Bye-bye 80-Stunden-Woche Warum Führungspositionen im Tandem die Zukunft gehört

Anna Kaiser (l.) arbeitet seit sechs Jahren im Führungstandem. Elke Eller (r.) hätte sie Möglichkeit gerne früher gehabt. Quelle: Presse

Ausufernde Arbeitszeiten prägten jahrzehntelang Führungspositionen – was freizeitliebende Menschen fernhielt. Fachkräftemangel und die Ansprüche junger Arbeitnehmer verschaffen dem Modell Führungstandem nun einen Schub.

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Es gab Zeiten, da gehörte eine 60- bis 80-Stunden-Woche zum Selbstverständnis von Top-Managern und Unternehmenslenkern. Motto: Wer viel arbeitet, ist wichtig. Und wer viel Verantwortung trägt, der hat eben lange Tage.

Inzwischen setzt sich langsam eine andere Sicht durch: Führung und Verantwortung dürfen geteilt werden, ohne dadurch an Wichtigkeit oder Autorität zu verlieren. Denn nicht an der Qualifikation hapert es bei den vielen, die in der Vergangenheit keine Führung übernahmen, sondern an der Zeit oder der Bereitschaft, einen so großen Teil des Lebens für die Arbeit herzugeben. Aufstieg im Job war lange Zeit gleichbedeutend mit dem Verlust von Zeit für Kinder, Partner, Hobbies – und Erholung. Man ahnt es schon, es sind mehrheitlich Frauen, die aus diesem Grund keine Führungsverantwortung übernahmen beziehungsweise sie nur selten übertragen bekamen. Immer mehr Firmen bieten deshalb Positionen für sogenannte Führungstandems an – Jobsharing für Führungskräfte gewissermaßen.

Anna Kaiser zum Beispiel ist seit sechs Jahren Geschäftsführerin des Berliner Softwareunternehmens Tandemploy- Mit ihrer Geschäftspartnerin bildet sie eine Doppelspitze. „Früher haben wir gesagt: Wir teilen uns eine Geschäftsführerwoche von 80 Stunden und jede arbeitet humane 40 Stunden und kann auch mal vier Wochen offline in den Urlaub gehen. Jetzt hat meine Geschäftspartnerin ein Baby bekommen und arbeitet weniger Stunden, ich weiter in Vollzeit. Das geht auch wunderbar.“

Solche Flexibilität im Arbeitsalltag hätte Elke Eller, Tui-Personalvorständin und zugleich ehrenamtliche Vorsitzende des Bundesverbands der Personalmanager (BPM), vor zwanzig Jahren auch gerne gehabt. Die Mutter zweier erwachsener Kinder versucht heute, dies zumindest für jüngere Arbeitnehmer möglich zu machen. „Es gibt eigentlich keinen Grund, warum Führung im Tandem oder in Teilzeit nicht möglich sein sollte. Führungskräfte vereinen oft mehrere Funktionen auf sich – und können nicht überall gleichzeitig sein“, sagt Eller. Das Bedürfnis nach Flexibilität sei außerdem nun einmal lebensphasenabhängig.

Jobsharing-Modelle oder – im Falle von Leitungsaufgaben – eben Führungstandems sind an sich keine ganz neue Idee. Neu ist laut Anna Kaiser der Gedanke, die geteilten Aufgaben und die geteilte Verantwortung aus dem klassischen Arbeitszeitschema herauszulösen. Es müssen nicht mehr fünf Wochentage mit insgesamt 40 Arbeitsstunden verteilt werden, die Flexibilität beginnt schon an einem früheren Punkt. „Solange wir in solch eingeschränkten Systemen denken, schränken wir uns selbst in den Möglichkeiten der Flexibilisierung ein“, sagt Kaiser. In ihrem Unternehmen sei mittlerweile sogar die Unterscheidung zwischen Vollzeit (gleich 40 Stunden) und Teilzeit (weniger als 40 Stunden) abgeschafft worden. „Für eine Mutter sind in einer bestimmten Phase schon 15 oder 20 Stunden ‚Vollzeit‘“, sagt sie. Wichtig sei zu schauen, wie die betreffende Person optimal in die Organisationsstruktur eingebunden werden könne.

Das Tandem-Modell reiht sich ein in einen ganzen Reigen von Ideen, die das Arbeiten flexibler, effizienter, familien- und lebensfreundlicher gestalten sollen. Längst sind es nicht mehr nur Frauen, die solche Flexibilität brauchen – und lange genug mit fehlenden Aufstiegschance gestraft waren. Die jüngere Arbeitnehmergeneration – Generation Y und Z – fordert Lockerungen selbstverständlich ein, weil sie mehr vom Leben erwartet als nur zu malochen und trotzdem Karriereziele haben. Hinzu kommen mehr Väter, die einen anderen Habitus pflegen und nicht in Vollzeit weitermachen wollen, während die Mutter ihrer Kinder allein bei Job und Karriere kürzer tritt. „Vor zwanzig Jahren waren Jobsharing, Tandems und Führungstandems unvorstellbar“, sagt Elke Eller. Nun sei endlich die Zeit gekommen: „Das ist nicht einfach nur ein Trend. Unternehmen müssen überlegen, wie sie solche Modelle etablieren, damit sie auch in Zukunft attraktiv für Bewerber  sind.“ Die Situation am Arbeitsmarkt, in der nun die Wünsche der Arbeitnehmer dominieren, macht’s möglich.

Wunsch und Wirklichkeit in Unternehmen

Doch vielen Unternehmen fällt trotz grundsätzlicher Aufgeschlossenheit die Umsetzung noch schwer. Ob Homeoffice, Vertrauensarbeitszeit oder Tandems: Wunsch und Wirklichkeit liegen häufig noch weit auseinander. „Es liegt wohl an drei Dingen: Technik, Unternehmenskultur und an der Haltung der Führungskräfte“, glaubt Elke Eller. Wohl auch deshalb wird der Softwarekonzern SAP häufiger im Zusammenhang mit Führungstandems erwähnt, denn das Unternehmen schreibt seit dem vergangenen Jahr grundsätzlich alle Stellen als jobsharing-geeignet aus, auch die Leitungspositionen. „Wir haben festgestellt, dass maximale Flexibilität am wichtigsten für unsere Mitarbeiter ist“, sagte Personalchef Cawa Younosi der Deutschen Presseagentur. Über eine interne Online-Plattform können sich Tandemkandidaten finden. Insgesamt arbeiten bereits 80 Tandems bei SAP auf unterschiedlichen Hierarchieebenen.

Auch Bosch und kleinere Unternehmen wie die Kartenmacherei in Gilching bei München haben Aufmerksamkeit mit ihren Führungstandems erregt. Laut einer Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung GfK und Roland Berger im Auftrag des Bundesfamilienministeriums bietet etwa ein Drittel der deutschen Firmen mit mehr als 15 Mitarbeitern Tandemmodelle an. Beiersdorf etwa beschäftigt bundesweit 19 Job-Tandems. Und auch die Bahn zeigt sich offen: Die Personalleitung im Regionalbereich Ost der Tochter DB Netz liegt in den Händen zweier Frauen, die sich die Stelle teilen und je drei Tage arbeiten, gemeinsam also 120 Prozent.

Noch ist das Besetzen zentraler Stellen mit zwei Mitarbeitern eben keine Selbstverständlichkeit – obwohl zwei Köpfe anfallende Mehrarbeit nicht nur doppelt so schnell, sondern auch ohne eine allzu verschleißende Anzahl von Überstunden erledigen können. Hier landet man wieder bei dem von Elke Eller angesprochenen Punkt Unternehmenskultur. Mal sind es die mittleren Managementebenen, die Tandems mit Argwohn betrachten, weil das Modell das Image des 80-Wochenenstunden-Machers in Frage stellt. Mal ist es die Bürokratie – Tandems kosten Unternehmen ein wenig mehr, weil doppelte Sozialabgaben anfallen und eine Stelle eben nicht zwingend mit 100 Prozent veranschlagt wird, sondern auch mal mit 120 oder 140, je nach Stundenzahl der Tandem-Mitarbeiter. Andererseits dürften bei guter Planung die Überstunden geringer ausfallen.

Ob Führungstandems in Unternehmen Normalität werden, dazu gibt es dementsprechend unterschiedliche Einschätzungen. Anna Kaiser und Elke Eller halten es für die logische Konsequenz des Flexibilitätstrends in der Arbeitswelt, SAP-Personalchef Younosi glaubt eher nicht an eine Breitenwirkung.

So klappt es mit dem Tandem

Wenn der Entschluss, ein Tandem zu bilden, jedoch einmal gefasst ist und das Unternehmen mitspielt, ist alles weitere laut Anna Kaiser im Prinzip ein Selbstläufer. „Alle Menschen, die sich für ein Tandem entscheiden, sind Teamplayer. Das ist die beste Voraussetzung, denn dann haben sie eine intrinsische Motivation dazu. Wie die ihre Übergaben machen, ihre Präsenzzeiten und ihre Absprachen gestalten – da findet jedes Tandem individuelle Lösungen“, ist die Tandemploy-Chefin überzeugt.

Software kann dabei helfen, ein potentielles Team zusammenzubringen. „Ab einer Größe von etwa 500 Mitarbeitern ist es schwierig für die HR-Abteilung eines Unternehmens, die richtigen Leute für Tandems zusammenzubringen. Da helfen spezielle Plattformen mit Matching-Algorithmen. Angesichts der Veränderungen am Arbeitsmarkt ist es nur eine logische Konsequenz, entsprechend technologische Unterstützung zu haben“, sagt Anna Kaiser, deren Firma genau solche Lösungen entwickelt und anbietet.

Es gebe Firmen, die aufgeschlossen sind und neue Modelle testen. Andere gingen noch eher angstgesteuert an solche Themen heran, meint Kaiser. Doch das ändere sich. „Die meisten sind aufgeschlossen, weil sie merken, dass es in Zukunft gar nicht mehr anders gehen wird. Elke Eller beobachtet bereits, dass bei ihren jüngsten Mitarbeitern das Teamplay längst eine Selbstverständlichkeit ist. „Ich glaube, draußen in unserem Alltagsleben hat sich schon viel etabliert, was jetzt in die Arbeitswelt hineinschwappt“, sagt die 56-Jährige. „Die jungen Leute, die heute bei uns reinkommen, fänden es total altmodisch, wenn man sie zum Beispiel in ein Einzelbüro setzen und sagen würde: ‚Mach mal‘.“

Bleibt die Frage, ob dem Tandem, ob mit oder ohne Führungsaufgabe, ob in Teilzeit oder Vollzeit, nicht das gleiche Schicksal drohen könnte, wie dem Homeoffice oder der Teilzeit generell: als Frauenmodell abgestempelt und am Ende entwertet zu werden als Modell für die wenig Flexiblen und vermeintlich wenig Leistungsbereiten. „Auch wenn die Realität noch nicht überall so ist, wie wir uns das wünschen – es gilt, es einfach zu praktizieren, bis es Normalität geworden ist“, sagt Elke Eller. Es gelte: „Einfach machen!“

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