Chefs sollen einerseits Entscheidungen treffen und Ziele vorgeben, aber gleichzeitig auf die Gefühle der Angestellten Rücksicht nehmen. Ist das überhaupt möglich?
Selbstverständlich ist dieser Spagat möglich, wenngleich anspruchsvoll. Er setzt vor allem eine reflektierte Führungskraft voraus, die Mitarbeitergespräche nicht im Vorbeigehen führt, sondern immer gut vorbereitet.
Klingt leichter gesagt als getan.
Chefs müssen sich darüber im Klaren werden, was genau sie in einem Gespräch erreichen wollen. Am besten gelingt das, wenn sie eine Frage beantworten: In welchem Zustand, mit welchen Gedanken aber auch Gefühlen soll der Mitarbeiter aus dem Gespräch gehen? Geht es darum, ihn für ein Thema zu gewinnen, ihn zu motivieren aber auch Lösungen für eine schwierige Situation zu entwickeln?
Tipps für gesunde Empathie: Offenes Ohr, klarer Kopf
Hier der Chef, da der Mitarbeiter. Wer diese Unterschiede ständig betont, muss zwangsläufig gedankliche Brücken bauen. Besser ist es, gemeinsame Ziele zu betonen. Etwa bei der Gehaltsverhandlung. Anstatt mit dem Angestellten zu feilschen, könnte der Vorgesetzte Weiterbildungen anbieten oder Sonderurlaub. So beweist er Empathie, ohne Ansehen zu verlieren.
Führungskräfte sollen vor allem kommunizieren. Doch die Flut von Informationen verdrängt eine Tugend, die wesentlich mehr bewirkt: das Zuhören. Angestellte spüren genau, wenn sich der Chef ins geistige Exil verabschiedet. Im Dialog und in Konferenzen muss er präsent sein, körperlich wie geistig. Also: Smartphone weg, Monitor aus.
Chefs dürfen die Gefühle der Angestellten weder ignorieren noch zu stark an sich heranlassen. Das lässt sich mit einem Coach üben oder mit Meditationstraining. Klingt esoterisch, ist aber wissenschaftlich erwiesen: Der Umgang mit Emotionen lässt sich lernen – sowohl mit den eigenen als auch mit denen der Mitmenschen.
Empathie per se ist nichts Schlechtes, aber die Dosis macht das Gift. Allzu verständnisvolle Vorgesetzte sind nur kurzfristig im Vorteil. Minderleister müssen sie ansprechen. Sonst lassen sich die Leistungsträger ebenfalls runterziehen. Zunächst gilt es, den Grund zu finden. Ist da jemand überfordert, oder verzettelt er sich? Erst erkundigen, dann urteilen – und danach handeln.
Jeder Mensch hat das Recht, individuell geführt zu werden. Talente brauchen tendenziell mehr Herausforderung, Ältere mehr Zuwendung. Führungskräfte werden dafür bezahlt, die Unterschiede zu erkennen – und sich darauf einzustellen.
Da ist Empathie von Vorteil.
Genau. Geht es aber darum, unbequeme und schwierige Sachverhalte zu übermitteln, mehr Leistung und Engagement zu fordern – dann wird das im Empathiemodus niemals gelingen. Die Kunst im Führungsalltag besteht darin, die nötige Verhaltensbandbreite zu besitzen und diese situativ und flexibel einzusetzen.
Kann man das lernen?
Ja, durch verschiedene Übungen. Nehmen wir an, Sie müssen ein unangenehmes Gespräch mit einem Mitarbeiter führen. Zur Vorbereitung geht es zunächst einmal darum, die entsprechenden Botschaften inhaltlich festzulegen. Dazu sollten Sie eine Tabelle mit drei Spalten anlegen. In die erste Spalte kommt die Botschaft, wie Sie sie übermitteln würden. In die zweite Spalte kommt eine Antwort auf die Frage: Was genau soll der Mitarbeiter verstanden haben, wenn er diese Botschaft gehört hat? In die dritte Spalte kommt eine überarbeitete Version Ihrer Botschaft, die dem erwünschten Ziel aus Spalte zwei besser entspricht.
Können Sie das an einem Beispiel festmachen?
Spalte eins: Es wäre schön, wenn Sie noch einmal schauen könnten, ob es Ihnen nicht doch möglich ist, ein oder zwei Termine mehr zu machen. Spalte zwei: Der Mitarbeiter soll verstehen, dass ich mit der Anzahl seiner wöchentlichen Kundentermine unzufrieden bin. Spalte drei: Ich bin mit der Anzahl Ihrer Termine nicht einverstanden und erwarte von Ihnen, dass Sie für nächste Woche statt neun zwölf Termine vereinbaren und einhalten.