Begeisterung für den Job Alte Tugenden schlagen New Leadership

New Work? Old School! Quelle: Getty Images

Mitarbeiter nicht nur zufriedenzustellen, sondern sie sogar zu begeistern, ist heute der wahre Wettbewerbsvorteil: 275 Milliarden Euro könnten damit einer Studie zufolge jährlich in Deutschland erwirtschaftet werden.

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„Wettbewerbsfaktor Mensch“ heißt die soeben finalisierte Studie von Unternehmensberaterin Wiebke Köhler, vormals Vorständin Personal im Axa Konzern, und Ingo Hamm, Professor für Wirtschaftspsychologie, an der Hochschule Darmstadt. Unter dem provokanten Titel „New Work? No way!“ bringt das Duo, das sich von einer gemeinsamen Station bei McKinsey kennt, die Ergebnisse der repräsentativen Erhebung auf den Punkt. Dafür haben 1100 Mitarbeitende unterschiedlicher Unternehmen, Branchen, Hierarchien und Altersgruppen in Deutschland verraten, was sie begeistert.

Das überraschende Ergebnis: Die Antworten widerlegen die populäre Annahme, dass New Work-Ansätze und -Methoden Mitarbeiter besonders motivieren und zu mehr Produktivität und Innovationen führen. Denn statt agiler Projektteams (Agilität und Innovation), selbstorganisiertem Arbeiten (operative Freiheit) oder Vorgesetzten auf Kuschelkurs (Offenheit, Toleranz, Fehlerkultur, Führung als Coach, Stichwort: New Leadership) lösen vor allem authentische Führung mit Vorbildfunktion (Platz 2 / 71 Prozent der Befragten) sowie Fürsorge im Sinne beruflicher Weiterentwicklungsmöglichkeiten (Platz 4 / 68 Prozent) und ein sicherer Arbeitsplatz (Platz 4 / 58 Prozent) wahre Begeisterung aus. Getoppt werden diese drei Punkte nur noch von einer passenden, den Kompetenzen und Interessen entsprechenden Tätigkeit, die bei 100 Prozent der Befragten als Grundvoraussetzung gilt.

„Eigentlich sollte es gar keine New-Work-Studie werden. Unser Anliegen war es, über die herkömmlichen Mitarbeiterzufriedenheitsstudien hinaus, in einem komplexen Verfahren auch die emotionalen Hebel für Begeisterung und damit verbundener Loyalität zu berechnen. Unter den 22 von Personalfachleuten identifizierten möglichen Hebeln, waren aber ausgerechnet die, die für New Work stehen, die Schlusslichter: etwa konzeptionelles Arbeiten, Fehlerkultur und Vorgesetzte als Coach“, sagt Wiebke Köhler. Auch der moderne Arbeitsplatz und eine Vision des Arbeitgebers konnten nicht so sehr wie eine klar kommunizierte Strategie, zu deren Umsetzung Führungskräfte und deren Teams etwas beitragen können, punkten.

Schneller schlau: Fünf New-Work-Buzzwords

In der Studie wird Mitarbeiterzufriedenheit als der positive Abgleich von Erwartungen und Realität definiert. Erst wenn dieser Abgleich mehrfach übertroffen wurde, so führt das zu Begeisterung und diese längerfristig zu Loyalität – was sich ökonomisch positiv auswirkt, etwa durch höheres Engagement, bessere Arbeitsqualität und weniger Fehlzeiten.

Authentische Führung im Schwund 


Übersicht der 22 Faktoren, die Mitarbeiterbegeisterung bestimmen

Zur Einordnung der Studienergebnisse sagt Köhler: „Das heißt aber nicht, dass Fehlerkultur und Toleranz nicht erwartet werden – sie lösen lediglich keine Begeisterung mehr aus, das sind heute sozusagen Must Haves. Viel eklatanter ist aber das Ergebnis, dass 71 Prozent der Befragten mit einer authentischen Führung zu begeistern wären. Unserer Untersuchungsmethodik zufolge bedeutet das im Umkehrschluss: Diese scheint heute nicht mehr üblich zu sein in Unternehmen!“ Zudem nähme die tatsächliche Begeisterung der befragten Führungskräfte und Mitarbeiter mit steigender Unternehmensgröße ab. Das passe zu Machtspielen und Intrigen, die in Großunternehmen ähnlich wie in der Politik verbreitet seien. „Die zufriedensten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind in kleinen Familienunternehmen zu finden, denn dort sind die Personen und Regeln noch einschätzbar.“

Der Treppenwitz ist dann wohl, dass viele Arbeitnehmer – über alle Altersgruppen hinweg – gar keine neue Art der Führung und auch kein selbst organsiertes Arbeiten wollen, wie die Studie 2019 zeigt: Vielmehr sind laut Autoren Glaubwürdigkeit, Orientierung, klare Zielvorgaben und natürlich auch Handlungsspielraum, innerhalb gesteckter Grenzen, gefragt. Und die vornehmliche Aufgabe der Führungskräfte sollte es sein, die Unternehmensstrategie zu vermitteln und mit ihrem Team einen sinnvollen Beitrag dazu zu leisten. So die Erwartungen der Mitarbeiter.

Dabei tragen klassische Tugenden und Werte der Unternehmer mehr zur Begeisterung bei als New Work-Ansätze. „Wichtig ist auch die glaubhafte Gesamtstrategie des Unternehmens und die klare Aussage, wie jeder einzelne in seinem Aufgabengebiet dazu beitragen kann. Bei meinem letzten Vortrag vor CEOs und Geschäftsführern Ende August habe ich gefragt, wer diese so detailliert auf die Ressorts und Bereiche heruntergebrochen hat – nur jeder Fünfte hat die Hand gehoben.“

Durch Kuschelkurs entgehen Deutschland 275 Milliarden

Nicht der viel gehypte New Leadership-Style, die Führungskraft als „Facilitator“ (Ermöglicher) und Coach für das Team ist also gefragt, sondern vielmehr eine klare und glaubhaft vorgelebte Führung: „Viel wichtiger als reflexartig modischen Buzzwords zu folgen, ist es, sich in den Unternehmen wieder mit dem zu beschäftigen, was echte Führung ausmacht. Vielerorts herrscht ja mittlerweile der Mythos: Alles kann selbst entschieden werden – ohne Verantwortung für die Konsequenzen tragen zu wollen“, so Köhler. Dabei werde die Begeisterung als wichtiger Wettbewerbsfaktor unterschätzt: Es ginge längst nicht mehr nur darum, die Besten zu bekommen, sondern darum, sie auch zu halten.

Zwar liegt die durchschnittliche Mitarbeiterbegeisterung in Deutschland auf einer Skala von 1 bis 10 laut Studie bei 64 Prozent, dennoch suchen 9 Prozent aktiv einen neuen Arbeitsplatz, immerhin gut ein Drittel wäre einem Wechsel durchaus nicht abgeneigt. Und die Konkurrenz wirbt in Zeiten rückläufiger Geburtenjahrgänge und sich verstärkenden Fachkräftemangels mehr denn je ab.

Gesamtwirtschaftlich betrachtet könnte nachhaltige Begeisterungen den Hochrechnungen von Hamm/Köhler zufolge 275 Milliarden Euro Mehrwert jährlich erwirtschaften – wenn Unternehmen es schaffen würden, die Anzahl ihrer begeisterten Mitarbeiter von 64 auf 88 Prozent zu steigern. Bereits ein Prozentpunkt mehr, könne einen Mehrwert von 11,5 Milliarden Euro schaffen. Das entspräche etwa dem Jahresumsatz der Drogeriemarktkette dm.

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