Paradoxerweise hatte er dadurch die Macht, die Macht abzuschaffen. Seit Anfang Mai haben die Mitarbeiter von Zappos in Las Vegas offiziell keine Chefs mehr. 269 Führungskräfte haben dadurch ihren Posten verloren.
Welche Rolle die einzelnen Zappos-Mitarbeiter gerade übernehmen – die Auswahl des Frühjahrssortiments oder die Marketingkampagnen zum Weihnachtsgeschäft –, ist in einer Datenbank festgehalten, die jeder Angestellte einsehen kann. Laut Robertson machen soziale Netzwerke und Messaging-Software den Weg zur Selbstorganisation möglich, weil sich jeder aktuell über den Stand laufender Projekte und die Aufgaben der anderen informieren kann.
Was gute Führung ausmacht
Laut einer Umfrage der "Initiative Neue Qualität der Arbeit" unter 400 Führungskräften sind Flexibilität und Diversität sind weitgehend akzeptierte Erfolgsfaktoren. Das Arbeiten in beweglichen Führungsstrukturen, mit individueller Zeiteinteilung und in wechselnden Teamkonstellationen ist aus Sicht der meisten Führungskräfte bereits auf einem guten Weg. Die Idee der Förderung von Unterschiedlichkeit ist demnach in den Unternehmen angekommen und wird umgesetzt. Die Beiträge zur Führungskultur gerade aus weiblichen Erfahrungswelten werden äußerst positiv bewertet.
Prozesskompetenz ist für alle das aktuell wichtigste Entwicklungsziel. 100 Prozent der interviewten Führungskräfte halten die Fähigkeit zur professionellen Gestaltung ergebnisoffener Prozesse für eine Schlüsselkompetenz. Angesichts instabiler Marktdynamik, abnehmender Vorhersagbarkeit und überraschender Hypes erscheint ein schrittweises Vortasten Erfolg versprechender als die Ausrichtung des Handelns an Planungen, deren Verfallsdatum ungewiss ist.
Selbst organisierende Netzwerke sind das favorisierte Zukunftsmodell. Die meisten Führungskräfte sind sich sicher, dass die Organisation in Netzwerkstrukturen am besten geeignet ist, um die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt zu bewältigen. Mit der kollektiven Intelligenz selbst organisierender Netzwerke verbinden diese Führungskräfte die Hoffnung auf mehr kreative Impulse, höhere Innovationskraft, Beschleunigung der Prozesse und Verringerung von Komplexität.
Hierarchisch steuerndem Management wird mehrheitlich eine Absage erteilt. Die meisten Führungskräfte stimmen darin überein, dass Steuerung und Regelung angesichts der Komplexität und Dynamik der zukünftigen Arbeitswelt nicht mehr angemessen sind. Zunehmende Volatilität und abnehmende Planbarkeit verringern die Tauglichkeit ergebnissichernder Managementwerkzeuge wie Zielemanagement und Controlling. Überwiegend wird die klassische Linienhierarchie klar abgelehnt und geradezu zum Gegenentwurf von „guter Führung“ stilisiert.
Kooperationsfähigkeit hat Vorrang vor alleiniger Renditefixierung. Über die Hälfte der interviewten Führungskräfte geht davon aus, dass traditionelle Wettbewerbsstrategien die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben und das Prinzip Kooperation weiter an Bedeutung gewinnt. Nur noch 29,25 Prozent der Führungskräfte präferieren ein effizienzorientiertes und auf die Maximierung von Profiten ausgerichtetes Management als ihr persönliches Idealmodell von Führung.
Persönliches Coaching ist ein unverzichtbares Werkzeug für Führung. Mit dem Übergang zur Netzwerkorganisation schwindet der selbstverständliche Schonraum hierarchischer Strukturen. Die Durchsetzung eigener Vorstellungen über Anweisung werde immer schwieriger oder sei gar nicht mehr möglich. Mächtig ist nur, was auf Resonanz trifft. Einfühlungsvermögen und Einsichtsfähigkeit werden dadurch immer wichtiger. Alle Akteure, ob nun Führungskraft oder geführte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bräuchten im Unternehmen mehr Reflexion und intensive Entwicklungsbegleitung.
Motivation wird an Selbstbestimmung und Wertschätzung gekoppelt. Die Führungskräfte gehen davon aus, dass die motivierende Wirkung von Gehalt und anderen materiellen Anreizen tendenziell abnimmt. Persönliches Engagement wird mehr mit Wertschätzung, Entscheidungsfreiräumen und Eigenverantwortung assoziiert. Autonomie werde wichtiger als Statussymbole und der wahrgenommene Sinnzusammenhang einer Tätigkeit bestimme den Grad der Einsatzbereitschaft.
Gesellschaftliche Themen rücken in den Fokus der Aufmerksamkeit. In der intuitiven Schwerpunktsetzung der Führungskräfte nimmt die Stakeholder-Perspektive des Ausgleichs der Ansprüche und Interessen von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen einen wachsenden Raum ein. Über 15 Prozent aller frei genannten Beschreibungen im Führungskontext beschäftigen sich mit Fragen der gesellschaftlichen Solidarität und der sozialen Verantwortung von Unternehmen.
Um Geschäftspartner nicht zu verwirren, haben Zappos Ex-Manager nach außen ihre Titel behalten. Hsieh listet sich auf dem Geschäftsnetzwerk LinkedIn als CEO. Der frühere Marketingchef Matt Burchard ist dort weiter „Senior Director of Marketing and Customer Experience“.
Das Experiment ist umso kurioser, da Hsiehs oberster Chef, Amazon-Lenker Bezos, als überzeugter Mikromanager gilt, der sich in alles einmischt. Aber der Amazon-Chef ist neuen Dingen immer aufgeschlossen und lässt Hsieh gewähren.
Einige Zappos-Mitarbeiter waren da skeptischer: 210 kündigten nach dem Umbau. Das erzeugte so viel Aufruhr, dass einige Mitarbeiter sogar diskutierten, ob Hsieh nicht wegen seines Beharrens auf Holacracy von seinem Posten zurücktreten sollte.
Auch Managementautor Steve Denning hält wenig von Holacracy: Selbst wenn ein Projektverantwortlicher nicht mehr so genannt wäre, heiße das nicht, dass es keine Manager gäbe. Andere Kritiker warnen vor einer Kaskade von Meetings, wenn niemand entscheiden dürfe.
Hsieh gibt zu, dass einige Dinge wie das Entlohnen von Leistung genauer definiert werden müssen. Er will dem Wandel bis zu fünf Jahre einräumen. Ob so viel Zeit bleibt, könnte ausgerechnet ein Boss alter Schule entscheiden. Amazon-CEO Bezos hat zwar ein Faible für ungewöhnliche Dinge. Doch falls unter Experimenten Wachstum und Kundenzufriedenheit leiden, zieht er die Notbremse.