
Ein Blick in die Wirtschaftspresse genügt: Top-Manager sind ständig in der Kritik. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht irgendein Boss wegen Skandalen, unbedachten Äußerungen oder schlechten Zahlen ins Kreuzfeuer gerät. Schuld daran sind die Unternehmen selbst. Denn noch immer werden große Fehler in der Besetzung von Spitzenpositionen gemacht. Während im unteren Management eine Bürokratisierung der Bewerbungsverfahren zu beobachten ist, Struktur oft vor Augenmaß gilt, so gibt es für die Besetzung von Top-Management-Positionen kaum Standards. Statt dessen greifen die immer gleichen Vorurteile.
Vorurteil 1: Top-Manager brauchen Stallgeruch
Diese Forderung ist die meistgestellte von Unternehmen. „Benzin im Blut“ oder sein „Leben dem Werkzeugmaschinenbau verschrieben“ haben muss eine Spitzenkraft schon. Doch genau das ist gleich zweifach gefährlich: je enger die Branche, desto weniger gute Leute gibt es.
Zur Person
Dr. Matthias Kestler ist als Personalberater mit XELLENTO auf Spitzenpositionen spezialisiert. Einige Hundert Positionen besetzte er in der ersten und zweiten Ebene von Konzernen und internationalen Mittelständlern.
Die Chance, den Zweit- oder Drittbesten zu bekommen ist groß. Es ist wie in der Bundesliga: Weltklasse Außenverteidiger sind nicht unbegrenzt vorhanden – vom Wechselwillen ganz zu schweigen. Auf die Idee, ein Weltklasse Topmanager mit Benzin im Blut sei mal eben verfügbar kommt man aber immer wieder.
Das sind die Karrierestationen der Dax-Chefs
Der Noch-Adidas-Chef ist Diplom-Betriebswirt (FH) und hat außer bei dem Sportartikelhersteller noch bei P&G gearbeitet. Nach seinem Studium hat er allerdings eine Bar eröffnet und diese später mit Gewinn verkauft. Er ist also ein klassischer Unternehmer.
Quelle: Korn Ferry-CEO-Studie
Der neue Allianzchef ist gelernter Bankkaufmann und hat einen MBA. Außer für die Allianz war er noch für die Unternehmensberatung McKinsey tätig.
Kurt Bock war vor seinem Job als BASF-Chef bei Bosch tätig. Ein klassischer Unternehmer ist der promovierte Betriebswirt jedoch nicht.
Dekkers ist seit dem 1. Mai 2016 Aufsichtsratsvorsitzender bei Unilever. Zuvor war der Chemieingenieur fünf Jahre lang Chef von Bayer. Dekkers hat zwar einen Doktortitel und blickt auf Stationen bei GE, Honeywell und Thermo Fisher zurück – ein Unternehmen aufgebaut hat er jedoch nie.
Der Beiersdorf-CEO Heidenreich ist von Hause aus Diplom-Kaufmann. Vor seinem Job bei dem Konsumgüterkonzern arbeitete er bei P&G, Reckitt B., Bertelsmann und Hero – ein Unternehmen gegründet und aufgebaut hat er nicht.
Der BMW-Chef Krüger ist Diplom-Ingenieur für Maschinenbau – ein klassischer Unternehmer ist er jedoch nicht.
Der scheidende Commerzbank-Chef Blessing ist gelernter Bankkaufmann. Er sattelte noch einen MBA oben drauf und arbeitete bei McKinsey, bevor er zu Deutschlands zweitgrößter Bank wechselte. Auch hier: Eine Unternehmerbiografie sieht anders aus.
Der Boss des Automobilzulieferers Continental, Elmar Degenhart, ist von Hause aus Diplom-Ingenieur für Luft- und Raumfahrt. Degenhart hat einen Doktortitel und war vor seinem Job bei Continental bei ITT und Bosch sowie Keiper und Schaeffler tätig. Eine beeindruckende Vita, keine Frage. Aber nicht die eines Unternehmers.
Auch Daimler-Boss Zetsche hat eine beeindruckende Karriere gemacht. Der Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik ist seit 1976 beim Daimlerkonzern und hat sich hochgedient, wie man so schön sagt. Zwischen seinen beruflichen Stationen promovierte er quasi nebenbei. Im Januar 2006 wurde er zum Vorstandsvorsitzenden des Konzerns. Dr. Z ist also mit Sicherheit ein Macher – nur eben nicht im klassischen Sinne Unternehmer.
Der neue Chef der Deutschen Bank ist ein gestandener Manager, Master of Arts, und war zuvor bei Arthur Anderson, Warburg, UBS und Temasek. Ein eigenes Unternehmen hatte aber auch er nie.
Jürgen Fitschen, ebenfalls Chef der Deutschen Bank, ist gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann. Auf seine Ausbildung sattelte er noch ein BWL-Studium oben drauf. Bevor er zur Deutschen Bank ging, war er bei der Citibank. Auch er hatte nie ein eigenes Unternehmen.
Der Chef der Deutschen Börse, Carsten Kengeter, hat einen Master of Science in Finance and Accounting und ist außerdem Diplom-Betriebswirt (FH). Bevor er zur Deutschen Börse ging, stellte er seine Kenntnisse in den Dienst von Barclays, Goldman und der UBS.
Dass der Lufthansa-Chef Spohr ein Manager erster Güte ist, musste und hat er schon bewiesen. Eines ist der Diplom-Wirtschaftsingenieur aber auch nicht: ein klassischer Unternehmer.
Post-Chef Appel ist von Hause aus Diplom-Chemiker. 1993 promovierte er im Fach Neurobiologie an der ETH Zürich. Im gleichen Jahr ging er zur Unternehmensberatung McKinsey, wo er sechs Jahre später in die Geschäftsführung aufstieg. 2000 wechselte er als Zentralbereichsleiter für die Konzernentwicklung zur Deutschen Post AG, wo er sich bis zur Spitze hocharbeitete. Auch er ist ein Macher, nur eben kein Unternehmer.
Der Telekom-CEO ist Diplom-Kaufmann. Bevor er zur Telekom wechselte, war er bei Mummert und Viag beschäftigt. Eine unternehmerische Tätigkeit fehlt allerdings in Höttges Vita.
Der E.On-Chef ist sowohl Jurist als auch Volkswirt. Er hat einen Doktortitel in Jura und war schon Vorstandsmitglied, Aufsichtsratsmitglied, Leiter des Finanzressorts und stellvertretender Vorstandsvorsitzender. Er ist Mitglied diverser Stiftungen und seit 2010 CEO des Stromriesen E.On. Nur ein eigenes Unternehmen hat er nie gegründet.
Der Amerikaner an der Spitze von Fresenius Medical Care ist Biologe und war vor seinem Wechsel zu Fresenius bei Ergo Science, Biogen und Baxter tätig. Auch er hat nie ein Unternehmen gegründet.
Stephan Sturm (53) ist seit dem 1. Juli 2016 Vorstandsvorsitzender von Fresenius. Zuvor war er elfeinhalb Jahre Finanzvorstand des Unternehmens. Vor seinem Einstieg bei Fresenius arbeitete Sturm als Managing Director bei Credit Suisse First Boston (CSFB), zuletzt als Leiter Investment Banking für Deutschland und Österreich. Seine berufliche Laufbahn begann er 1989 als Unternehmensberater bei McKinsey & Co. Stephan Sturm studierte Volks- und Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim mit dem Abschluss Diplom-Kaufmann.
Scheifele, Chef von HeidelbergCement ist promovierter Jurist und Master of Laws. Entsprechend begann er seine berufliche Laufbahn Ende der 1980er Jahre in einer Wirtschaftskanzlei in Stuttgart. 2004 wurde er zum Aufsichtsratsvorsitzender von HeidelbergCement und ein Jahr später – am 1. Februar 2005 – Vorstandsvorsitzender.
Der Adidas-CEO Rorstedt hat in Kopenhagen BWL studiert. Nach seinem Studium hatte er verschiedene Management-Positionen bei Oracle und DEC inne. Von 2002 bis 2004 war er Senior Vice President und General Manager bei Hewlett-Packard, 2005 wurde er zum Mitglied der Geschäftsführung bei Henkel, wo er sich bis zum CEO hocharbeitete. Auch hier: Macher und Manager ja, Unternehmer nein.
Der CEO von Infineon Technologies, Reinhard Ploss, ist Diplom-Ingenieur für Verfahrenstechnik. Sein Studium schloss er mit der Promotion ab. Er ist seit 1. Oktober 2012 Vorstandsvorsitzender der Infineon AG. Nach Stationen bei Siemens wurde er 1999 Leiter des Infineon-Geschäftszweigs Industrial Power und Geschäftsführer der Infineon-Tochter eupec. Seit Oktober 2012 ist er Vorstandsvorsitzender der Infineon AG.
Der Diplom-Chemiker Büchele hat nicht nur einen Doktortitel, der Chef der Linde-AG blickt auch auf berufliche Stationen an der Universität Ulm, bei BASF und Blackstone sowie bei BorsodChem und Kemira zurück. Nur ein Unternehmen gegründet und aufgebaut hat er noch nie.
Der promovierte Jurist und Industriekaufmann Kley begann seine Karriere 1982 bei Bayer. Anschließend wechselte er zu Lufthansa, wo er bis 2006 dem Vorstand angehörte. Von dort aus wechselte er in die Geschäftsleitung des Chemie- und Pharmakonzerns Merck. Im April 2007 wurde er zum Vorsitzenden der Geschäftsleitung. Diesen Posten gab er am 29. April 2016 an Stefan Oschmann ab und verabschiedet sich damit in den Ruhestand.
Der promovierte Jurist von Bomhard ist seit 2004 Vorstandsvorsitzender des Rückversicherers Munich Re. Seine Karriere begann er dort nach Ende seines Studiums 1985 als Trainee.
Der Chef des Dax-Neulings ProSiebenSat.1Media hat ursprünglich Psychologie studiert. Seine Karriere begann er als Produktmanager bei Reemtsma und als Marketing Manager bei Pepsi-Cola Deutschland. Es folgten diverse Managementpositionen bei Novartis. Seit März 2009 ist er Vorstandsvorsitzender der ProSiebenSat.1 Media.
Der RWE-Chef Terium ist gelernter Buch- und Steuerprüfer. Entsprechend arbeitete der gebürtige Niederländer zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn auch für das niederländische Finanzministerium. 1985 ging er zur Unternehmensberatung KPMG. 2003 begann Terium seine Karriere bei RWE – auch hier zunächst gemäß seiner Ausbildung als Leiter des Konzerncontrollings. Später übernahm er den Posten des Vorstandsvorsitzenden bei verschiedenen RWE-Tochterfirmen, bevor er im Juli 2012 Vorstandsvorsitzender des gesamten Konzerns wurde.
Der gebürtige Amerikaner McDermott, Leiter des Softwarekonzerns SAP, ist neben Herbert Hainer der einzige Dax-Chef, der unternehmerische Erfahrungen gemacht hat. Im Alter von 17 Jahren gründete McDermott ein Delikatessengeschäft. Erst später kam die klassische Ausbildung dazu: McDermott machte den Master of Business Administration und den Bachelor in Betriebswirtschaftslehre.
Seine berufliche Laufbahn startete er bei der Xerox Corporation, wo er zum jüngsten Corporate Officer und Geschäftsbereichsleiter der Unternehmensgeschichte aufstieg.
Anschließend war er Präsident beim Marktforschungsunternehmen Gartner Inc. und beim Softwarehersteller Siebel Systems für den Vertrieb zuständig. 2002 wurde McDermott zum CEO von SAP America berufen, acht Jahre später leitete er SAP im Tandem mit Jim Hagemann Snabe. Seit Mai 2014 ist er alleiniger CEO.
Kaeser ist Diplom-Betriebswirt (FH) und arbeitet seit 1980 für Siemens. 2006 wurde er zum Finanzvorstand des Konzerns, was er sieben Jahre lang blieb. Im August 2013 tauschte er den Job des CFOs gegen den des CEOs.
Auch Hiesinger begann seine berufliche Laufbahn bei Siemens: Nachdem er es an der Technischen Hochschule München zunächst zum Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik gebracht hat, sattelte er 1991 noch einen Doktortitel obendrauf und begann dann eine beachtliche Karriere bei dem Technologiekonzern. Im Herbst 2010 verließ Hiesinger den Siemensvorstand und übernahmen ab Januar 2011 die Nachfolge von Ekkehard Schulz als Vorstandsvorsitzender des Stahlkonzerns Thyssenkrupp.
Der aktuelle VW-Chef ist ursprünglich gelernter Werkzeugmacher. Müller ging vor seinem Informatikstudium nämlich zunächst bei der Audi NSU Auto Union in die Lehre, wo er nach seinem Studium auch als Diplom-Informatiker (FH) arbeitete. Später leitete Müller das Produktmanagement für den Audi A3, ab 2002 verantwortete er die Markengruppe Audi, Lamborghini und Seat des VW-Konzerns. Als Martin Winterkorn 2007 Chef der Volkswagen AG wurde, stieg Müller zum Leiter der VW-Produktstrategie auf. Drei Jahre später wurde er zum Vorstandsvorsitzenden der Porsche AG ernannt. Der Dieselskandal und der damit einhergehende Rücktritt Winterkorns machten den ehemaligen Werkzeugmacher im September 2015 zum Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG sowie zum Aufsichtsratsvorsitzenden seines ehemaligen Lehrherren, der Audi AG.
Buch, Diplom-Ingenieur und Betriebswirt, begann seine berufliche Laufbahn bei Bertelsmann. 1991 begann er dort als Assistent der Geschäftsleitung. In den folgenden Jahre kletterte Buch bei Bertelsmann auf der Karriereleiter einige Sprossen nach oben und wurde 1996 Geschäftsführer von Bertelsmann Services France. 2002 wurde Buch zum Vorstandsmitglied der arvato AG. Bis Dezember 2012 blieb er der Bertelsmann-Gruppe treu, im April 2013 übernahm er den Posten des Vorstandsvorsitzenden der Vonovia (damals Deutsche Annington).
Selbst wenn man ihn bekommt, manchmal ist zu viel Branchenstandard auch schädlich, zu groß sind eingefahrene Gewohnheiten und Denkweisen. Ein Branchenfremder, der seine Funktion herausragend beherrscht ist leichter zu bekommen und nutzt oft mehr!