Bürokratie Deutsche Unternehmen schaden sich selbst mit ihrer Regelwut

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Unternehmen müssen sich selbst entrümpeln


Die deutschen Unternehmen, die nicht in Bürokratie ertrinken, haben demnach höhere Gewinnspannen und wachsen stärker als die Konkurrenz. "Wir unterscheiden zwischen Komplexität und Kompliziertheit", sagt Messenböck. "Wenn ein Unternehmen sein Angebot an verschiedene Kunden an verschiedenen Standorten anpassen und deren Eigenheiten berücksichtigen muss, entsteht Komplexität. Wenn es nicht gelingt diese Komplexität vernünftig zu managen, entsteht Kompliziertheit."

Übertragen auf die deutschen Betriebe, heißt das: Wenn sie vor neuen Herausforderungen stehen, versuchen sie, die mit alten Mechanismen zu kontrollieren: Der Kunde verliert die Lust am Produkt? Dann werden intern neue Ziele definiert, noch ein Steuerungsmechanismus eingeführt und ein zusätzlicher Projektmanager eingestellt. Das ändert nur am Kundenverhalten nichts. "Anstatt das Bestehende zu optimieren, kommen einfach immer mehr neue Mechanismen hinzu, wodurch sich die Unternehmen in immer kompliziertere Strukturen hineinentwickeln, sagt Messenböck.

Die Folge: Die Unternehmen werden immer langsamer und weniger reaktionsfähig.

Gleiches passiere, wenn Unternehmen zu schnell wachsen und dem nicht mehr Herr werden. „Auf einmal haben sie hier eine Firma, dort eine Niederlassung und da noch ein paar Standorte und dann funktionieren die alten Strukturen nicht mehr.“ Auch mit jeder Führungsstufe, die sich ein Unternehmen leistet, steigt die Komplexität. Direkt zu spüren bekommen das vor allem die Mitarbeiter. Grundsätzlich berichten Angestellte deutlich häufiger - konkret: 50 Prozent häufiger - als Manager, dass sie unter den Strukturen, Regeln und Prozesse ihres Arbeitgebers leiden.

Die gute Nachricht: Wer erkannt hat, dass sich das eigene Unternehmen mit seinen komplizierten Strukturen selbst im Wege steht, kann etwas dagegen tun, wie die Studie zeigt und Messenböck sagt. „Menschen verhalten sich in der Regel logisch – zumindest im Bezug auf die Arbeitsumgebung, die wir ihnen bauen. Also lässt sich ihr Verhalten verändern, in dem man diese Umgebung ändert.“

Er gibt ein Beispiel: Wenn der Recruitingprozess in einem Unternehmen sehr umständlich ist, Stellen monatelang vakant bleiben, zig Vorstellungsgespräche geführt werden und am Schluss doch der Falsche eingestellt wird, liege das nicht an der bösen Absicht des Personalers. „Schauen Sie sich an, wer an dem Prozess beteiligt ist und wie sich die Akteure verhalten", rät Messenböck.

Aus dieser Beobachtung könne ein Unternehmer ableiten, welche Rahmenbedingung verändert werden müsse, damit das Suchen und Finden von Bewerbern schneller und besser wird. Neigt man im Betrieb allgemein zu einer sehr kleinteiligen Beschreibung von Aufgaben? Muss jede Entscheidung von jedem Manager abgesegnet werden, weswegen der Personaler nicht einfach so Bewerber zum Vorstellungsgespräch einladen darf?

Ein bisschen anders ist es, wenn die Kompliziertheit nicht direkt vor der eigenen Nase ausufert, sondern am vielleicht am Standort in Fernost. Hier muss sich der Unternehmer entscheiden, welche Prozesse er selbst steuern will und wo er Verantwortung abgibt und die anderen einfach mal machen lässt. Messenböck spricht von einem Glatt ziehen der operativen Steuerungsprozesse. „Muss sich der Betrieb in Shenzhen mit Sindelfingen abstimmen, wenn ein neuer Pförtner eingestellt wird oder nur, wenn der Geschäftsführer ausgetauscht wurde?“ Wer nicht über die Anschaffung jeder Büroklammer informiert werden will und auf den besungenen Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars besteht, sondern seine Leute auch mal machen lässt, der ist schon einen guten Schritt weiter.

Im Zweifelsfall kann ein Blick in einen Simplify-your-Life-Ratgeber und die Adaption tatsächlich nicht schaden. Dort heißt es nämlich, dass man dort mit dem Entrümpeln anfangen solle, wo der Leidensdruck am größten sei - dem überquellenden Schreibtisch, dem vollen Terminkalender oder eben der Anordnung, dass in einem Unternehmens ohne die Unterschrift des CEO nichts passieren darf.

Dann gilt es, drei Stapel zu machen: Einen für Dinge, die bleiben sollen, weil sie wirklich wichtig sind. Einen für alles, was überflüssig ist oder nicht mehr funktioniert. Und einen dritten für all das, was sich nicht so leicht Stapel eins oder zwei zuordnen lässt. Diese Dinge kommen in eine Kiste und werden nach ein paar Monaten nochmal überprüft: behalten oder wegwerfen? Ein Versuch, die eigenen Regeln einmal derart auszumisten, kann nicht schaden.

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