Herr Schulte, warum gibt es in Deutschland so viele Coaches?
Der Eindruck mag dadurch zustande kommen, dass sich relativ viele Trainer und Berater nunmehr einfach Coach nennen, ohne ihre ursprüngliche Dienstleistung angepasst zu haben. Wenn man aber nur das klassische Coaching betrachtet, hinkt Deutschland im internationalen Vergleich eher hinterher. Insbesondere in Anbetracht unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit haben wir relativ wenig klassische Coaches verglichen etwa mit den angelsächsischen Ländern, mit Skandinavien oder Benelux.
Was ist der Unterschied zwischen einem Coach, einem klassischen Berater und einem Trainer?
Coaching ist eine professionelle Partnerschaft zur Erreichung anspruchsvoller Ziele. Der Kunde wird begleitet, ähnlich wie der Athlet im Sport, um sein Potenzial auszuschöpfen und sein Ziel kreativ zu erreichen. Diese Definition ist trennscharf zu Training und Beratung. Denn der Trainer vermittelt Wissen und Know-How und ob der Kunde mit diesem Wissen und Know-How seine Ziele erreicht, ist nicht Sache des Trainers. Der Berater dagegen erstellt die Lösung (zum Beispiel eine Strategie oder Prozessverbesserung) für den Kunden. Der Berater nimmt dem Kunden das Problem quasi aus der Hand und erstellt die Lösung für ihn.
Was entgegnen Sie der Kritik, dass längst viel zu viel gecoacht wird?
Ich glaube, diese Kritik beruht auf der Allgegenwart von Coaching in den Medien. Man kann über Coaching sehr viel lesen und sehen und das suggeriert natürlich etwas. Gleichwohl kenne ich Konzerne, bei denen der Anteil der Führungskräfte, die im Jahr ein Coaching machen, nur zwischen 2% und 5% liegt. Auch bezahlen viele meiner Kunden ihre Coachings privat, weil ihr Unternehmen Coaching gar nicht unterstützt. Ich glaube daher, das Gegenteil ist wahr: es wird noch viel zu wenig gecoacht.
Wann sollte sich ein Unternehmen coachen lassen?
Nun, wann lässt sich ein Athlet coachen? Doch dann, wenn seine Ziele hochgesteckt sind und er nur über begrenzte Zeit dafür verfügt. Mit 30 oder 35 ist die Karriere des Athleten vorbei. Um diese Zeit gut zu nutzen, um seine Chancen zu erhöhen, macht man Coaching. Bei Unternehmen ist es genauso wie im Sport. Man hat wichtige Ziele, bei denen es darauf ankommt, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Vieles lässt sich eben nur gemeinsam sinnvoll und effizient bewerkstelligen. Beispielsweise bei Themen wie Burn-out, Frauenquote oder die Nachfolge in Familienunternehmen sind die notwendigen kulturellen Veränderungen nur über ein Coaching in angemessener Zeit erreichbar.
Nun ist die Spanne groß zwischen sehr guten und den schwarzen Schafen der Branche. Wie finden Unternehmen einen guten Vertreter, der wirklich weiterhilft?
Da ich mich sehr viel mit Coaching auseinander gesetzt habe, erkenne ich sehr schnell, wie gut ein Coach wirklich ist. Aber da potentielle Kunden in der Regel nicht über diese Erfahrung verfügen, empfehle ich, auf eine seriöse Zertifizierung, etwa die der International Coaching Federation zurückzugreifen. Hier wird ein Kompetenzmodell aus 11 Kernkompetenzen bei den Coaches in verschiedenen realen Coachings abgeprüft. Ausserdem verlangt die ICF regelmässige Weiterbildung und turnusmässige Rezertifizierung. Diesen Standard hat sonst keine Zertifizierung in Deutschland. Die Alternative, im Bekanntenkreis sich zu erkundigen, wer mit wem gute Erfahrungen gemacht hat, ist riskanter, wenn der Bekannte eben nur aus seiner individuellen Erfahrung heraus den Coach beurteilt. Damit ist nicht gesagt, dass der Coach auch wirklich ein Profi ist, sondern nur, dass er dem Bekannten in dessen spezifischer Situation geholfen hat.