Arbeitsjurist Ulrich Sittard Die vielen Tretminen des Mindestlohnes

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"Schleunigst eine Kontrollinstanz einrichten"

Wie sollten sich Unternehmen wappnen?

Im eigenen Unternehmen sollten sie schleunigst eine Kontrollinstanz einrichten, die die Einhaltung des Mindestlohns sicherstellt. Außerdem sollten sie sich vertraglich von ihren Dienstleistern zusichern lassen, dass sie Mindestlöhne zahlen und sich Freistellungs- und Ausgleichsansprüche einräumen lassen.

So viel Ausbeutung ist erlaubt
Welche Arbeitszeiten sind pro Tag und Woche maximal erlaubt?In Deutschland gibt es das Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Es regelt unter anderem Höchstarbeitszeiten, Ruhepausen und dient der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer. Die werktägliche Arbeitszeit darf acht Stunden nicht überschreiten – wobei Werktage Montag bis Samstag sind. Es gilt damit also eine 48-Stunden-Woche. „Die tägliche Arbeitszeit darf allerdings auf zehn Stunden erweitert werden, wenn es auf Sicht von sechs Monaten im Durchschnitt trotzdem bei acht Stunden pro Tag bleibt“, erklärt Marc Repey. Damit sollen beispielsweise saisonale Schwankungen oder vorübergehender erhöhter Arbeitsbedarf aufgefangen werden. Quelle: dpa
Gibt es Ausnahmen von dieser Regel?Das Arbeitszeitgesetz gilt für alle Arbeitnehmer, aber nicht für Leitende Angestellte, Chefärzte und einige leitende Positionen des öffentlichen Dienstes. Arbeitnehmer unter 18 Jahren unterfallen dem Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG). Sonderregelungen gibt es zudem für Besatzungsmitglieder von Schiffen und Luftfahrzeugen. In Kirchen oder Religionsgemeinschaften gilt das Arbeitszeitgesetz nicht. Quelle: dpa
Was gilt für leitende Angestellte?Leitende Angestellte dürfen grundsätzlich länger als 48 Stunden pro Woche arbeiten, allerdings muss der Arbeitgeber auch bei ihnen den Arbeitsschutz und die gesundheitlichen Belange der Mitarbeiter beachten. Auch sie müssen also Ruhepausen und Regenerationszeiten bekommen. Quelle: dpa
Können Ausnahmen bei der Arbeitszeit vereinbart werden?Wenn sie in Tarifverträgen vereinbart werden, erlaubt das Arbeitszeitgesetz viele Ausnahmen. „So kann beispielsweise in Krankenhäusern die wöchentliche Arbeitszeit erheblich erhöht werden, wenn Rufbereitschaften und Bereitschaftsdienste anfallen“, sagt der Fachanwalt für Arbeitsrecht. Dann kann der Ausgleichszeitraum, in dem die durchschnittliche Arbeitszeit errechnet wird, von sechs auf zwölf Monate verlängert werden. Zudem können die Ruhezeiten verkürzt werden. Erklärt sich der Klinikmitarbeiter einverstanden, darf er auch ganz ohne Ausgleichszeitraum regelmäßig mehr als acht Stunden pro Tag arbeiten. „Das muss allerdings im Arbeitsvertrag und im Tarifvertrag vereinbart sein, außerdem muss der Arbeitgeber trotzdem sicherstellen, dass die Gesundheit des Arbeitnehmers nicht gefährdet wird“, so Repey. Maximal sind dann 60 Stunden pro Woche als Arbeitszeit möglich. Quelle: AP
Gibt es bei den Arbeitszeiten Sonderregelungen für Praktikanten?„Wird der Praktikant wie ein Arbeitnehmer beschäftigt, also gegen Vergütung und ist er auch arbeitszeitmäßig wie ein Arbeitnehmer eingebunden, darf man davon ausgehen, dass ein Arbeitsverhältnis besteht“, sagt Repey. Dann gilt das Arbeitszeitgesetz mit seinen Beschränkungen – 48 Stunden pro Woche, durchschnittlich acht Stunden pro Tag. Drei Tage durcharbeiten wäre demnach also verboten. „Aber auch wer nicht Arbeitnehmer, sondern sozusagen echter Praktikant ist, dessen Gesundheit muss von den Unternehmen geschützt werden“, so der Anwalt. „Da das Arbeitszeitgesetz genau diesem Schutz dient, dürfte jeder Betrieb gut beraten sein, sich in allen Praktikantenverhältnissen am Arbeitszeitgesetz zu orientieren.“ Quelle: dpa
Sind Minderjährige noch besser geschützt?Für Personen unter 18 Jahren gilt das Jugendarbeitsschutzgesetz. Danach dürfen Jugendliche maximal acht Stunden pro Tag und 40 Stunden pro Woche arbeiten, normalerweise auch nicht an Samstagen, Sonn- und Feiertagen. Quelle: dpa
Wann darf der Arbeitgeber Überstunden verlangen?„Der Arbeitgeber darf sie nicht einfach anordnen“, sagt Marc Repey. Die Pflicht, Überstunden zu leisten, muss im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag geregelt sein. Wie viele Überstunden es sein dürfen, richtet sich nach der vom Arbeitnehmer abzuleistenden Wochenarbeitszeit. Die Höchstgrenze für die erlaubte Wochenarbeitszeit liegt auch inklusive Mehrarbeit bei grundsätzlich 48 Stunden pro Woche. Quelle: dpa

Da schreien die Dienstleister Hurra...

Wie leicht sich diese Forderungen für Outsourcer gegenüber ihren Auftragnehmern durchsetzen lassen, ist letztlich eine Frage der Marktmacht. Konzerne mit vielen Subunternehmern haben es da möglicherweise leichter als kleine Auftraggeber.

Zoll kämpft gegen schwarze Schafe beim Mindestlohn

Wie stellen Sie sich solche Kontrollen vor – soll sich der Auftraggeber die Lohnzettel seiner Subunternehmer zeigen lassen?

In der Tat sollte die Geschäftsführung des Auftraggebers seine Subunternehmer schriftlich auffordern, ihm Einsicht in seine Löhne zu geben. Zumindest die Verdächtigen, sonst wird es zu schwierig bei Hunderten von Subunternehmern und mehr. Kann ein Manager schon an der Kalkulation erkennen, dass der Subunternehmer wahrscheinlich keinen Mindestlohn zahlt oder auf dem angeblich gezahlten Lohnniveau keinen Gewinn erzielen kann, hängt er als Auftraggeber mit drin. Ein Kampfpreis kann mal vorkommen, ist aber als Dauerzustand nicht akzeptabel. Wer sehenden Auges Unternehmen beauftragt, die mutmaßlich weniger als 8,50 Euro pro Stunde zahlen, handelt ordnungswidrig.

Kann der Subunternehmer die Offenlegung der Daten nicht unter Berufung auf den Datenschutz ablehnen?

Die Namen der Mitarbeiter lassen sich ja schwärzen. Dann kann der Auftraggeber immer noch nachrechnen, ob sein Subunternehmer den Mindestlohn einhält.

Und wenn der Subunternehmer seinen Mitarbeitern auf dem Papier zwar Mindestlohn zahlt, diesen aber mit unrealistischen Vorgaben verknüpft, die den Lohn faktisch senken? Dass also eine Putzfrau im Hotel für diese Summe eine bestimmte Zahl von Zimmern säubern muss oder in einem Büro 200 Papierkörbe leert?

Ist zweifelhaft, ob das Pensum in der vorgegebenen Zeit zu schaffen ist, kann sich der Auftraggeber vom Subunternehmer eine Bestätigung des Mitarbeiters mit Stundenzahl und Lohn vorlegen lassen. Stechuhren für fremde Arbeitnehmer muss er aber nicht aufstellen.

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