Charta der Vielfalt Diversity heißt vor allem: Den Kunden verstehen

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Was das für das Recruiting bedeutet

Um dieses Spiegelbild im eigenen Haus zu etablieren, kann man Quoten einführen. Muss man aber nicht. Man kann sich auch im Management überlegen, was der Kunde und das Unternehmen brauchen. So bringe es gar nichts, nur auf die ganz jungen Stars frisch von der Uni zu setzen, wie Illek sagt. Denn die haben keine Kenntnisse von der alten Technik, die es ja noch gibt. Das Wissen der älteren Mitarbeiter und deren Berufserfahrung sind genauso wichtig, wie die digitalen Fähigkeiten und die Denke der Jungen. Man braucht beides.

"Beim Recruiting ist cultural fit deshalb noch wichtiger als das Fachliche", sagt Elke Frank, die seit November weltweit für das Thema Personal bei der Telekom zuständig ist. Fachliches könne man nachschulen. Ob jemand zum Unternehmen passt, nicht. "Wer sich bewirbt, muss Lust auf Veränderung, Spaß an Innovationen haben und international ticken", sagt sie. Ohne diese Eigenschaften wird man bei dem Konzern weder Callcenter-Mitarbeiter noch Manager. Auch Sánchez Marín von Henkel sagt, dass es viel mehr um Kompetenzen geht, als um alles andere. Entsprechend habe man sowohl Führungskräfte von Elite-Unis als auch solche, die "nur" eine duale Ausbildung gemacht und sich hochgearbeitet haben. Diversity heißt also auch, bei der Suche nach Bewerbern vom Klischee abzurücken und nicht nur nach Leuten mit einem klassischen Werdegang zu suchen.

Wer tolerant ist, wird als Arbeitgeber attraktiver

Davon einmal abgesehen: Wer immer den Mangel an Fachkräften beklagt, kann nicht auf der anderen Seite alle Bewerber ablehnen, die nicht genauso sind oder aussehen, wie man selbst. Frauen? Nein. Ausländer? Nein. Alte? Nein. Zu junge? Nein. Leute mit Piercings? Nein. Tennisspieler? Nein.

Doch genau das gibt es. Sascha Kuhn, Partner und Verantwortlicher für das Recruiting bei der Kanzlei Simmons & Simmons, kennt das aus seiner Branche nur zu gut. Seine Kanzlei ist seit 2010 auf der Karrieremesse "Sticks & Stones" vertreten, die sich gezielt an Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender richtet. Lange war Simmons & Simmons damit ein Exot. Natürlich seien die Kanzleien wirtschaftlich gezwungen, sich auch Bewerbern gegenüber zu öffnen, die sie noch vor zehn Jahren ignoriert hätten. Auch gibt und gab es einen Sinneswandel unter den Juristen. Trotzdem gebe es noch viele, bei denen schon die Einstellung einer Frau als besonders fortschrittlich gefeiert wird. "Je kleiner die Kanzlei, desto größer ist der Nachholbedarf", so Kuhns Erfahrung.

Hinterfragen Sie sich selbst: Stimmen diese Klischees über Frauen und Männer im Job?

Dabei gehe es nicht darum, nun auch noch eine Quote für Homosexuelle einzuführen. Es sei jedoch schon viel getan, wenn der Anwalt aus der Rechtsabteilung von seinen Urlaubsplänen erzählen kann, ohne mit dem Rauswurf rechnen zu müssen, weil er eben nicht mit der Frau, sondern dem Mann verreist. Und das gibt es auch 2016 noch, wie Kuhn sagt. "Es gibt viele, die aus Angst über Karriereeinbußen über ihr Privatleben schweigen. Einige deklarieren auch heute noch die beste Freundin oder die Cousine als ihre Freundin oder erfinden eine Partnerin", erzählt er. "Es gibt teilweise die nachvollziehbare Befürchtung vor dem Karriereknick oder Mobbing. Das daraus resultierende Versteckspiel macht die betroffenen Mitarbeiter auf Dauer unglücklich und krank." Davon abgesehen könnten die Mitarbeiter deutlich mehr Energie in ihre Arbeit stecken, wenn sie nicht den ganzen Tag darüber nachdenken müssen, ob sie sich versehentlich in irgendeiner Hinsicht verraten könnten.

Und auch hier gilt für die Unternehmen selbst: "Wer Menschen als Bewerber aussiebt, weil sie schwul, lesbisch, bisexuell oder transident sind, verschenkt schlicht Potenzial. Das kann sich kaum eine Sozietät leisten", so Kuhn. Dass seine Kanzlei sich so für Vielfalt einsetzt, kommt bei den Bewerbern übrigens gut an, sagt er. Und zwar auch bei vielen Heterosexuellen. Insofern profitieren Unternehmen gleich doppelt: Weil man den einen nicht die Tür vor der Nase zuhaut, wird man interessant für andere.

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