Daimler-Personalvorstand Porth "Stur seine Idee durchziehen geht nicht mehr"

Nicht nur wegen des Dieselskandals steht die Autobranche vor großen Veränderungen. Neue Antriebe, die Vernetzung und Trends wie das autonome Fahren treiben den Wandel voran. All das hat auch Auswirkungen auf die Beschäftigten. Daimler-Personalvorstand Wilfried Porth über eine gute Unternehmenskultur und was der Autobauer von jungen Führungskräften erwartet.

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Wilfried Porth ist Personalvorstand und Arbeitsdirektor bei Daimler. Quelle: Daimler

Die Abschlussfeier markiert für viele Studenten den Abschluss ihrer Zeit an der Universität und den Beginn des Berufslebens. Die 300 Absolventen aus aller Welt, die im Daimler-Werk Sindelfingen zusammengekommen sind, haben ihren Uni-Abschluss bereits seit Jahren in der Tasche. Sie sind für die "CAReer Alumni Conference" gekommen, sie sind Absolventen des Daimler-eigenen Trainee-Programms.

"Ihr seid die Zukunft", begrüßt Daimler-Personalvorstand Wilfried Porth seine Nachwuchskräfte. Über 2500 Trainees haben das Programm seit 2007 durchlaufen, viele davon sind heute in verantwortungsvollen Positionen im Konzern. Statt einer reinen fachlichen Qualifikation setzt Daimler auf eine breit aufgestellte Ausbildung, mit der auch die Soft Skills und der Führungsstil geschärft werden sollen.

Zur Person

Am Rande des Alumni-Tages sprach Porth mit der WirtschaftsWoche über den Management-Nachwuchs, flexible Arbeitszeitmodelle und die Entwicklung einer Führungskultur.

WirtschaftsWoche: Herr Porth, welche drei Eigenschaften erwarten Sie von einer künftigen Daimler-Führungskraft?
Wilfried Porth: In der Praxis sind es mehr als drei Eigenschaften, aber wenn ich es reduziere, muss eine künftige Führungskraft bei uns offen für Neues und begeistert für unsere Produkte sein. Zudem sollte man bereit sein, Verantwortung zu übernehmen.

Das klingt nach einem reflektierenden, abwägenden Manager. Hat das Alphatier ausgedient?
Bei dem Alphatier müssen wir zunächst klären, was wir darunter verstehen. Wenn es am Ende darum geht, harte Entscheidungen zu treffen und für diese einzustehen, brauchen wir diese Eigenschaft auch heute noch. Doch die Welt um uns herum ist volatiler und schnelllebiger geworden. Wir müssen uns schneller auf neue Situationen einstellen können und dazu braucht es Reflektionsfähigkeit– einfach stur seine Idee durchziehen, das geht heute nicht mehr.

Was bedeutet das in einer globalisierten, vernetzen Welt?
Kein Manager kann zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort sein. Man muss andere stärker einbinden, nur Teamplayer sind erfolgreich. Dazu gilt es, Verantwortung zu delegieren, aber auch Freiräume zu schaffen. Die Digitalisierung verändert unsere Organisation und trifft dort auf unterschiedliche Generationen mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Hier müssen alle Seiten offen sein und es muss auch in einem offeneren, kommunikativeren Stil geführt werden. Anders, als mancher das noch in früheren Generationen gewohnt war.

Die Chef-Checkliste zur sozialen Kompetenz

Wie setzen Sie eine solche Führungskultur in einem globalen Unternehmen mit Mitarbeitern aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen um?
Als aller erstes durch das Vorleben von oben. Das hat schon immer gut funktioniert. Zusätzlich müssen wir jungen Menschen früh Verantwortung übertragen, ihnen in Entscheidungsprozessen eine bedeutende Rolle übertragen und ihnen auch die Möglichkeit geben, daneben zu liegen. Das gilt sicher nicht für alle Positionen, aber es gibt sie.

Bei Volkswagen hat die dortige Unternehmenskultur den Abgasskandal zumindest begünstigt, wenn nicht gar verursacht. Stellen Sie nach solchen Vorkommnissen auch Ihr System bei Daimler auf den Prüfstand?
Die Unternehmenskultur bestimmt immer das Ergebnis – im Positiven wie im Negativen. Wir hatten in der Vergangenheit auch Themen, bei denen wir uns mit uns selbst beschäftigen und letztlich umdenken mussten. Die Grundlagen, wie die Führungskultur bei Daimler im Jahr 2020 aussieht, haben wir lange vor dem Dieselskandal gelegt. Die größeren Treiber für uns sind der technologische Wandel in der Autobranche selbst und die neuen Kommunikationsmöglichkeiten. Passen unsere Führungsinstrumente, unsere Organisation noch in die heutige Zeit? Diese Fragen stellen wir uns laufend.

Bei der Entwicklung einer Führungskultur spielt auch der Bereich Integrität und Recht eine große Rolle. Frau Hohmann-Dennhardt wechselt jetzt von Daimler in den Vorstand von Volkswagen. Wie geht es mit der Compliance bei Daimler weiter?
Bei Vorstandspersonalien müssen Sie den Aufsichtsrat fragen. Von innen gesehen hängt die Integrität aber nicht an einer Person. Diese Themen haben wir in den vergangenen Jahren allen Mitarbeitern im Unternehmen vermittelt. Das ist eine Einstellung, die alle leben und umsetzen müssen. Jetzt hat meine Kollegin, mit der ich immer gerne zusammengearbeitet habe, sich entschlossen, eine neue Herausforderung anzunehmen. Um das Thema Integrität mache ich mir bei uns deshalb aber keine Sorgen.

Wie sehr sind solche Denkansätze bereits in den Abteilungen angekommen? Was passiert, wenn eine junge, offen denkende Nachwuchskraft in der Abteilung auf den Widerstand der alten Strukturen trifft?
Als ich im Jahr 1985 bei Daimler angefangen habe, war ich Teil der jungen Generation. Die Situation ist heute nicht viel anders. Veränderungen kann nur der umsetzen, der Menschen von sich überzeugt und vor allem zeigt, dass mit den neuen Ansätzen bessere Ergebnisse rauskommen. Es wird nicht gelingen, alle zu überzeugen. Das gehört dazu, da darf man heute wie damals nicht aufgeben. Sich für etwas einsetzen und etwas durchzusetzen ist ein ganz normaler Bestandteil der Entwicklung eines jungen Managers.

"Froh, dass die Politik das Thema Flexibilität erkannt hat"

Was muss Daimler hochqualifizierten Nachwuchskräften bieten? Reicht die Aussicht auf einen Dienstwagen – in Anbetracht von Arbeitsmodellen wie bei Google – noch aus?
Wenn ich mir die Anzahl und Qualität der Bewerbungen anschaue, machen wir offenbar vieles richtig. Wir haben deutlich mehr Bewerber als Stellen. Uns macht die Kombination vieler Vorteile attraktiv. Die Neuerfindung des Automobils, die über das reine Fahrerlebnis hinausgeht, neue umweltschonende Antriebstechnologien, die Vernetzung des Autos mit der Umwelt und den Insassen, der Weg zum autonomen Fahren - das sind alles hochspannende Themen. Die Googles und anderen IT-Konzerne dieser Welt haben sehr erfolgreiche, aber eindimensionale Geschäftsmodelle. Wir hingegen verknüpfen die reale mit der neuen, digitalen Welt – und das ist meiner Meinung nach sehr attraktiv. Von unserem traditionsreichen Unternehmen und dem weltbekannten Mercedes-Stern mal abgesehen.

Wie Daimler 2014 abgeschnitten hat

Die Politik will mehr Silicon-Valley-Atmosphäre in Deutschland. Kann dieser Wandel in Unternehmen beginnen oder müssen erst Rahmenbedingungen wie Tarifverträge angepasst werden? Mit einer starren 40-Stunden-Woche wäre das Silicon Valley nie geworden, was es heute ist.
Das lässt sich nicht nur auf die Arbeitszeit reduzieren, hier zählen mehrere Themen. Ich halte zum Beispiel die Zusammenarbeit über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg für wichtiger. Zum Beispiel haben wir in unserem Trainee-Programm CAReer jetzt ein Modul, bei dem die Teilnehmer einen Einsatz bei einem anderen Wirtschaftsunternehmen absolvieren können, um ihre Erfahrungen zu erweitern. In Sachen Flexibilität der Arbeitswelt gibt es viele rechtliche Rahmenbedingungen, die hemmen. Ich bin aber froh, dass die Politik erkannt hat, dass wir an diesem Thema nicht vorbei kommen und die Gewerkschaften in der Flexibilisierung der Arbeit nicht nur eine Bedrohung, sondern auch Chancen sehen. Ich bin noch nicht zufrieden, über welche Themen wir reden und welche Rückschlüsse daraus gezogen werden.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Wenn ich, wie es im Moment passiert, die Rahmenbedingungen für Werk- und Dienstverträge verschärfe, muss ich mir die Frage stellen, wie junge IT-Unternehmen und Start-ups mit etablierten Unternehmen zusammenarbeiten sollen. Die Regeln zwingen uns, mit solchen Unternehmen über Repräsentanten zu kommunizieren anstatt sich direkt zu unterhalten. Wenn die Art und Weise, wie so etwas in den täglichen Arbeitsablauf integriert wird, Kriterien sind, die einen Werk- oder Dienstvertrag ausschließen, dann behindern die Regeln unsere Möglichkeiten, moderne Technologien zu nutzen. Hier müssen wir die Grunderkenntnis, dass wir alle den Wandel wollen, auf die Fakten herunterbrechen, die wir wirklich ändern müssen, damit wir zu guten Ergebnissen kommen.

Darüber machen sich Unternehmer im Silicon Valley keine Gedanken.
Natürlich gibt es dort andere Themen, die man kritisch betrachten muss. Keiner will, dass unsere Mitarbeiter jetzt 24 Stunden am Tag verfügbar sind. Ich habe nichts gegen eine Höchstgrenze von zehn Stunden Arbeit am Tag. Aber wenn der Mitarbeiter die zehn Stunden nicht am Block arbeiten will oder kann, aber elf Stunden lang wegen einer gesetzlichen Zwangspause nicht arbeiten darf, hemmt das. Mit solchen Fragen müssen wir uns auseinandersetzen. Ich bin aber zufrieden, dass alle Beteiligten erkannt haben, welche Chancen in diesem Thema liegen. Wir müssen nur noch zu gemeinsamen, sinnvollen Schlüssen kommen.

Betrifft das vor allem Deutschland oder auch andere Länder, in denen Sie aktiv sind?
Deutschland und der Rest von Europa sind in diesem Punkt recht ähnlich. In den USA oder in China reden wir weniger über diese Themen. Europa ist hier sicher am schwierigsten.

Ein solches Modell kommt nicht für jeden Daimler-Mitarbeiter in Frage. In der Produktion lässt sich die Arbeitszeit nicht so einfach flexibler gestalten, weil sie an Schichten gebunden ist. Was muss sich im Bereich der Ausbildungsberufe ändern?
Das duale Ausbildungssystem in Deutschland ist genial, darum werden wir in aller Welt beneidet. Die Berufsschulen und wir mit unserer technischen Ausbildung sind sehr nahe an der Realität. Wir sind immer dabei, unsere Berufsbilder anzupassen, etwa vom Mechaniker zum Mechatroniker. Aber auch dieses Berufsbild ist nicht in Stein gemeißelt. Ich bin mir sicher, dass wir genügend qualifizierte Mitarbeiter finden und unsere Ausbildung zukunftsgerecht gestalten werden, um unseren Bedarf auch in der Zukunft zu decken.

Viele Entwicklungen werden immer komplexer, von der Motorentechnik über Connectivity bis zum autonomen Fahren. Braucht ein moderner Autobauer mehr Spezialisten für die einzelnen Bereiche oder Generalisten?
Am Ende brauchen wir eine gute Mischung, um erfolgreich zu sein. Am Band hat jeder Mitarbeiter seine spezielle Aufgabe. Hätten wir dort aber nicht auch Menschen, die das Auto als Ganzes betrachten, könnten wir nicht so gute Autos bauen. Beim Thema Connectivity brauchen wir Spezialisten, die einzelne Funktionen und Geschäftsmodelle entwickeln. Aber auch den Generalisten, der das System mit den Augen des Kunden sieht – ansonsten könnten nur Spezialisten die Software bedienen. Nehmen wir ein Beispiel: Es gibt technologisch fortschrittlichere Smartphones als das iPhone. Dennoch hat es Apple geschafft, mit seinen Funktionen in der Gesamtheit eine Welt zu schaffen, für die der Kunde viel Geld ausgibt. Bei so komplexen Systemen geht das neben den Spezialisten nur mit Menschen, die den Überblick behalten und alles zu einer Vision zusammenfügen.

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