Lasse Rheingans ist Geschäftsführer der gleichnamigen Digitalagentur in Bielefeld. Das Interview mit ihm wurde im August 2019 geführt und erschien damals erstmals bei der WirtschaftsWoche.
WirtschaftsWoche: Herr Rheingans, ganz neu ist die Idee ja nicht mehr, bei vollem Gehalt die Arbeitszeit zu reduzieren – es gab etwa die Vier-Tage-Woche in Neuseeland. Sie führen aber das erste Unternehmen in Deutschland, wo offiziell nur fünf Stunden pro Tag gearbeitet werden muss. Warum gerade fünf Stunden, nicht vier oder sechs?
Ich habe darüber viel nachgedacht. Sieben Stunden machen einfach keinen großen Unterschied gegenüber acht. Bei sechs Stunden müsste eine Stunde vor dem Feierabend noch die Pause eingeschoben werden und man wäre am Ende doch zwei Stunden länger im Büro. Nach dem Mittagessen ist außerdem meistens die Energie weg. So richtig produktiv arbeiten können da die wenigsten. Also landete ich bei fünf Stunden und dachte mir: Man kann nicht viel verlieren, höchstens etwas lernen.
Hat sich die Fünf-Stunden-Vollzeit nun nach knapp zwei Jahren bewährt?
Es geht gar nicht so sehr um die Zeit, sondern um die Einstellung zur Arbeit. Die sollte ergebnisorientiert sein. Kreative Prozesse kann man nicht in Zeit ausdrücken, der eine arbeitet schnell, der andere langsam. Worum es mir geht, ist ein anderes Mindset, die Arbeit anzugehen. Für uns haben sich die fünf Stunden bewährt. Das heißt trotzdem nicht, dass wirklich jeden Tag um 13 Uhr alle Feierabend machen können. Es gibt Tage, an denen etwas schief läuft oder länger dauert als beabsichtigt. Wichtig ist aber: Im Regelfall arbeitet aber niemand acht Stunden, sondern fünf. Manchmal können es sechs oder sieben werden.
Das heißt, Ihre Mitarbeiter gehen mit der inneren Einstellung zur Arbeit, nach fünf Stunden fertig sein zu können, Schwankungen sind aber eingepreist?
So ist es. Letztendlich müssen wir für die Kunden da sein. Wenn wir nicht pünktlich liefern, teurer oder langsamer sind, dann leidet das Geschäft. Das muss man im Team auch immer wieder klarmachen. Wir müssen unsere Versprechen einhalten und tun gleichzeitig alles, damit wir alle nach fünf Stunden gehen können. Und wenn es über längere Zeit nicht funktioniert, evaluieren wir, woran es liegt und wie wir das ändern können.
Das 5-Stunden-Modell in Bielefeld
Lasse Rheingans, Jahrgang 1980, studierte in München und Byron Bay Medienwissenschaften. Anschließend gründete er mit einem Bekannten eine Agentur für technische Dienstleistungen - und schlitterte in das Dilemma, das viele Gründer kennen: Es gab immer Arbeit, für Privates und die Familie blieb wenig Zeit. Trotz einiger Versuche, dem mit einzelnen freien Nachmittagen und flexiblen Lösungen entgegenzuwirken, fühlte sich der Unternehmer über Jahre hinweg immer erschöpfter. Mit 36 Jahren kaufte er 2017 sein heutiges Unternehmen, Rheingans Digital, und führte im November 2017 die 5-Stunden-Woche für alle Mitarbeiter ein.
Die Kernarbeitszeit ist von 8 bis 13 Uhr. Abweichungen, Homeoffice und andere flexible Lösungen sind im Einzelfall möglich. Um die Arbeit von 8 Stunden derart zu verdichten, werden alle potenziellen Ablenkungen vermieden: Die Mitarbeiter arbeiten einen Wochenplan ab, nutzen keine privaten Smartphones und chatten nicht, es gibt keinen Kaffeeküchentratsch und keine Social Media am Rechner. Gefragt sind volle Konzentration auf die gesetzten Ziele. Zum Lohn gibt es bei Vollzeit-Gehalt einen frühen Feierabend - und freiwillige Teamtreffen zum Mittagessen nach der Arbeit.
Am 21.8.2019 erscheint Lasse Rheingans' Buch "Die 5-Stunden-Revolution" im Campus Verlag (224 Seiten, 24,95 Euro). Darin beschreibt er die Entwicklung der Idee, ihre Umsetzung, was gut und was nicht so gut dabei lief.
Funktioniert das Modell nur in Kombination mit Zielvorgaben?
Es muss ganz klar sein, welche Ziele der einzelne verfolgen muss und wer welche Verantwortlichkeit hat. Wir haben immer Wochen- und Tagesziele, damit jeder sehr zielorientiert die Arbeit beginnen kann. Bei Aufträgen legen wir nach Erfahrungswert fest, wie lange wir brauchen. Hätten wir früher einen Tag veranschlagt, setzen wir jetzt aber fünf Stunden an. Freitags um 13 Uhr bekommt jeder vom Projektmanagement seine Wochenziele für die kommende Woche. Montag berichten wir gegenseitig im Standup-Meeting, wer gerade woran arbeitet und dann wird losgelegt. Mittwochs wird nochmal gemeinsam geprüft, ob wir uns in die richtige Richtung bewegen. Da kann man gegebenenfalls nochmal Einfluss nehmen und umdisponieren, falls jemand Probleme hat oder Hilfe braucht.
Wie schnell oder langsam Mitarbeiter arbeiten, zeigt sich bei einem Fünf-Stunden-Tag deutlicher, als bei acht Stunden. Der Langsame hat weniger Puffer. Wie gehen Sie damit um?
Fehlende Puffer sind in der Tat ein Problem, dem wir uns immer wieder stellen müssen. Sind mehrere Mitarbeiter krank oder kommen unvorhergesehene Probleme, können wir das schwer abfedern. Da ist dann das Team gefragt. Wenn einer langsam ist, muss man grundsätzlicher gucken. Ich bin überzeugt, dass jeder schnell ist, wenn seine Aufgabe zu ihm passt. Ich als Chef muss prüfen, ob diese Person an der richtigen Stelle eingesetzt ist, ob sie gecoacht oder in einem anderen Bereich des Unternehmens eingesetzt werden sollte.

Das Arbeitszeitmodell klingt vor allem attraktiv für Menschen mit Familie. Und auch Sie haben es ja letztlich gewählt, weil Sie zuvor zwischen Job und Familie aufgerieben wurden. Wie stehen aber die Flexiblen dazu, die sich auch mehr Zeit bei der Arbeit lassen könnten zugunsten von mehr Pausen, Austausch und Zerstreuung – was ja auch mal schön sein kann.
Bei uns stehen alle komplett dahinter. Ich frage aber regelmäßig nach, ob alle noch bereit sind, den Preis zu bezahlen. Und der ist: diese Arbeit ist extrem anstrengend, denn man erledigt in fünf Stunden so viel wie anderswo in acht. Jeder muss enormen Einsatz und Energie investieren, es erfordert ein hohes Maß an Selbstorganisation und Reflexionsfähigkeit, auch eine harte Ehrlichkeit der eigenen Arbeit und dem Team gegenüber. Man muss sich im Klaren darüber sein, dass es von jedem einzelnen abhängt. Wir wissen aber auch, dass niemand hochkonzentrierte Wissensarbeit über den ganzen Tag erbringen kann. Deshalb ist es viel schöner, die Mitarbeiter mittags in die Freizeit zu entlassen, vor allem, wenn man am nächsten Tag feststellt, dass sie die aus freien Stücken genutzt haben, um sich Gedanken über den Job zu machen. Oder einfach ausgeruhter und motivierter morgens in den Job kommen.