Dammanns Jobtalk

Weg von der Präsenzkultur

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Emotionale Bindung von Mitarbeitern

Ein Team an Arbeitskräften steht hinter dem Manager Quelle: Fotolia

In derart komplexen Organisationen kann das flexible Zusammenspiel der Beteiligten nur an Stabilität gewinnen, wenn sich Führungskräfte und Mitarbeiter emotional mit dem Unternehmensziel verbunden fühlen. Genau diese emotionale Verbindung ist vielen Beschäftigten aber in den letzten Jahren mehr und mehr abhanden gekommen. Die aktuelle Gallup-Studie unter mehr als 1.300 Arbeitnehmern ergab, dass 92 Prozent der Beschäftigten in Deutschland aktuell mit ihrem Job zufrieden sind, was den Arbeitsinhalt angeht. Trotzdem sagen sich 63 Prozent: „Ich mache nur Dienst nach Vorschrift. Mehr Engagement darüber hinaus hast Du – mein lieber Arbeitgeber – gar nicht verdient.“ Lediglich 14 Prozent stehen ihrem Unternehmen gefühlsmäßig so nahe, dass sie bereit sind, für ihn ihr Bestes zu geben. Betonten 2001 bei der gleichen Umfrage 15 Prozent, dass sie bereits innerlich gekündigt hätten, ist die Quote der versteckten, weil völlig frustrierten Leistungsverweigerer in den letzten zehn Jahren auf 23 Prozent angestiegen, d.h. beinahe jeder 4. Mitarbeiter in deutschen Unternehmen hat bereits innerlich gekündigt. Der Frust hat für die Unternehmen handfeste finanzielle Konsequenzen. Laut Unternehmensberatung Gallup haben Mitarbeiter ohne emotionale Bindung im Schnitt 3,5 Fehltage mehr als solche, die sich ihrem  Unternehmen verbunden fühlen, von den Produktivitätsverlusten für die Unternehmen einmal ganz abgesehen.

Mitarbeiter brauchen menschliche Zuwendung und mehr Zeitsouveränität

Als Ursache des Übels führt Gallup das Verhalten der Chefs an, das die Mitarbeiter demotiviere. Zu wenig Lob, zu wenig Einfühlungsvermögen legten die Führungskräfte an den Tag. Viele Mitarbeiter litten vor allem darunter, dass sich ihre Chefs nur unzureichend für „den Menschen“ hinter der Funktion interessierten. Gleichgültigkeit und Millionenverluste sind aber längst nicht nur die Folge von individuellen Führungsdefiziten, auch wenn Unternehmen durch unzureichend flexible Arbeitszeit- und Karrieremodelle zu wenig Rücksicht auf die Interessen der Mitarbeiter nehmen und so  systematisch demotivieren.

Auch wenn in der Presse viel über familienfreundliche Arbeitszeiten geschrieben wird, von wirklicher Arbeitszeitflexibilität kann in vielen Unternehmen bislang noch keine Rede sein. Laut Statistischem Bundesamt arbeiteten etwa 58 Prozent der Beschäftigten 2010 in einem starren Modell. Wann sie das Büro betreten und wieder verlassen dürfen, schrieb ihnen ihr Arbeitgeber strikt vor. Lediglich etwa ein Drittel aller Beschäftigten hatten Einfluss auf ihre Zeiteinteilung, beispielsweise über Arbeitszeitkonten. Sie hatten in einer Kernzeit anwesend zu sein, mussten ansonsten aber nur eine Gesamtstundenzahl vorweisen können.

Kein Wunder, dass immer mehr Arbeitnehmer die starren Arbeitzeitregelungen als erdrückendes Korsett empfinden. Laut Zukunftsinstitut erwarten drei von fünf Studenten von ihrem künftigen Arbeitgeber, ihre Tätigkeit unabhängig von Arbeitsort und Arbeitszeit verrichten zu dürfen. Der Studie „work:design – Die Zukunft der Arbeit gestalten“ zufolge sagen 94 Prozent der Menschen, dass sie ihre besten Ideen an völlig anderen Orten haben als an ihrem Arbeitsplatz. 17 Prozent sind auf dem Sofa besonders kreativ, 14 Prozent kommen in der Dusche auf ihre besten Ideen und 12 Prozent beim Sport. Diese Kreativität und Innovationskraft für sich nutzbar zu machen, fällt aber offensichtlich gerade deutschen Unternehmen besonders schwer. Die Unternehmen schaffen es einfach nicht, sich dazu durchzuringen, ihren Mitarbeitern Zeitsouveränität zuzugestehen und sie statt an der Präsenz ausschließlich an den erreichten Ergebnissen zu messen.

Lenins Leitspruch „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ schadet Firmen

Um von der typisch deutschen Präsenzkultur Abschied zu nehmen, Teilzeitarbeit auch in Führungspositionen wahrzumachen, fehlt ihnen das Vertrauen, dass Menschen gerne etwas leisten, sich einbringen und entfalten wollen. Stattdessen hält man lieber an Lenins Leitspruch „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ fest. Zum Schaden der Unternehmen. Zumal es Führungskräften heute gar nicht mehr so leicht fällt, zu definieren, wer zu ihren Mitarbeitern zählt und wer nicht. Externe Berater, Mitarbeiter von Partnerunternehmen oder auch vorübergehend engagierte Projektmitarbeiter mischen sich immer häufiger unter die Festangestellten, betont das Zukunftsinstitut in seiner neuesten Studie „work:design – Die Zukunft der Arbeit gestalten“. Die Forscher rund um den Zukunfts- und Trendguru Matthias Horx verweisen auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes, nach denen bereits ein Viertel aller Erwerbstätigen mittlerweile in atypischen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Dazu zählen etwa Zeitarbeitnehmer oder befristet Beschäftigte, die nicht selten hochqualifizierte Arbeit leisten. Das alte Bild, dass Kooperation und Bindung auf der Basis langfristiger und vor allem planbarer Strukturen entsteht, kommt also ohnehin immer mehr ins Wanken. Stattdessen entwickeln sich neue dynamischere Organisationsmodelle, in denen intensives Miteinander und lockere Kooperation in raschem Wechsel möglich sind und Menschen auch dann Verbindungen halten können, wenn die Distanz am größten ist.

Immer öfter heißt es: Ein neues Stück, ein neuer Tanzpartner

Wie sich diese neuen Beziehungsmuster organisatorisch bereits heute schon in die deutsche Arbeitswelt integrieren lassen, zeigt das Netzwerk KIM Kooperationsinitiative Maschinenbau. Der Zusammenschluss von kleinen und mittelgroßen Unternehmen sowie zwei Universitäten aus dem Raum Braunschweig umfasst insgesamt rund 6.000 Mitarbeiter. Die Unternehmen und Unis tauschen flexibel ihre Mitarbeiter untereinander aus. Kurzarbeit und Entlassungen lassen sich so vermeiden und die Mitarbeiter lernen die Abläufe in anderen Unternehmen kennen und erweitern gleichzeitig ihre Fachkompetenz.

Das Zukunftsinstitut vergleicht die Manager von morgen denn auch mit argentinischen Tango-Tänzern: Statt sich über die neue Arbeitswelt als Taubenschlag zu beklagen, sollten die Führungskräfte das Wechselbad zwischen intimer Nähe und weiter Distanz besser zu ihrer neuen Leidenschaft erklären: „Immer öfter heißt es: ein neues Stück, ein neuer Tanzpartner – ohne dabei den bisherigen Tanzpartner zu vergrämen, sondern im Gegenteil dieses Wechselspiel nicht nur zu beherrschen, sondern zu genießen“.

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