Aufsichtsräte Der Höllenjob

Politik und Anteilseigner verschärfen den Umgang mit den Aufsehern. Das ist gut gemeint, aber oft schlecht gemacht: Angesichts von mehr Regeln und stärkerer Haftung gehen Aufseher kaum noch Risiken ein, immer weniger wollen den Job machen. Das lähmt die Unternehmen.

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Höllenjob Aufsichtsrat. Quelle: Simon Prades

Selten trug der Saal „Harmonie“ im Frankfurter Congress Center seinen Namen so zu Unrecht wie am vergangenen Freitag. Bei der Hauptversammlung des Pharmaherstellers Stada geht es hoch her, von „Vetternwirtschaft“ ist die Rede und vom „Schleifenlassen der Zügel“. Ziel der Angriffe ist der Aufsichtsratsvorsitzende Martin Abend, dem die Aktionäre zu große Nähe zum Vorstand vorwerfen. Das Kontrollgremium soll die äußerst üppige Vergütung des früheren Vorstands kritiklos abgenickt haben. „Herr Abend, 13 Jahre sind genug!“, ruft Winfried Mathes von der Fondsgesellschaft Deka in den Saal. Am Ende des Treffens wird Abend tatsächlich abgewählt. Der Bankier Carl Ferdinand Oetker übernimmt seinen Posten.

Eine Ausnahme ist so ein Oberaufseher im Mittelpunkt des Geschehens nicht mehr. Im Frühsommer gab es unschöne Auseinandersetzungen im Aufsichtsrat der Deutschen Bank, als Gremiumschef Paul Achleitner und Aufseher Georg Thoma unter großer öffentlicher Anteilnahme ihre Freundschaft zerlegten. Thoma verließ das Gremium auf Druck seiner Mitkontrolleure auch deshalb, weil er es aus Angst vor eigener Haftung mit der Aufklärung der zahlreichen Skandale übertrieben und so die Bank gelähmt haben soll. Und Anfang der Woche schien der VW-Skandal eine Wende zu nehmen, weil der damalige Vorstandschef Martin Winterkorn den damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch früher in die Manipulationen eingeweiht habe, als man bisher dachte. Piëch müsste dann womöglich haften.

Und so ist in den vergangenen Monaten und Jahren ein Typ Wirtschaftsmensch aus dem Schatten der Unternehmenswelt getreten, der früher nur wenig Aufmerksamkeit bekam: der Aufsichtsrat.

Aufsichtsräte mit den meisten Dax-Mandaten

Das liegt nicht zwingend daran, dass die Herren und wenigen Damen des Metiers ihre Lust an der öffentlichen Inszenierung entdeckt hätten, sondern dass sie ins Visier einer unfreiwilligen Koalition geraten sind: Die Politik reguliert das Wirken der Kontrolleure in den deutschen Unternehmen nach Skandalen bei Unternehmen wie Siemens oder Thyssenkrupp und Auswüchsen wie in der Finanzkrise von Jahr zu Jahr ein Stückchen mehr. Und zunehmend selbstbewusste Aktionäre und Investorengruppen nehmen den Auftrag der Aufseher ernst und verlangen, dass diese ihren Job erledigen: den Vorstand hart zu kontrollieren. Mit allen, auch persönlichen Konsequenzen.

Aber wie so oft, wenn etwas gut gemeint ist, ist es nicht automatisch gut gemacht. Und wer in diesen Wochen mit Aufsichtsräten und solchen, die es bis vor einiger Zeit noch ganz automatisch geworden wären, spricht, der ahnt: Hier droht ein eigentlich sinnvolles Ansinnen aus dem Lot zu geraten. Denn je mehr die Aufsichtsräte in ein Geflecht aus Regularien und Rechtsgrundlagen gepfercht werden sollen, desto weniger entscheidungsfreudig zeigen sie sich.

Die bestbezahlten Aufsichtsräte Deutschlands
Platz 10 und 9: Werner Wenning (Bayer und Eon) Quelle: APN
Platz 8:  Manfred Bischoff (Daimler) Quelle: dpa
Platz 7: Manfred Schneider (RWE) Quelle: dpa
Platz 6: Gerd Krick (Fresenius) Quelle: imago images
Platz 5: Jürgen Hambrecht (BASF) Quelle: dapd
Platz 4: Wolfgang Reitzle (Linde) Quelle: dpa
Platz 3: Simone Bagel-Trah (Henkel) Quelle: REUTERS

In vielen Unternehmen sorgen Beispiele wie Stada dafür, dass sich Vorstand und Aufsichtsrat gegenseitig lähmen aus Angst, in die Ungnade der Aktionäre zu fallen. In anderen geht der Aufsichtsrat keinen Schritt mehr, ohne sich mit einer Flut von Gutachten abzusichern; und erste Unternehmen melden: Sie finden keine Aufsichtsräte. Nicht nur keine Frauen, was angesichts gesetzgeberischer Neuerungen in dieser Hinsicht nicht mal verwundern würde, sondern einfach gar keine mehr. Die Commerzbank ist so ein Unternehmen mit Vakanz im Kontrollgremium. Und so stellt sich die Frage: Wie lässt sich das Aufsichtswesen so gestalten, dass es Unternehmen nicht lähmt, sich ausreichend gute Kandidaten finden – und Gesetzgeber wie Aktionäre dennoch zufrieden sind?

Auf der Suche nach einer Antwort kommt man nicht an Ulrich Lehner vorbei. Wenn es in Deutschland so etwas wie die Verkörperung des Aufsichtsrats in einer Person gibt, dann ist das der frühere Henkel-Chef. Bei der Deutschen Telekom und Thyssenkrupp steht er an der Spitze des Gremiums, bei E.On, Porsche und der Privatbank HSBC Trinkaus & Burkhardt ist er einfaches Mitglied beziehungsweise Verwaltungsrat. Er ist ein gefragter Mann, der seine Aufgaben engagiert wie routiniert angeht. Wenn es in der Vergangenheit Kritik an seiner Person gab, entzündete die sich weniger an Inhalten als an der schlichten Ämterfülle.

Anspruchsvoller und anstrengender

Der 70-jährige wirkt, als wolle er diese Sorge schon mit seinem Auftreten zerstreuen. Der studierte Maschinenbauer und Wirtschaftsingenieur ist erstaunlich durchtrainiert, leichten Fußes und braun gebrannt empfängt er Besucher an der Tür seines großen Büros im sechsten Stock der Düsseldorfer Industrie- und Handelskammer. Ein Jackett hat er sich gar nicht erst übergezogen, locker hängt es über der Stuhllehne, so viel Freiheit muss sein. Die nimmt sich der Multi-Aufsichtsrat auch im Gespräch über den Wandel seiner Profession.

Für ihn steht außer Zweifel, dass die Aufgabe deutlich anspruchsvoller und anstrengender geworden ist. „Aufsichtsräte müssen viel stärker in die Sache hineingehen“, sagt Lehner. Anders als früher gebe es einen langen Katalog von Gesetzen, wie ein Unternehmen geführt werden und wie ein Aufsichtsrat überwachen soll.

So kamen Regeln zu Angemessenheit der Vorstandsvergütung hinzu, was das gesamte Entlohnungssystem deutlich komplexer machte. Oder es wurde die Präsenz sogenannter „Financial Experts“ in den Gremien vorgeschrieben, unabhängige Experten, die sich mit Rechnungslegung auskennen. Auch die Regeln zur Abschlussprüfung wurden komplexer.

Die einflussreichsten Aufsichtsräte

Amtsmüde ist Lehner deshalb keinesfalls, doch „die Lust an der Aufgabe ist heute mit großen Belastungen versehen“, sagt Lehner. Während der Job früher maximales Prestige bei minimalem Aufwand verhieß, sind die Vorzeichen heute umgekehrt. „Das Tempo in den Unternehmen und die Veränderungsrate ist hoch, was kontrolliert wird, ist komplexer geworden“, sagt Lehner. Noch vor wenigen Jahren waren Engagements im Aufsichtsrat entweder nette Nebenjobs für aktive Vorstände oder ein wohltemperiertes Abklingbecken für verdiente Manager. Der Aufwand für den Job war so überschaubar, dass er sich mehr oder weniger nebenbei erledigen ließ. Der legendäre Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen brachte es Mitte der Achtzigerjahre auf zehn Mandate, bei fünf Unternehmen stand er an der Spitze des Aufsichtsgremiums.

„Früher gab es vier Sitzungen im Jahr, man traf sich für zwei Stunden, und dann eilte man zum nur bedingt verdienten Essen“, erinnert sich Christian Strenger. „Der Aufsichtsrat mit der längsten Anreise war am besten vorbereitet.“ Als langjähriges Mitglied der deutschen Corporate-Governance-Kommission hat der frühere Chef der Fondsgesellschaft DWS besonders engagiert für die Professionalisierung der Arbeit im Aufsichtsrat gekämpft.

Russell Reynolds Associates: Die Top 10 der DAX 30-Aufsichtsräte 2015

Und professioneller ist das Geschäft, keine Frage. Das liegt auch daran, dass neben den Regeln vor allem die Haftungspflichten zugenommen haben. Gerade in Krisensituationen geht es für die Aufseher schnell ans Eingemachte. Aufsichtsräte müssen verstärkt fürchten, dass sie persönlich für Verfehlungen haftbar gemacht werden. Schon 1999 hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass Aufsichtsräte selbst haften, wenn sie Vorstände, die Schäden verursacht haben, dafür nicht in Anspruch nehmen. Doch es hat etliche Jahre gedauert, bis die Bedeutung des Urteils in der Wirtschaft ankam.

Doch nun häufen sich die Fälle, und mit ihrer wachsenden Zahl wächst auch die Unsicherheit. Und das umso mehr, weil es schnell um die eigene wirtschaftliche Existenz gehen kann. Anders als in anderen Ländern ist die Haftung in Deutschland der Höhe nach unbegrenzt. Das schürt die Angst, zumal viele Details rechtlich bisher kaum geklärt sind. „Natürlich ist das Thema immer präsent“, sagt die Aufsichtsrätin einer Großbank. Große Kanzleien haben die Beratung von Aufsichtsräten als eigenes Geschäftsfeld entdeckt. Die Folge ist eine Absicherungskultur, bei der rechtliche Fragen mindestens ebenso wichtig sind wie das Wohl des Unternehmens. Im schlimmsten Fall wird das Korsett so eng, dass es das Unternehmen lähmt.

Wichtige Entscheidungen

Ein prominentes Beispiel ist Paul Achleitner. Sein ohnehin unter Aktionären nicht unumstrittenes Wirken ist Gegenstand einer juristischen Untersuchung. Der von ihm überwachte Vorstand muss prüfen, ob der Aufsichtsratschef die Aufklärung der Libor-Affäre so verzögert hat, dass der Bank dadurch ein Schaden entstanden ist. Sollte sich die Vermutung bestätigen, müsste der Vorstand Achleitner zur Zahlung auffordern. Sonst könnte er wegen Untreue sogar strafrechtlich belangt werden.

Das ist eine besonders pikante, aber durchaus übliche Konstellation. Wenn es Anhaltspunkte für Verfehlungen gibt, müssen Vorstand und Aufsichtsrat gegeneinander ermitteln und sich im Zweifel in Regress nehmen. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, haften sie selbst. „In jedem zehnten Fall von Managerhaftung sind Aufsichtsräte Schadensersatzforderungen ausgesetzt“, schätzt Michael Hendricks, Chef des Versicherungsmaklers Howden Group.

Die Anlässe dafür sind vielfältig. Wichtige Entscheidungen wie der Verkauf von Unternehmensteilen können ein Anlass sein. Zum Eklat kam es etwa beim Industriedienstleister Bilfinger. Aufsichtsratschef Eckhard Cordes habe den Verkauf des Gebäudemanagements an die Private-Equity-Gesellschaft EQT in dem Gremium regelrecht durchpeitschen wollen, sagt ein Teilnehmer der Sitzung. Dabei wäre die Entscheidung, das einzig gesunde Standbein des Konzerns abzustoßen, diskussionswürdig gewesen. Weil sie die Entscheidung nicht mittragen wollten, traten zwei Aufsichtsräte umgehend zurück.

Das ist das letzte Mittel, um sich der möglichen Haftung zu entziehen. Meist schwelt die Debatte über Pflichten und Versäumnisse im Verborgenen. Wenn sie öffentlich wird, kommt es zum großen Knall. So wie bei der Deutschen Bank. Als Achleitner den Anwalt Georg Thoma 2013 für den Aufsichtsrat gewinnen konnte, hielt er das für einen echten Coup. Als Leiter des neu eingesetzten Integritätsausschusses der Bank sollte er deren moralischen Neustart verkörpern. Im Frühjahr machte eine Allianz seiner Mitkontrolleure öffentlich gegen Thoma mobil und erreichte so schließlich seinen Rücktritt.

Der Vorwurf lautete vor allem, dass der Anwalt es mit der Aufklärung übertrieben habe, indem er immer neue Befragungen ansetzte und neue Gutachten einforderte. So sei ein Klima der Angst entstanden, welches die Bank zunehmend blockiert habe. Thoma, so die Vermutung, habe nicht nur im Interesse der Wahrheit, sondern auch in seinem eigenen gehandelt. Er wollte sich selbst gegen mögliche Forderungen absichern.

Was ist noch Sorgfalt, was schon Blockade? Wie viel Vertrauen ist möglich, wie viel Kontrolle nötig? Wie viel Aufwand müssen Aufklärer bei der Wahrheitssuche betreiben? Wie tief können, wie tief dürfen sie in das Unternehmen eingreifen? Und wo fängt ihre Haftung an?

Eindeutige Antworten auf solche Fragen sind schwierig. „Aufsichtsräte haben gegenüber dem Unternehmen eine Vermögensbetreuungspflicht“, sagt Wirtschaftsstrafanwältin Simone Kämpfer von der Kanzlei TDWE. Da diese Auskunft kaum reicht, bereitet sie Aufsichtsräte mittlerweile häufig in ihrer Kanzlei detailliert auf die nächste Sitzung vor. Manchen reicht das nicht. „Immer öfter nehmen Aufsichtsräte Anwälte mit in die Sitzung, damit ihnen diese gleich an Ort und Stelle Auskunft geben“, berichtet Kämpfer.

Schadenersatzklagen

Denn Ärger mit der Staatsanwaltschaft oder Schadensersatzklagen, früher fast unmöglich, sind längst keine abstrakte Bedrohung mehr. Ende 2015 erhob die Staatsanwaltschaft Bochum Anklage gegen ehemalige Aufseher des insolventen Arcandor-Konzerns. Und dessen Insolvenzverwalter forderte schon 2010 von insgesamt zehn Aufsichtsrats- sowie Vorstandsmitgliedern insgesamt 175 Millionen Euro. Auch der Vorstand des früheren Handyausrüsters Balda geht gegen den früheren Chefaufseher Michael Naschke und zwei weitere Exkontrolleure vor und fordert von ihnen 56 Millionen Euro.

Dass solche Fälle öffentlich werden, ist selten. Viele Kontrolleure zahlen lieber diskret in Vergleiche ein und verhindern so, dass ihr Fall vor Gericht kommt. Zahlungen um die 100.000 Euro seien durchaus üblich, heißt es in der Anwaltsszene, die sich um die Aufseher gebildet hat.

Noch allerdings, deswegen besteht für Mitleid mit den meist gut im Leben stehenden Aufsehern auch wenig Anlass, sind das Ausnahmen. Das Recht gibt diese her – macht in der Praxis den Nachweis von Verfehlungen aber auch schwer. So wie beim Berliner Pannenflughafen BER. Aufsichtsratsmitgliedern konnte dort bisher keine Fahrlässigkeit nachgewiesen werden. Dabei sieht die Opposition beim damaligen Regierenden Bürgermeister und BER-Aufsichtsratschef Klaus Wowereit (SPD) schwere Fehler.

Dieser hatte weder „ausreichend Zeit für die Aufgabe“, noch stand ihm „ein qualifizierter Mitarbeiterstab“ zur Verfügung, schreiben die Grünen in einem Sondervotum zum Bericht des Untersuchungsausschusses. Wowereit habe nicht den Anspruch gehabt, sich die technischen Projektdetails der Vorlagen der Geschäftsführung durch Senatsmitarbeiter aufbereiten zu lassen. „Er verließ sich regelmäßig auf die Informationen der Geschäftsführung.“

Wie riskant das sein kann, hat in der Finanzwelt vor allem der Fall der Bayern LB gezeigt. Die hatte im Jahr 2007 die österreichische Hypo Alpe Adria völlig überteuert gekauft, Verluste von fast vier Milliarden Euro waren die Folge. 2012 verklagte der dann aktive Vorstand nicht nur seine zur Zeit des Deals aktiven Amtsvorgänger, sondern auch den Aufsichtsratschef und seinen Stellvertreter auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 200 Millionen Euro. Das war ein bis dahin einmaliger Vorgang. In allen anderen Fällen waren die Aufseher ungeschoren davongekommen.

Wer im VW-Aufsichtsrat sitzt
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Dabei ist die Verschärfung der Spielregeln an sich alles andere als verwerflich. „Es wird mehr gerungen und kontroverser diskutiert, der Zeitaufwand hat sich verdoppelt“, sagt Thorsten Grenz, Präsident einer Interessenvertretung für unabhängige Finanzexperten in Aufsichtsgremien und selbst Aufsichtsrat beim Medizintechniker Dräger. „Wir fragen viel mehr, protokollieren viel mehr und dokumentieren viel mehr“, sagt Grenz.

Die Probleme beginnen dann aber schon bei der Bezahlung. Die ist zwar gut, aber im Vergleich zur gewachsenen Aufgabe womöglich nicht optimal. Anders als Rekordsaläre für Topaufseher wie den mittlerweile ausgeschiedenen VW-Kontrolleur Ferdinand Piëch (1,2 Millionen Euro in 2014) oder Deutsche-Bank-Inspektor Paul Achleitner (900.000 Euro in 2014) suggerieren, ist das Aufsehertum für den Durchschnitt der 1465 Kontrolleure in Dax, MDax und SDax nicht unbedingt ein lukratives Nebengeschäft. So hat sich die Vergütung des durchschnittlichen Dax-Aufsehers nach einer Untersuchung der Beratung Towers Watson zwischen 2005 und 2014 zwar von 192.000 auf 384.000 Euro verdoppelt. In einer Umfrage der Kanzlei Hengeler Mueller gaben aber 42 Prozent der befragten Kontrolleure an, dass ihre Bezahlung zu niedrig sei. Zahlen kleine Unternehmen nur Aufwandspauschalen von 1500 Euro, so steht das in keinem Verhältnis zum Haftungsrisiko.

Posten adäquat besetzen

Auch William Eggers von der Personalberatung Korn Ferry hält höhere Entgelte für angemessen. Um das zu untermauern, hat er analysiert, wie viel Honorar Vorstände und Aufsichtsräte pro Arbeitstag erhalten. Im Vergleich zum Vorstandschef erhielten die Spitzen des Kontrollgremiums im Durchschnitt zehn Prozent weniger, einfache Aufsichtsräte sogar 50 Prozent weniger Geld als gewöhnliche Vorstände. Dabei, sagt Eggers, bräuchten die Kontrolleure inzwischen dasselbe Wissen wie die Vorstände, um ihre Aufgabe zu meistern. „Das muss sich im Gehalt widerspiegeln, die Aufsichtsratslöhne müssen ungefähr auf das Niveau der Vorstände steigen“, fordert Eggers. Die These ist umstritten. Doch auch für ihre Kontrolleure ist das Leben in der Komfortzone vorbei. Personalberater beziffern den Zeitaufwand für einen durchschnittlichen Aufsichtsratsposten heute auf vier Wochen im Jahr, für den Vorsitz sogar sechs Wochen.

Solange sich aber nichts ändert, steuern die vielen Familienunternehmen und Konzerne, die sich durch ein Aufsichtsgremium kontrollieren lassen, auf einen echten Engpass zu. Dax-Konzerne verbieten ihren Vorständen in den Arbeitsverträgen inzwischen in der Regel, mehr als einen Posten anzunehmen. Ein Konzern aus Süddeutschland untersagt die Übernahme sogar komplett, sagt der Personalberater Heiner Thorborg.

Der Kreis der Kandidaten, und das ist ein nachhaltig großes Problem, wird dadurch zwangsläufig kleiner. Unternehmen tun sich schwerer damit, die Posten adäquat zu besetzen. „Früher sah der Aufsichtsratschef in sein Notizbuch und wurde fündig, das funktioniert heute nicht mehr“, sagt Sabine Hansen, Personalberaterin bei Kienbaum.

Vor allem bei den im Vergleich zur Realwirtschaft noch komplexeren Finanzkonzernen ist die Lage brenzlig. Der Job ist nicht nur besonders anspruchsvoll, weil neue Regeln nicht nur das Geschäft verändern, sondern auch die Anforderungen an den Aufsichtsrat erhöhen. Das Bewerberfeld ist auch besonders eingeschränkt: Schließlich ist der typische Aufsichtsrat ein fachlich versierter Manager nach dem Zenit seiner Karriere. Die Finanzkrise hat diesen Zyklus unterbrochen. Etliche Banker wurden entlassen, manche mussten sich vor Gericht verantworten. „Es fehlt eine ganze Generation“, sagt ein Personalberater.

Dass die offene Revolution gegen Deutsche-Bank-Aufseher Achleitner vorerst ausgeblieben ist, liegt auch daran, dass ein besserer Kandidat nicht in Sicht war. Axel Weber, Vorsitzender des dem deutschen Gremium nur beschränkt vergleichbaren Verwaltungsrats bei der Schweizer UBS, wäre die Wunschlösung eines großen Aktionärs gewesen. Aber warum sollte Weber diesen Job gegen eine Aufgabe mit mehr Risiko und weniger Geld tauschen? Hinter Webers breitem Rücken aber wird das Feld schon dünn.

Wie dünn, lässt sich in Frankfurt nur ein paar Meter weiter beobachten. Bei der Commerzbank steht der leutselige Klaus-Peter Müller seit acht Jahren an der Spitze des Gremiums. Das ist verwunderlich, weil Müller in den Jahren zuvor als Vorstandschef den Niedergang der Bank mit folgenschweren Fehlkäufen maßgeblich vorangetrieben hat. Doch die Kritik daran traf vor allem seinen Nachfolger Martin Blessing. Müller versteckte sich als Oberkontrolleur hinter seinen guten Beziehungen zur Berliner Politik.

In wenigen Tagen erreicht Müller die Altersgrenze von 72 Jahren, die der deutsche Corporate-Governance-Kodex eigentlich setzt. Trotzdem macht er erst mal weiter, sein Vertrag läuft bis zum kommenden Jahr. Dabei sucht die Bank seit vielen Monaten einen Nachfolger. Bisher jedoch sind kaum Namen nach draußen gelangt. Das kann an der professionellen Diskretion der Beteiligten liegen. Oder daran, dass kein anderer den Job machen will.

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