swimmingpool, uneinsehbar geschützt von Hecken und Bäumen. Spätestens in der Sturmhaube, der Sansibar oder der Bar des Benen-Diken-Hofs sind die Reeder, Verleger und Werber so locker und bisweilen unhanseatisch ungehemmt, wie sie es sich insgeheim für ihren Alltag hin und wieder wünschen würden.

Kaviar mit Verschwiegenheit

"Bismarck klingelt!“, ist vom Flur aus zu hören, wo die Mitarbeiterin von Cölln’s Restaurant mitteilt, dass die Gäste einen Wunsch haben. Andernorts mag ein dezentes Räuspern genügen – im Salon Bismarck kann der Gast winken, bis er müde Arme hat: Keiner würde ihn beachten. Inhaber Holger Urmersbach, ein kregeliger Wirt mit Hermès-Krawatte und Kugelbauch bietet seinen Gästen neben Kaviar, Austern und einer Auswahl an bodenständigen Gerichten vor allem eines: Verschwiegenheit.

Ungestört

Wer in den 13 Separees Platz nimmt, kann sicher sein, nicht gestört zu werden; wer im Souterrain die Vorhänge fallen lässt, auch, nicht gesehen zu werden. Kleine Kartons in Schwarz und Rot signalisieren dem Service, den Raum nicht oder nur nach Klopfen zu betreten. Der Gast hat eine Klingel, auf Wunsch auch ein Telefon. Unternehmen wie die Reederei Laeisz haben ihre eigenen Kissen. Die Kaviardosen, die auf den Regalbrettern im Treppenaufgang stehen, sind mit dem Namen der Gäste gekennzeichnet, darunter auch der russische Milliardär Abramowitsch.

Die Verlegerdynastien Hamburgs waren hier schon als Kinder, Gerhard Wempe und Albert Darboven gehören zu den Spendern, die halfen, die Räumlichkeiten zu sanieren. Horst Köhler aß hier unlängst Ente, Gerhard Schröder war auch schon da. Wer noch, will Urmersbach nicht sagen. Nur, dass er natürlich alle Wirtschaftskapitäne kenne. Alle!

Le Canard Nouveau

Das L'Europeo ist auch für leckere Salate bekannt. Quelle: Fotolia

Wenn der Bauherr und Architekt nach all den Jahren noch regelmäßig zum Essen kommt, dann ahnt man: Hier ist etwas sehr in Ordnung. Meinhard von Gerkan weiß den Blick aus dem Glasrondell auf den gegenüberliegenden Containerhafen noch immer zu schätzen, wenn er mittags Gesprächspartner zu Tisch bittet. Das Le Canard ist eine Besonderheit in der deutschen Gastronomie: Das Haus wurde von Architekten entworfen, die von ihrem Büro aus nicht weit gehen wollten, um gut essen zu können.

Nachkochen könnte frustrierend sein

Die Geschichte des Le Canard ist eng verbunden mit dem Namen Josef Viehhauser, der als Koch das Restaurant über Jahrzehnte prägte, bevor er 2004 aufgeben musste. Nun trägt das Restaurant den Zusatz „Nouveau“ und Chefkoch Ali Güngörmüs hat sich Respekt und Anerkennung erarbeitet. Im Nachwort zu Güngörmüs’ Kochbuch empfiehlt Gastgeber von Gerkan folgerichtig, sich beim Nachkochen Frustrationen zu ersparen und lieber gleich einen Tisch zu bestellen.

Daran hält sich eine ungewöhnliche Mischung von Gästen: Paare, die den Rosé-Champagner auch ohne Bestellung serviert bekommen, Geschäftsleute, die auf den Freischwingern federnd ihre Deals erörtern, oder Damen, die sich zu zweit eine Vierländer-Ente gönnen, die Güngörmüs selbstverständlich auch beherrscht.

Wem das zu viel Rummel ist, dem steht das Japanzimmer zur Verfügung. RWE- Chef Jürgen Großmann ist als Genießer– siehe Louis C. Jacob – hier ebenso Gast wie das Gros der Hamburger Reeder, die an kaum einem Ort in Hamburg so nah an ihrer Arbeit und doch so entrückt speisen können.

L´Europeo

Louis C. Jacob Quelle: Pressebild

Es ist ein Singsang, der den Vortrag der Primi, Pasta und Secondi wie ein kleines Lied klingen lässt. Wirt, Eigner und Patron Antonio Cartugno kommt an jeden Tisch persönlich, um die Gerichte des Tages vorzustellen. Das hört sich an einem Sonntagmittag ein Familienpatriarch samt Kindern und Enkeln andächtig an, bevor der Tisch wieder in ein großes Gespräch eintaucht. Die Feier am Abend zuvor habe noch lang gedauert, erzählt Cartugno, die Fischerjungs seien alle dagewesen.

Das L’Europeo an der Ecke einer Ausfallstraße in Groß Flottbek ist leicht zu übersehen, eine Hecke versperrt die Sicht auf die Fassade des Klinkerbaus. Die Inneneinrichtung ist so, wie sie wohl immer war: Holz, weiße Tischdecken, ebenfalls Klinker. Die Kellner in hellblauen Poloshirts mit einer 31 auf dem Rücken juxen mit den Kindern und halten die Augen offen. Der Büffelmozarella Burrata ist cremig, der Artischockensalat frisch – das L’Europeo ist schlichtweg der Italiener, wie man sich ihn wünscht.

Das wissen Gäste wie Gunnar Heinemann, der Gründer und Mitgesellschafter der gleichnamigen Duty-free-Kette. Sylts Promiwirt Herbert Seckler wohnt, wenn er denn mal die Insel verlässt, im Louis C. Jacob und speist hier, „weil die Küche isch einfach, abba subba“. Dank der abseitigen Lage und dem unscheinbaren Äußeren können sich unter der Woche kulinarische Kenner und alteingesessene Unternehmer aus der Reedereibranche sicher sein, nicht von zufällig hereingeschwemmten Gästen beobachtet zu werden, zumal es stillere Ecken in dem verwinkelten Lokal gibt.

Viele kennen sich untereinander und wissen: Sie sind unter Gleichgesinnten. Die vielen geleerten Magnumflaschen hochpreisiger italienischer Weine sind stumme Zeugen von Partys und Treffen, bei denen das Gesellige ebenso im Mittelpunkt stand wie das Geschäftliche, für jene Treffen also, wo die gemeinsame Freude über einen Abschluss zu zelebrieren ist oder ein prospektiver Kunde liebevoll umgarnt statt hart angegangen wird. Antonio begleitet das mit Fisch im Salzteig für den ganzen Tisch und Profiteroles als süßen Abschluss.

Louis C. Jacob

Kaviar aus den Fischeiern der Lachsforelle Quelle: AP

Die Lindenterrasse bringt alle zum Schwärmen. Im Sommer, wenn selbst in Hamburg das Frühstück unter freiem Himmel genossen werden kann, hat die weitläufige Freizone vorm Hotel direkt gegenüber des Airbus-Werksgeländes Hochsaison. Nicht nur vormittags, auch später, beim Kaffee oder beim Aperitif am Abend und anschließenden Dinner, entstehen hier die Momente, in denen allein schon die Lage vieles schlägt, was Hamburg sonst zu bieten hat.

Die Lindenterrasse, das Paradestück des Louis C. Jacob, ist mittendrin im edlen Leben, in Nachbarschaft der Villenviertel von Blankenese und Flottbek. Das Haus gehört dem Hamburger Reeder Horst Rahe, der als Käufer und Verkäufer von Unternehmen reüssiert hat und immer auf der Suche scheint nach der nächsten Option. Mit den Aida-Clubschiffen war er ebenso erfolgreich wie mit den Flusskreuzfahrtschiffen A-Rosa – beide gehören heute nicht mehr zu seinem Imperium, der Deutschen Seerederei in Rostock.

Staraufgebot

Das Louis C. Jacob aber, das bleibt. Ausgestattet mit feinen Möbeln und Kunstwerken aus Rahes privater Sammlung, ist es ein Schatz der deutschen Hotellerie. Hier können Hochzeiten lautstark auf zwei Etagen gefeiert werden, aber auch Besprechungen im Garten- oder Biedermeierzimmer (Foto) in aller Stille stattfinden. Die Gerichte von Küchenchef Thomas Martin werden nicht nur vom Michelin geschätzt, sondern auch von RWE-Chef Jürgen Großmann, der weiß, wovon er redet, wenn es um gutes Essen geht – ihm gehört in Osnabrück mit dem La Vie schließlich ebenfalls ein Restaurant mit höchsten Weihen.

Axel Heitmann, als Lanxess-Chef in seiner Stadt Leverkusen kaum so kulinarisch verwöhnt, ist ebenso Gast wie der ehemalige Wirtschaftssenator und Container-Unternehmer Ian Karan. Auch der amtierende Erste Bürgermeister Olaf Scholz ist hier zu treffen und eine illustre Schar an Stars aus Film (Otto Waalkes), Fernsehen (Markus Lanz, Marietta Slomka) und Architektur (Hadi Teherani). Selbst Rocklegende Udo Lindenberg, der seinen Stammsitz im Atlantic Hotel Kempinski an der Außenalster hat, macht sich hin und wieder auf den Weg an die Elbchaussee 401–403.

Fischereihafen Restaurant

Jahreszeitengrill Quelle: Pressebild

Das Ende des Fischereihafens ist der Beginn der Neumühlen. Wer sich, von der Innenstadt kommend, zu Fuß Richtung Große Elbstraße 143 bewegt, passiert die eigentümliche Mischung aus Gastronomie, Feinkostläden und Fischhändlern. Eine Straße, die traditionell am Abend von den Bordsteinschwalben für ihr Gewerbe genutzt wird. Eine Straße als perfekte Kulisse für ein Traditionsrestaurant der gehobenen Gesellschaft, mit bester Aussicht auf den Hafen auch in zweiter Reihe und einem Doorman an der Treppe in den ersten Stock.

Die Karte des Fischereihafen Restaurants listet auf, was in der Nachbarschaft gehandelt wird – Fisch in allen Varianten. Die Gäste, darunter der Vorstand von Airbus oder der Lufthansa Technik, können sich auch zu halben Portionen am Mittag niederlassen – Kowalkes Mittagstisch, wie das Lunch hier nach dem gebürtigen Lübecker Patron Rüdiger Kowalke heißt, halbiert den Preis der Hauptgerichte.

Tradition

Den Angestellten im keilförmig hervorragenden Bürogebäude Dockland und auf der Uferpromenade Neumühlen dürfte vor allem die Einkehr in eine andere Welt gefallen, die eine gewachsene Tradition spürbar macht: Sie begeistert Mitglieder der Unternehmerfamilie Herz, aber auch die umliegenden Reeder. Geschäftsleute können sicher sein: Es gibt immer noch prominentere Gäste in dem Restaurant, dessen umtriebiger Chef den Umgang mit bekannten Gesichtern von Lady Di und Prince Charles über Sean Connery bis Thomas Gottschalk gewohnt ist.

Kowalke, 2005 vom Gault Millau zum Restaurateur des Jahres gekürt, kennt das Spiel von Diskretion und Trommelei. Helmut Kohl aß Schellfisch, Franz Beckenbauer stets Aal mit Rührei, Heino und Hannelore – so berichtete es die örtliche Tagespresse – „stets in Butter gebratene Seezunge“. Seit 30 Jahren führt Kowalke den Betrieb, der vor 60 Jahren eröffnete. Seit 1997 verantwortet Sohn Dirk die Geschäfte, präsent ist Vater Rüdiger weiterhin. Einiges hat der Junior verändert: einen Balkon an- und bodentiefe Fenster eingebaut. Geblieben ist das Konzept, das der Vater ersonn: Fisch servieren, wo Fisch gehandelt wird.

Jahreszeitengrill

Wenn Michael Diekmann im Jahreszeitengrill isst, dann kann jeder andere Gast im Umkreis von 20 Metern bewundern, wie diszipliniert der Herr mit der Glatze und dem durchdringenden Organ seine Trennkost beherzigt und sein Lunchmenü bestellt: Salat als Vorspeise und das Filetsteak ohne Kohlenhydrate-Beilage. Diekmann ist geschäftsführender Gesellschafter der Patric Heizmann GmbH, die Vorträge und Seminare für Ernährung und Gesundheit anbietet.

Restauriertes Kleinod der Art-déco-Zeit

Er ist Hamburger Kaufmann und weiß gute Lokale zu schätzen für die Anbahnung von Geschäften, auch wenn ihm zu Beginn nicht immer klar ist, wohin die Reise geht: „Da habe ich mich gefragt, was Sie von uns wollen.“ Seine Geschäftspartner wählen das Pianissimo, und so blieb, wie alle Gespräche im Jahreszeitengrill, auch dieses Gespräch diskret. Der Grill ist ein restauriertes Kleinod der Art-déco-Zeit und weitläufig genug, damit sich die Gäste in sicherer Entfernung von Mithörern wissen – wenn man nicht gerade durch den Saal brüllt.

Das würde Gästen wie den Vorständen des Versandhandelshauses Otto und anderen Mitgliedern der Hamburger Geschäftselite auch nicht schmecken. Umso mehr lieben sie das Lunchmenü mit regionalen Spezialitäten und deftiger Kost wie Grützwurst. Im Jahreszeitengrill wird auch noch die Kunst des Anmachens von Tatar gepflegt, den der Vierer-Tisch genießt. Er ist so leise wie das Auto, über das dort geredet wird: Bentley.

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