Coaching und Motivation Marketing oder Methode? Der Streit über die neurologische Fernsteuerung

NLP-Annahme: Menschliches Verhalten funktioniert nach Grundmustern, die vorhersagbar und manipulierbar sind. Doch die Wissenschaft widerlegt diese Behauptung. Quelle: dpa

Menschen durchschauen und beeinflussen – mit diesem Versprechen füllen NLP-Trainer die Hallen des Landes. Doch einige Methoden der neurolinguistischen Programmierung sind wissenschaftlich widerlegt.

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Ein Bewerber beantwortet alle Fragen im Vorstellungsgespräch sicher. Doch als er über die Lücke in seinem Lebenslauf sprechen soll, unterbricht er plötzlich den Blickkontakt zum Personaler und schaut immer wieder nach oben. 

Für Christoph Mulzer ist das der Moment, in dem er sein Gegenüber durchschaut haben will, anhand dieses einen Blicks: Ganz klar, da sitzt ein visueller Typ, der sich gerade Bilder im Kopf vorstellt. 
Der 65-Jährige ist Coach und Trainer und seine vermeintliche Wundermethode nennt sich Neurolinguistisches Programmieren (NLP). In NLP-Seminaren behandelt er etwa Führungskräfte, die zum Beispiel unter Lampenfieber leiden. Das Geschäft mit NLP floriert, der „Deutsche Verband für Neuro-Linguistisches Programmieren“ (DVNLP) zählt inzwischen rund 1900 Mitglieder.

Zwischen 450 und 2000 Euro bezahlen Recruiter, Vertriebler und Vorstände für eine NLP-Grundausbildung. Für eine Experten- oder NLP-Trainerausbildung werden zwischen 3500 und bis zu 18.000 Euro aufgerufen. Auch Christoph Mulzer bietet diese Seminare an. „NLP wird häufig im Alltag und Berufsleben eingesetzt, wofür es auch ein hilfreiches Werkzeug ist“, so Mulzer. In seinen Coachings lernen Teilnehmer, wie sie Kunden, Bewerber oder Mitmenschen mithilfe von NLP präzise wahrnehmen, Körpersprache deuten und richtig mit ihnen kommunizieren.

Allerdings: Die Methode NLP ist zwar am Markt etabliert, doch ihr zentraler Bestandteil ist inzwischen wissenschaftlich widerlegt.

Was ist eigentlich NLP?


In den Siebzigerjahren entwickeln John Grinder und Richard Bandler eine Theorie, die sie als „Studium über die Struktur subjektiver Erfahrungen“ bezeichnen. Sie gehen davon aus, dass der Erfolg einer psychotherapeutischen Behandlung nicht davon abhängt, ob ein Therapeut psychoanalytisch, tiefen-psychologisch oder verhaltenstherapeutisch arbeitet. Vielmehr nehmen sie an, dass kommunikative Fähigkeiten wie Sprache und Verhaltensweisen wie die Körpersprache des Therapeuten eine Behandlung erfolgreich machen. Ihr Verfahren nennen sie Neurolinguistisches Programmieren (NLP). Es ist vorrangig zur praktischen Anwendung am Patienten gedacht, um ihn schnell und einfach zu therapieren. Dabei resultieren die Ansichten des NLP-Ansatz aus verschiedenen psychoanalytischen Konzepten, die die Begründer für sich ausgewählt haben.

Menschliches Verhalten entsteht durch ein Zusammenspiel dreier Faktoren. „Neuro-“ besagt, dass die Denkvorgänge eines Menschen auf Grundlage aller gemachten Sinneswahrnehmungen und Erfahrungen ablaufen. Jeder Mensch nimmt seine Welt über das sogenannte „VAKOG-Modell“ war und konstruiert daraus seine eigene Wirklichkeit. VAKOG steht für visuell (Sehen), auditiv (Hören), kinästhetisch (Fühlen), olfaktorisch (Riechen) und gustatorisch (Schmecken). Von diesen fünf Sinneskanälen nutzt der Mensch ein oder zwei besonders intensiv. „Linguistisch“ meint die Art und Weise, wie Menschen sprechen, wie sie ihre Sprache einsetzen und wie sie mit anderen kommunizieren. Zuletzt lassen sich aus diesen beiden Erkenntnissen Muster ableiten, die man durchschauen und gezielt manipulieren kann, was „Programmierung“ einschließt.


NLP-Tipps für den Alltag


In seinem Anfängerkurs „NLP-Practitioner“ führt Christoph Mulzer seine Teilnehmer in die Grundlagen des neurolinguistischen Programmierens ein. Dabei gibt er ihnen drei Techniken mit, die sie täglich im Berufs- oder Privatleben einsetzen können, um andere sensibel wahrzunehmen und souverän mit ihnen kommunizieren zu können.

Im Gespräch mit Vorgesetzten oder Kollegen sollten Arbeitnehmer deswegen so formulieren, dass jedem die individuellen Ansichten deutlich werden. Das eigene Weltbild gilt schließlich nicht für alle. Sagt jemand „das funktioniert nicht“, dann bedeute das nicht, dass etwas grundsätzlich nicht funktioniere, sondern dass diese Person glaubt, dass etwas nicht funktionieren könne, lautet Mulzers Argument. Formulierungen wie: „Ich glaube, dass das nicht funktionieren wird“ oder „Ich denke, das wird nicht klappen“ helfen, die eigene Perspektive dem Gegenüber klar zu kommunizieren.
Dabei muss man laut der NLP-Theorie auch auf drei sogenannte Präferenztypen achten. Visuelle Typen denken und sprechen bildhaft. Um sich etwas zu merken, brauchen sie zum Beispiel Schaubilder. Auditive Menschen interpretieren viel in die Sprache hinein. Bei diesem Typus sind Stimmlage und Wortwahl maßgeblich, um nicht missverstanden zu werden. Der dritte Typ sind Kinästheten. Sie müssen Dinge anfassen, spüren und ohne Zeitdruck agieren können, um Entscheidungen zu treffen.

Verkäufer, so Mulzer, sind visuelle Typen und preisen ihre Produkte bildhaft an, damit der Kunde sich vorstellt, was er damit alles machen kann. Trifft ein Verkäufer aber auf einen kinästhetischen Kunden, sollte er ihm laut NLP-Theorie Zeit und Ruhe geben, seine Kaufentscheidung zu überdenken.

Schon die Augenbewegung während eines Gesprächs könne verraten, so die NLP-Theorie, mit welchem Typen man es zu tun hat. Schaut jemand beim Sprechen immer wieder nach links oder rechts, so sei das ein Hinweis auf einen auditiven Menschen. Ein Blick nach rechts heißt demnach, dass er sich an Worte erinnert. Links dagegen, dass er sich Worte vorstellt. Im Fall des Bewerbungsgesprächs, bei dem der Kandidat nach oben schaut, verrät das dem Personaler, dass sein Kandidat versucht, Bilder abzurufen. Er ist also ein visueller Typ.

Und wenn einen vor der wichtigsten Keynote des Jahres wieder das Lampenfieber packt, so verspricht Mulzer mit seinem dritten Tipp Abhilfe dagegen. Durch verschiedene Interventionsformate könne man solche Ängste und sogar Phobien ablegen. Beispielsweise mit „Reframing“, was an das englische Wort „frame“ angelehnt ist und für Rahmen steht. Eine Situation oder ein Erlebnis wird über verschiedene Gesprächstechniken betrachtet, aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und anschließend in neue Kontexte gebracht, um so ein neues Verhalten hervorzurufen. Ein Erlebnis wird umgedeutet und bekommt einen neuen „Rahmen“, wodurch sich das eigene Verhalten ändert.


Werkzeug oder Werbung?


Während Hunderte NLP-Trainer durch Deutschland reisen, ganze Hallen mit ihren Vorträgen füllen und neurolinguistisches Programmieren als simples Werkzeug verkaufen, betrachtet die Wissenschaft das Thema mit großer Skepsis.

Einer der prominentesten Kritiker ist der Wirtschaftspsychologe Uwe Peter Kanning von der Hochschule Osnabrück. Er findet deutliche Worte für das „Wunderheilmittel NLP“, wie es gerne beworben wird. „Eine Methode, die menschliches Verhalten derart vorhersagbar oder sogar manipulierbar macht, wird es niemals geben“. Schon der theoretische Ansatz der Begründer entspreche nicht den wissenschaftlichen Kriterien und sei daher untauglich, führt Kanning weiter aus.

Auch, weil die Begründer ihre Theorie aus einer eigenen Auswahl verschiedener Konzepte der Gestalt-, Hypno- und Verhaltenstherapie, Kognitionswissenschaft, des Konstruktivismus und weiteren Disziplinen entwickelt haben, ohne die Wirkung beweisen zu können. „Es gibt keinerlei empirische Belege, die die Annahmen belegen und den NLP-Ansatz valide begründen“, kritisiert Kanning.
Zudem sei NLP selbst widersprüchlich. Wie könne es nur drei Präferenzmuster geben, wenn ein Mensch seine Welt über fünf Sinne wahrnimmt, kritisiert der Wirtschaftspsychologe. 

Schon seit den Achtzigerjahren wisse man aus verschiedenen Studien der Blickrichtungsdiagnostik, dass das viel gepredigte Augenbewegungsmuster nicht stimme und auch zur Erkennung von Lügnern nicht tauge. Jüngst bestätigten dies drei unabhängig voneinander durchgeführte Studien der Universitäten Hertfordshire, Edinburgh und British Columbia. „Von NLP-Anhängern werden diese Ergebnisse schlichtweg ignoriert“, so Kanning.

Auch weil NLP kein empirisches Fundament hat und von jedem nach eigenem Belieben verändert werden kann, zweifelt Kanning an der Wirksamkeit der Methode. „NLP ist eine Pseudowissenschaft, die sich auch durch angebliche Motivationsgurus verselbständigt hat und ein lukratives Geschäftsmodell geworden ist“.

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