Die Zahlen des aktuellen DAK-Psychoreports sprechen für sich: Jeder 20. Arbeitnehmer in Deutschland war im vergangenen Jahr in Deutschland wegen eines psychischen Leidens krankgeschrieben. Doch die Grenzen des Stressausmaßes sind damit bei Weitem nicht erreicht. Was die Studie nämlich nicht erfasst, sind diejenigen Mitarbeiter, die sich trotz stressbedingter Krankheiten zum Job schleppen. Die anwesend sind, aber nicht wirklich leistungsfähig. Präsentismus heißt dieses Phänomen, bei dem sich Arbeitnehmer Anwesenheitspflicht verordnen, obwohl sie krank sind.
Ein Verhalten, das beiden Seiten schadet: Die Mitarbeiter werden nur noch kränker, erliegen mitunter einem Burnout. Den Unternehmen entstehen enorme Produktivitätsverluste. Laut Studien übersteigen die Kosten für Präsentismus die Kosten durch krankgemeldete Mitarbeiter um das Zehnfache.
Psychische Gefährdungsbeurteilung verpflichtet Unternehmen zum Handeln
Die Unternehmen müssen dringend handeln, wollen sie ihre Leistungsfähigkeit erhalten. Und laut dem Arbeitsschutzgesetz sind sie auch verpflichtet zum Handeln. Dieses schreibt seit geraumer Zeit vor, dass alle Unternehmen ab einem Mitarbeiter eine Beurteilung der psychischen Gefährdung ihres Personals am Arbeitsplatz vornehmen müssen. Allerdings herrscht in den meisten Firmen immer noch Verwirrung vor. Sie wissen schlicht nicht, wie sie die Aufgabe angehen sollen. Die Gretchenfrage, wie sie ihre Mitarbeiter effektiv vor Stress bewahren können, bleibt.
Was bei der Arbeit stresst
Was sorgt im Büro für Stress? Der Personaldienstleister Robert Half hat im höheren Management nach den wichtigsten Gründen gefragt. Dabei gaben 18 Prozent der Befragten zu viel Verantwortung oder ständiges an die-Arbeit-denken auch in der Freizeit als Grund für Stress bei der Arbeit an. Nur in Tschechien können die Beschäftigten außerhalb des Arbeitsplatzes schwerer abschalten - dort gaben 28 Prozent an, dauernd an die Arbeit denken zu müssen. Auf der anderen Seite der Skala ist Luxemburg: nur fünf Prozent haben dort dieses Problem.
Keinen Stress haben dagegen nur sieben Prozent der deutschen Befragten. Genauso niedrig ist der Anteil derer, die ihren aktuellen Job nicht mögen.
Unangemessener Druck vom Chef nannten 27 Prozent der Befragten hierzulande als Stressgrund. In Brasilien sind es dagegen 44 Prozent.
Wenn der Chef sich eher um sein Handicap kümmert, statt ordentlich zu führen: 28 Prozent der Befragten sind mit der Managementfähigkeit des Chefs unglücklich. Das Unvermögen des führenden Managers, das zu Stress führt, scheint in Luxemburg relativ unbekannt zu sein - nur 11 Prozent der Befragten sind dort mit den Befragten unglücklich, in Dubai sind es gar neun Prozent.
Dass unangenehme Kollegen oder fieser Büroklatsch zu Stress führen kann, ist allgemein bekannt. Dementsprechend führen auch 31 Prozent der Befragten das als Stressgrund an - der Anteil derer, die das ähnlich sehen, liegen in allen anderen Ländern fast gleich hoch - außer in Brasilien: 60 Prozent der Befragten geben unangenehme Kollegen und fiesen Büroklatsch als Stressgrund an.
Ein weitere Stressgrund: personelle Unterbesetzung. 41 Prozent der Befragten sehen das als wichtigen Grund für Stress bei der Arbeit an - ein Wert, der fast in allen Ländern ähnlich ist.
Doch am problematischsten, laut der Studie: die hohe Arbeitsbelastung. 51 Prozent der Befragten gaben dies als Stressgrund an. Deutschland liegt damit im Schnitt, auch in den anderen elf Ländern ist ein ähnlich hoher Anteil der gleichen Meinung.
Fest steht: Der Obstkorb am Arbeitsplatz, flexible Arbeitszeiten, Partnerschaftsangebote mit Fitness-Studios, Vorträge zum Stressmanagement und dergleichen – beliebte Maßnehmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements – reichen zur Stressprävention bei Weitem nicht aus. Wer als Arbeitgeber Stress wirksam bekämpfen und vorbeugen will, muss zunächst eine Analyse machen, um zu wissen, wo der Stress eigentlich genau herkommt.
Dabei – und das schreibt die psychische Gefährdungsbeurteilung vor – muss unter anderem die Arbeitsorganisation unter die Lupe genommen und Störfaktoren erfasst werden. Umständliche Prozesse etwa führen häufig dazu, dass Projekte unnötig lange dauern. Oder Mitarbeiter halten sich zu lange mit Aufgaben auf, die gar nicht zu ihrem eigentlichen Tätigkeitsgebiet gehören, ständige IT-Probleme behindern ihre Arbeit etc. Hier kommen oft viele „Kleinigkeiten“ zusammen, die in ihrer Summe nicht nur einen erheblichen Teil der Arbeitszeit der Mitarbeiter einnehmen, sondern diese auch enorm frustrieren. Wird hier optimiert, ist schon Einiges gewonnen!
So unterschiedlich reagieren wir auf Stress
Stressforscher schätzen, dass Stressanfälligkeit zu 30 Prozent genetisch bedingt ist.
(Quelle: Lothar Seiwert, Zeit ist Leben, Leben ist Zeit)
Frauen, die während der Schwangerschaft hohe Cortisolwerte aufweisen, bekommen stressanfälligere Babys.
Traumatische Erlebnisse in den ersten sieben Lebensjahren, der Zeit der Entwicklung der Identität, können lebenslänglich stressanfälliger machen.
Erfolgsorientierte, ehrgeizige, sehr engagierte, ungeduldige und unruhige Menschen sind besonders stressanfällig.
Feindseligkeit, Zynismus, Wut, Reizbarkeit und Misstrauen erhöhen das Infarktrisiko um 250 Prozent. Humor hingegen zieht dem Stress den Stachel. Eine Studie an 300 Harvard-Absolventen zeigte: Menschen mit ausgeprägtem Sinn für Humor bewältigen Stress besser.
Der wichtigste Faktor, der über Stressanfälligkeit bestimmt, ist die Kontrolle über das eigene Tun. Je mehr man den Entscheidungen anderer ausgeliefert ist, desto höher das Infarktrisiko.
Wer für seine Arbeit Anerkennung in Form von Lob oder einem angemessenen Gehalt bekommt, verfügt über eine bessere Stressresistenz.
Wer eine gute Stellung in der Gesellschaft hat, verfügt auch über einen Panzer gegen Stress. Das ist auch bei Pavianen zu beobachten: Gerät das Leittier durch einen Konkurrenten in eine Stresssituation, schnellt der Cortisolspiegel hoch, normalisiert sich aber rasch wieder. Bei den Rangniedrigeren ist der Cortisolspiegel ständig erhöht.
Einer der stärksten Stresskiller ist das Gebet. Studien belegen: Der Glaube an eine höhere Macht, die das Schicksal zum Guten wenden wird, beugt vielen Krankheiten vor.
Wichtig auch: Räumlichkeiten und Ausstattung überprüfen auf Störungsanfälligkeit und individuelle Gestaltungsspielräume. Kann der Mitarbeiter ruhig und konzentriert seine Arbeit erledigen? Oder sind ständige Unterbrechungen vorprogrammiert, weil beispielswiese zu viele Kollegen auf zu kleinem Raum sitzen? Gibt es angenehme Aufenthaltsmöglichkeiten für die Pausen? Auch dauerhafte als unangenehm empfundene Geräusche, Gerüche und Beleuchtung können starke Stressoren sein.
Aufklärung über Change-Maßnahmen
Veränderungen in Unternehmen sind mit die häufigsten Ursachen für arbeitsbedingten Stress – meist, weil sie nicht rechtzeitig und umfassend angekündigt werden. Arbeitgeber, die Transparenz über langfristige strategische Pläne bieten, ermöglichen ihren Mitarbeitern, sich mental auf den Change einzustellen. Dabei sollten auch Kontext und Ziel der Veränderungen kommuniziert werden. Oft nämlich entwickeln Mitarbeiter schon deshalb einen inneren Widerwillen bei Veränderungsprozessen, weil sie deren Sinn nicht nachvollziehen können.