Burn-out Von der Chefetage in die Psychiatrie – und zurück

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Transparenz , auch innerhalb des Unternehmens

Fühlten Sie sich von Herrn Gruhn verstanden?

Striemer: Als ich in die Klinik ging, war ich mir jedenfalls sicher – wenn ich zurückkommen will, dann kann ich zurückkommen. Das hat mir sehr viel Druck genommen, allerdings habe ich schon einen Tag später, in der Klinik, nicht mehr daran gedacht. Da hatte ich andere Sorgen.

Wie ist Ihr Verhältnis zueinander?

Wir arbeiten seit 15 Jahren zusammen und kennen uns noch länger. Da hat man nicht mehr so eine große Distanz, weil man schon viel zusammen erlebt hat. Wir haben aber trotzdem ein professionelles Verhältnis.

Viele Betroffene verschweigen ihrem Vorgesetzten die Wahrheit.

Ich habe nicht eine Sekunde überlegt, ihm irgendetwas zu verschweigen. Wir waren uns auch schnell einig, dass wir keine Geschichten erfinden, sondern auch im Unternehmen offen kommunizieren, was passiert ist.

Warum haben Sie sich für diese Transparenz entschieden?

Ich habe einfach keinen Grund gesehen, das nicht so zu sagen, wie es war. Abgesehen davon kann ich mich schneller auf eine Therapie einlassen, wenn ich mir und meinen Mitmenschen das Problem eingestehe – und umso schneller geht es mir auch besser. Und wenn man in die Firma zurückkehrt, ist es ebenfalls einfacher. Klar, die Leute sind erst mal ein bisschen irritiert oder abwartend, weil nicht jeder damit umgehen kann, dass jemand aus dem Umfeld psychisch erkrankt ist. Viele Leute hätten sich leichter getan, wenn ich einen Herzinfarkt gehabt hätte. Aber so war es nun mal nicht. Also konnte ich auch nichts vorspielen. Deswegen: völlige Transparenz.

Nach diesem Abend in der Küche war Herr Striemer auf nicht absehbare Zeit weg. Haben Sie darüber nachgedacht, ihn zu ersetzen?

Gruhn: Nein. Wir haben gesagt, das ist eine Erkrankung wie andere, die geht auch wieder vorbei. Und dann gucken wir, was passiert.

Striemer: Und wenn sie nicht vorbeigeht, dann geht sie nicht vorbei, aber die Kollegen werden es erfahren.

Gruhn: Genau. Aber ich bin da auch nicht blauäugig rangegangen. Wenn es wesentlich länger gedauert hätte, dann hätten wir natürlich handeln müssen. Aber darüber muss man am Anfang der Erkrankung noch nicht reden. Wenn jemand einen Herzinfarkt hatte, weiß man auch nicht, wie schnell er zurückkommt.

Wann haben Sie nach dem Abschied das nächste Mal voneinander gehört?

Striemer: Mein erstes Lebenzeichen war eine E-Mail aus der Klinik, als ich kurzzeitig dachte, ich komme mal zur Weihnachtsfeier vorbei. Was sich aber schnell als eine schlechte Idee herausgestellt hat. Das nächste Signal habe ich gesendet, als absehbar war, dass ich in ein oder zwei Wochen zurückkehre. Da haben wir uns in Berlin zum Frühstück getroffen.

Gruhn: Das war für mich eine der schwierigsten Situationen im ganzen Prozess, weil ich nicht wusste, was auf mich zukommt. Er hätte auch sagen können: Für mich ist Schluss. Das habe ich zwar nicht für die wahrscheinlichste Möglichkeit gehalten, aber auch nicht völlig ausgeschlossen.

Herr Striemer, waren Sie innerlich auch auf einen Rauswurf vorbereitet?

Striemer: Ich musste zwar theoretisch damit rechnen, dass er mir mitteilt, eine andere Lösung gefunden zu haben. Aber selbst das hätte mich nach zwei Monaten in der Klinik nicht aus der Bahn geworfen.

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