
„Einfach ist mehr“ lautet die Kernbotschaft der gemeinsamen Werbekampagne von Aldi Nord und Aldi Süd. Der ehemalige Mobilfunkdiscounter Simyo warb schon vor Jahren mit dem Slogan „Weil einfach einfach einfach ist“. Und Autoren wie Werner Tiki Küstenmacher bedienen mit Ratgebern wie „Simplify your Life – einfacher und glücklicher leben“ eine immer größer werdende Zielgruppe. Je unübersichtlicher die Welt wird, desto größer ist das Bedürfnis des Menschen nach einem unkomplizierten Leben.
Kurioserweise reagieren Unternehmen genau umgekehrt: Je komplexer die Welt, desto komplizierter werden auch sie. Das zeigt eine Studie der Boston Consulting Group (BCG), die WirtschaftsWoche Online exklusiv vorliegt. Für die Studie "Mastering Complexity Through Simplification" haben die Berater mehr als 1100 Firmen aus 48 Ländern befragt, wie sie sich und ihre Strukturen einschätzen.
Die Deutschen beschreiben sich so:
- Sie brauchen deutlich länger als die Konkurrenz, um neue Produkte auf den Markt zu bringen.
- Es dauert unerklärlich lange, bis Entscheidungen gefällt werden.
- Schlechte Zusammenarbeit einzelner Abteilungen lähmt das ganze Unternehmen.
- Mitarbeiter haben nur ihre eigenen Ziele im Blick, anstatt das große Ganze zu sehen.
- Wettbewerber sind innovativer, die eigenen Produkte und Dienstleistungen werden immer weniger gebraucht.
- Mitarbeiter tun nur das, was man ihnen sagt, anstatt selbst die Initiative zu ergreifen.
- Meetings und Reportings fressen unglaublich viel Zeit.
Entsprechend kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass sich 70 Prozent der deutschen Unternehmen durch ihre komplizierten Prozesse selbst im Weg stehen. Besonders schlimm sei es bei Unternehmen im öffentlichen Sektor sowie im Gesundheitswesen und der Finanzbranche.
Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, muss im Schnitt 70 Prozent mehr Regeln einhalten als Angestellte in Unternehmen aus der IT-, Medien- oder Kommunikationsbranche. „Öffentliche Unternehmen neigen dazu, sehr risikoavers zu sein und sich zur Vermeidung von Risiken ungeheuer komplizierte Strukturen zu schaffen, wodurch selbst einfachste Arbeitsschritte sehr lange dauern“, sagt Reinhard Messenböck. Er ist BCG-Senior-Partner und Studienautor.
Diese sechs Faktoren führen Unternehmen zum Erfolg
Beschleunigte Adaption an Kundenwünsche und Produkteinführung, höheres Mitarbeiterengagement – wer agil arbeitet, verfünffacht seine Erfolgsrate. Die Erfolgsrate bildet den relativen Einfluss eines Erfolgsfaktors auf den wirtschaftlichen Gesamterfolg eines Unternehmens ab. Sie beschreibt, um wieviel die Erfolgswahrscheinlichkeit steigt, wenn der jeweilige Erfolgsfaktor umgesetzt wurde. Erfolg wird hierbei an einer überdurchschnittlichen Marge und Wachstum festgemacht.
Quelle: Umfrage "Organization of the future", BCG Analyse
Ausübung der strategischen Rolle, Best-Practice Sharing, Exzellenz in Unterstützungsfunktionen: 36 Prozent der Unternehmen mit einer effektiven Zentrale sind überdurchschnittlich erfolgreich. Wenn dies nicht erfüllt ist, liegt die Erfolgsquote bei lediglich 18 Prozent.
Die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) muss der Unternehmensstrategie folgen und den Verantwortlichen genug Spielraum einräumen. Unternehmen, die dies berücksichtigen, haben eine dreimal so hohe Erfolgsrate.
Unternehmen mit deutlicher Nähe zu lokalen, kundennahen Ebenen sind doppelt so erfolgreich wie die Konkurrenz. Firmen mit effektiver Unterstützung der lokalen Märkte sind zu 39 Prozent überdurchschnittlich erfolgreich. Fehlt diese Unterstützung, schneiden nur 26 Prozent der Unternehmen wirtschaftlich besser ab als der Wettbewerb.
Funktionen wie IT, Finanzen, Personal und Einkauf bündeln ihre Aktivitäten häufig in Shared Service Centern. Betriebe, die das tun, sind zu 41 Prozent erfolgreich – im Vergleich zu 26 Prozent bei ineffektivem Einsatz.
Klare Aufgabenverteilung, einfache Entscheidungswege, effektive Mitarbeiterprozesse – verdoppelt die Erfolgsrate: 36 Prozent der Unternehmen, die ihre Mitarbeiter ernst nehmen und sie einbinden, sind überdurchschnittlich erfolgreich.
Branchenspezifische Komplikatoren
In der Finanz- und Gesundheitsbranche sowie der Industrie seien es besonders IT, Geschäftsprozesse und Systeme, die den Angestellten das Leben schwer und die Betriebe behäbig machen.
Bei den Konsumgüterherstellern sei es die Unternehmensstruktur an sich und bei Energieversorgern die Unternehmensstrategie. Lange Entscheidungsprozesse lähmen die Versicherungen und Unternehmen der öffentlichen Hand. Dafür wissen Medien- und Telekommunikationsunternehmen nicht, wer sie überhaupt sein wollen und erstarren in Unentschlossenheit, wie die branchenspezifische Auswertung von BCG zeigt. Dennoch gehören sie, zusammen mit den Technologieunternehmen, noch zu den am wenigsten komplizierten Betrieben in Deutschland.
Einen hohen Grad an Kompliziertheit finde man in Westeuropa zwar überall. Deutschland ist der Studie zufolge jedoch einer der Spitzenreiter in punkto Bürokratie und Regelwut. Am schlimmsten sei es jedoch in Belgien. Nirgendwo sonst seien die Unternehmen derart kompliziert und schwerfällig wie dort.
Am einfachsten gestrickt sind die Unternehmen aus Großbritannien, Finnland und Luxemburg. Zumindest halten die befragten Unternehmer ihre Prozesse – von der Entscheidungsfindung bis zur Herstellung neuer Produkte - für sehr effizient und einfach. Wenn die Selbstwahrnehmung diese Unternehmer nicht trügt, haben sie den Deutschen gegenüber einen großen Vorteil. Denn grundsätzlich seien Betriebe ohne komplizierte Strukturen wirtschaftlich erfolgreicher, heißt es in der Studie. Gründe seien unter anderem die schnellen Entscheidungen, abteilungsübergreifende Zusammenarbeit, hohe Innovationskraft und niedrige Kosten.
Kurz: Wer nicht in einem Konstrukt aus Regeln und Prozessen gefangen ist, ist agiler, kann dadurch besser auf Veränderungen im Markt reagieren und so auch mehr Geld verdienen.