Die Nacht ist endlos, das Eis ewig und es ist nicht nur kalt, sondern richtig bitter-bibber-frostig. Genauer: Um die minus 80 Grad. Im Winter ist die Arktis für Menschen unzugänglich, ein Forschungsprojekt ist ausgeschlossen, unmöglich. Oder? „Das wollten wir erst glauben, wenn wir es ausprobiert haben“, sagt Markus Rex.
Vor zwei Jahren startete der Potsdamer Klimaforscher die Expedition MOSAIC, die ihn „jenseits der Grenzen dessen, was als machbar galt“ führen sollte. Mit dem Forschungsschiff Polarstern ließen Rex und seine Crew sich im Eis einfrieren und dann immer weiter gen Nordpol treiben. Das Ziel: Im „Epizentrum des Klimawandels“ Daten erheben, die einen Durchbruch bei dessen Modellierung bedeuten sollten. Dabei musste Rex immer wieder Entscheidungen zwischen der Sicherheit seiner Leute und dem wissenschaftlichen Interesse abwogen. Entscheidungen, die im Zweifel sogar Leben oder Tod bedeuten konnten. Etwa dann, wenn ein hungriger Eisbär in nächster Nähe vorbei stromerte.
Um Leben und Tod geht es im Unternehmensalltag kaum. Und doch müssen Manager und Managerinnen hier regelmäßig Entscheidungen von großer Tragweite treffen. Manche sind sogar so wegweisend, dass sie neue Perspektiven eröffnen können. Bei solchen Ausbrüchen aus dem Gewohnten ist das Risiko groß. Sie verlangen Mut, den längst nicht alle aufbringen. Entscheider sind viele, Macher auch, aber nur wenige sind Entscheidungsmacher:innen. Diese haben die WirtschaftsWoche und die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG in diesem Jahr zum fünften Mal ausgezeichnet.





Und das zum ersten Mal in gleich vier Kategorien. Die Welt sei so komplex und vielfältig, dass ein Preis allein dies kaum widerspiegeln könne, sagte WirtschaftsWoche-Chefredakteur Beat Balzli bei der von Aline von Drateln moderierten Preisverleihung in Frankfurt. Dass Führungskräfte heute in den verschiedensten Zukunftsdisziplinen mutig entscheiden müssten, betonte auch Angelika Huber-Straßer, Regionalvorstand Süd bei KPMG.
Nirgendwo ist das so offensichtlich wie bei der Digitalisierung. Hier zeichnete die Jury Melissa Di Donato, Vorstandschefin des Nürnberger Softwareunternehmens Suse aus. Die US-Amerikanerin, die in London lebt, hat den 1992 gegründeten Open-Source-Anbieter im Mai in Frankfurt an die Börse gebracht – und das komplett digital. 163 Treffen mit Investoren habe sie am Bildschirm absolviert, berichtete Di Donato. Der Aufwand hat sich gelohnt – auch für Aktionäre. Mit knapp 40 Euro ist eine Suse-Aktie heute knapp zehn Euro mehr wert als beim Börsenstart.
Rundum glücklich sei sie dennoch nicht, sagte Di Donato. Denn sie hätte so gerne eine Glocke zum Börsendebüt geläutet, was ihr aufgrund der Pandemiebeschränkungen verwehrt blieb. Obwohl auch andere Börsenplätze heftig um das Unternehmen buhlten, habe sie sich für Frankfurt entschieden, weil Suse „eine deutsche DNA“ habe. Damit wolle sie ein Vorbild für andere Technologieunternehmen sein. Die Funktion strebt Di Donato auch persönlich an. Sie sehe sich als „Role Model“ für junge Frauen, die es in der männerdominierten Technologiebranche an die Spitze schaffen wollten. Dass mit Merck-Chefwissenschaftlerin Laura Matz und Katja Windt, Mitglied der Geschäftsführung der SMS Group, noch zwei weitere Frauen in der Kategorie nominiert waren, zeigt, dass sie nicht allein ist. (Mehr über Melissa Di Donato erfahren Sie hier: „Ich möchte die Welt verändern“)
In der Kategorie Nachhaltigkeit setzte sich BASF-Chef Martin Brudermüller gegen Adidas-Vormann Kasper Rorsted und Allianz-Vorstand Günther Tallinger durch. Die Jury würdigte damit seine Entscheidung, gemeinsam mit RWE einen Offshore-Windpark in der Nordsee vor der niederländischen Küste zu bauen. Das sei eine Reaktion darauf, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien zu langsam vorangehe, erklärte Brudermüller. Mit der Großinvestition wolle er „schneller sein als die anderen“ und sich „an die Front des Prozesses stellen.“ Schließlich verlange eine „fundamentale Transformation“ auch, „Dogmen in Frage zu stellen.“ (Mehr über Martin Brudermüller und seine Arbeit bei BASF lesen Sie hier: „Kein vergleichbares Chemieunternehmen ist konsequenter“)
Mit der Entscheidung, die Beschäftigten des Softwarekonzerns SAP komplett selbst darüber entschieden zu lassen, wo sie arbeiten wollen, hat Sabine Bendiek trotz der Erfahrungen aus der Pandemie viele Kollegen irritiert, die um ein bewährtes Führungsinstrument fürchteten. Allerdings hätten Umfragen ergeben, dass sich eine überwältigende Mehrheit eine möglichst große Flexibilität wünsche, sagte die Personalchefin, die das gleiche Prinzip bereits als Deutschlandchefin von Microsoft durchgesetzt hatte. Sie selbst, erklärte die Siegerin in der Kategorie „Purpose“, definiere Führungsverantwortung darüber, anderen zu dienen und arbeite dort, wo sie dem Unternehmen am meisten nutze. Nominiert waren neben ihr auch Deutsche-Post-Vorstand Thomas Ogilivie und Ernst Prost, Geschäftsführer von Liqui Moly. (Mehr über Sabine Bendiek und ihre Strategie bei SAP erfahren Sie hier: „Unsere Mitarbeiter wollen auf Dauer von zu Hause arbeiten“)
Dass das Elektrotechnikunternehmen Aixtron zuletzt einen großen Umsatzsprung hingelegt hat, dürfte weniger am viel beklagten Chipmangel als an einer echten Innovation liegen. Dabei geht es um die Materialien Galliumnitrid und Siliciumcarbid. Deren Vorteile erklärt Vorstandschef Felix Grawert vor allem damit, dass bei ihrer Verwendung weniger Energie verloren geht. Die Halbleiter der Zukunft sind für Grawert, dem die Jury in der Kategorie Technologie & Innovation den Vorzug vor Nikolai Setzer, Vorstandsvorsitzender von Continental und Rainer Hundsdörfer, Vorstandsvorsitzender von Heidelberger Druckmaschinen, gab aber nicht nur umweltfreundlicher als bisher – sondern auch europäisch. (Mehr über Felix Grawerts Arbeit bei Aixtron lesen Sie hier: „Unser rasantes Wachstum hat mit Chipmangel nichts zu tun“)
Mutige Entscheidungen ließen sich leichter treffen, wenn man für den Fall des Scheiterns auch die Exit-Strategien bedenke, erklärte Klimaforscher Markus Rex in seinem Vortrag bei der Preisverleihung. Schließlich könne niemand davon ausgehen, dass alles so funktioniere wie geplant. Von der einjährigen Reise hätten seine Crew und er eine durchaus hoffnungsvolle Nachricht mitgebracht. Wenn innerhalb der nächsten zehn Jahre gegengesteuert werde, ließe sich das Abschmelzen des Polareises noch verhindern, sagte Rex.
Für ihn hat sich sein Mut ausgezahlt. Für die Entscheidungsmacher:innen 2021 auch.
Mehr zum Thema: Für Unternehmer ist es von entscheidender Bedeutung, welche Lebenspartner ihre Kinder finden. Die Familien Grupp oder Swarovski zeigen: Diese Wahl kann Erfolg zementieren – oder den Niedergang einläuten.