Als ihn Anfang April die E-Mail erreicht, muss es ganz schnell gehen: Flug gebucht, Zahnbürste und einen Satz frische Wäsche ins Handgepäck – und ab geht’s zum Flughafen. Wenige Stunden später sitzt Ralf Dieter im Flugzeug – Richtung China.
Der Grund für den unverzüglichen Aufbruch gen Fernost: Ein wichtiger Kunde hatte kurzfristig zu finalen Vertragsverhandlungen gebeten – ein Millionenprojekt, für dessen endgültigen Abschluss die chinesischen Geschäftspartner die Anwesenheit des Chefs aus Deutschland wünschten.
„Es ist mir generell wichtig, nah am Kunden zu sein und auf dessen Bedürfnisse einzugehen“, sagt Ralf Dieter, Vorstandschef des Anlagen- und Maschinenbauers Dürr. „Ich bin als oberster Repräsentant unseres Unternehmens vor allem auch der erste Vertriebler.“
In seinem geräumigen Büro ist er deshalb nur selten anzutreffen: 23 Interkontinentalflüge standen 2012 in Dieters Kalender, im Schnitt fliegt er jede zweite Woche zu Kunden oder besucht unternehmenseigene Produktionsstätten – in Asien, Lateinamerika oder den USA. Und auch mal schnell wieder zurück: so wie neulich, als er zu einem Kundenmeeting auf Vorstandsebene an die amerikanische Ostküste flog. Anschließend mit dem lokalen Dürr-Management über Zusammenlegung und Neugestaltung der dortigen Unternehmensstandorte diskutierte. Und keine 24 Stunden später auf einer Betriebsversammlung den Mitarbeitern in der Zentrale in Bietigheim-Bissingen bei Stuttgart Rede und Antwort stand.
„Die Reiserei geht manchmal schon auf die Knochen“, sagt der 52-Jährige, der seit bald acht Jahren an der Spitze des schwäbischen Weltmarktführers für Lackieranlagen steht. „Aber im Flugzeug habe ich Zeit zum ungestörten Nachdenken.“
Der Blick auf die Zahlen zeigt: Dieters Draht zum Kunden ist offenbar sehr hoch, Unternehmen wie Vorstandschef stehen voll im Lack: 2012 steigerte das Unternehmen seinen Umsatz um rund 25 Prozent auf knapp 2,4 Milliarden Euro. Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern stieg um 66 Prozent auf knapp 177 Millionen Euro. Der Jahresüberschuss verdoppelte sich fast, auf mehr als 111 Millionen Euro, die Eigenkapitalquote stieg auf knapp 24 Prozent. Aufträge in Höhe von rund 2,6 Milliarden Euro sorgten für volle Auslastung der Kapazitäten, wovon auch Aktionäre und Mitarbeiter profitierten: Die Dividende wurde auf 2,25 Euro im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt, die Erfolgsprämie lag mit 2.500 Euro so hoch wie nie in der knapp 120-jährigen Unternehmenshistorie. Der Aktienkurs stieg 2012 um 96 Prozent und liegt heute nochmals knapp doppelt so hoch.
„2012 war ein durchweg erfolgreiches Jahr“, bilanziert Dieter. „Ich hatte damals das Gefühl: Die Mühe der vergangenen Jahre zahlt sich aus.“
Dass das Unternehmen 2012 so erfolgreich sein würde, deutete sich schon zum Jahresende 2011 an: Damals warteten Aufträge im Wert von mehr als zwei Milliarden Euro darauf, abgearbeitet zu werden – so viel wie nie. Aber fast logische Konsequenz aus dem Rekordjahr 2011. Eine Vorlage, die an der Unternehmensspitze nicht nur Freude auslöste: „Ich bin in erfolgreichen Zeiten fast nervöser als in Krisen“, sagt Dürr-Chef Dieter. „Zu groß ist die Gefahr, sich vor lauter Zufriedenheit zurückzulehnen – wir müssen aber immer wachsam bleiben.“
Das gelang – vor allem dank guter Geschäfte mit der Automobilindustrie, die etwa für 80 Prozent der Dürr-Umsätze sorgt, zuletzt vor allem in aufstrebenden Märkten wie China, Brasilien oder Mexiko. 55 Prozent des Dürr’schen Gesamtumsatzes kamen schon damals aus diesen Ländern, jeden dritten Euro setzten die Schwaben in China um.