Chefinnen in der Ethik-Falle „Frauen sind höhere Standards vorgeschrieben“

Quelle: imago images

Immer mehr Frauen schaffen es in die Vorstände. Neue Forschung zeigt: An sie werden höhere moralische Ansprüche gestellt als an ihre männlichen Kollegen – das kann ihren Aufstieg erschweren.

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Ein kleines Gedankenexperiment für alle Dieselfahrer: Was wäre, wenn statt eines Martin eine Martina Winterkorn den Volkswagen-Konzern in den Skandal um Abschalteinrichtungen gesteuert hätte? Hätte der Autobauer danach mehr oder weniger Wagen verkauft? Eine aktuelle Studie von Nicole Votolato Montgomery und Amanda Cowen von der Universität von Virginia in Charlottesville legt die Antwort nahe: weniger Wagen. Denn Frauen in Führungsposition, so die Essenz ihrer Arbeit, werden moralische Vergehen stärker angekreidet als Männern.

Es ist eine hochaktuelle Erkenntnis, die die Marketingforscherinnen gerade im Journal of Personality and Social Psychology veröffentlicht haben. Die Frauenquote in den Vorständen der Dax-, MDax- und SDax-Firmen hält sich zwar noch bei niedrigen 8,7 Prozent. Doch insbesondere die Berufung der Amerikanerin Jennifer Morgan auf den Co-Vorstandsvorsitz beim wertvollsten deutschen Unternehmen SAP sollte eine Wende symbolisieren: Es geht voran mit der Gleichberechtigung selbst in den höchsten Führungsebenen.

Bloß werden Frauen an der Spitze nicht unbedingt gleich behandelt, nur weil sie auf der gleichen Position sitzen. Das zeigt alleine die Tatsache, dass weibliche Kandidatinnen besonders häufig in den Chefsessel von wirtschaftlich angeschlagenen Firmen landen. Ein aktuelles Beispiel: Martina Merz, die den Stahlkonzern Thyssenkrupp aus der Krise steuern soll. Die Managementforscher Michelle Ryan und Alexander Haslam sprechen von der „glass cliff“ - einer gläsernen Klippe, die die frisch berufenen Frauen alsbald wieder hinabzustürzen drohen.

Die Studie von Montgomery und Cowen zeigt nun, dass die Anwesenheit einer Frau an der Spitze die Wahrnehmung des ganzen Unternehmens in der Öffentlichkeit verändern kann. Dazu konstruierten die Forscherinnen einen durchaus realitätsnahen Fall von unternehmerischem Versagen: Ein Autohersteller verkauft Wagen mit einem defekten Treibstoffsensor, wodurch die in der Werbung versprochenen Verbrauchswerte nicht eingehalten werden können.

Für ihre Studie rekrutierten die Autorinnen 512 Teilnehmer, die diesen Sachverhalt in einem Zeitungsbericht nachlesen sollten. Den Bericht variierten sie an zwei entscheidenden Stellen. Bei der Hälfte der Probanden ist im Artikel von der Chefin des Autoherstellers namens Abigail die Rede. Die andere Hälfte lernt, dass der Chef Adam heißt.

Die zweite Variation in dem fiktiven Zeitungsbericht betrifft die Art der Verfehlung. Möglichkeit eins spricht für unternehmerische Inkompetenz: Eine unabhängige Prüfinstanz deckt den Fehler auf, der Hersteller wusste nichts von der Problematik. Möglichkeit zwei legt moralisches Versagen nahe: Eine unabhängige Prüfinstanz deckt den Fehler auf, der Hersteller wusste bereits seit sechs Monaten davon, hat aber aus Kostengründen nichts dagegen unternommen. Möglichkeit drei dient als Kontrollgruppe zum Vergleich der vorherigen Varianten. Hier wird nur das Unternehmen geschildert, der Defekt kommt überhaupt nicht zur Sprache.

Im Anschluss an die Lektüre des Artikels sollten die Probanden dann beantworten, wie wahrscheinlich es ist, dass sie beim genannten Hersteller ein Auto kaufen und wie sehr sie dem Unternehmen noch vertrauen. Die Auswertung zeigt deutliche Unterschiede in der Bewertung – und zwar abhängig davon, ob die Firma von männlichen oder weiblichen CEOs geführt wird.

In der Kontrollgruppe entschieden sich die Konsumenten mit ähnlicher Wahrscheinlichkeit dafür, erneut ein Auto bei dem Hersteller zu kaufen, egal ob Abigail oder Adam an der Spitze saß. Im Fall des Defekts sank die Kaufwahrscheinlichkeit der Konsumenten angesichts eines männlichen CEOs in etwa gleich stark, unabhängig davon, ob er moralisch oder kompetenzbedingt war. Bei der Frau an der Unternehmensspitze hingegen machte der Fehlertyp durchaus einen Unterschied. Sahen die Konsumenten ein moralisches Vergehen bei einer Chefin, halbierte sich ihre Kauflaune, bei mangelnder Kompetenz hatte ihr Vergehen weniger kritische Folgen als bei Männern.

Die Ursache dafür sehen die Forscherinnen in einem klassischen Stereotyp: Auch an der Spitze gelten Frauen als hilfsbereit, sensibel, auf gute Beziehungen aus, während Männer aggressiv und sachorientiert vorgingen. Dadurch würden Beobachter bei Frauen stärker in relationalen Normen denken statt in transaktionalen. Anders gesagt: Sie legen mehr Wert auf eine moralisch einwandfreie Beziehung zum Unternehmen als auf einen fehlerfreien Austausch Ware gegen Geld - weshalb sie von Frauen geführte Firmen für ethisch unkorrektes Verhalten stärker bestrafen.

Diese Art der Doppelmoral bestätigt auch eine Studie von Jessica Kennedy, Mary-Hunter McDonnell und Nicole Stephens aus dem Jahr 2016. Die Managementforscherinnen stellten in mehreren Experimenten fest, dass an Frauen höhere Ansprüche in ethischen Fragen gestellt werden. Werden sie diesen nicht gerecht, werden sie dafür stärker bestraft, wie die Wissenschaftlerinnen anhand von Daten von Verstößen gegen die Ethik-Richtlinien der amerikanischen Anwaltsvereinigung nachweisen konnten.

Beide Studien machen deutlich: Was moralische Verfehlungen betrifft, werden Frauen und Männer mit zweierlei Maß gemessen. Doch was ist die praktische Ableitung? Kennedy, McDonnell und Stephens klingen in ihrem Resumé fast resigniert: Ihre Erkenntnisse legten nahe, „dass berufstätige Frauen bei der ethischen Entscheidungsfindung konservativ vorgehen“. Sich männliche Kollegen zum Vorbild zu nehmen, sei nur bedingt nützlich - denn „Frauen sind höhere Standards vorgeschrieben“.

Die Erkenntnisse von Nicole Votolato Montgomery und Amanda Cowen geben zumindest einen pragmatischen Hinweis: Wenn Männer entgegen ihres Stereotyps als hilfsbereit und sensibel charakterisiert werden, werden sie von den Konsumenten für moralische Vergehen ebenfalls stärker bestraft. Und wenn Frauen umgekehrt mit männlichen Stereotypen beschrieben werden, werden ihnen ethische Fehltritte eher verziehen. Gleichstellung scheint zumindest in dieser Frage möglich vorausgesetzt man kann gut schauspielern.

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