




Immer mehr Menschen klagen über arbeitsbedingten Stress: Sie müssen immer mehr in immer kürzerer Zeit leisten und haben das Gefühl, für Kollegen, Kunden und Vorgesetzte immer und überall erreichbar sein zu müssen. Außerdem können sie nicht konzentriert arbeiten, weil sie entweder durch Mails, Telefonate oder Kollegen im Großraumbüro unterbrochen und abgelenkt werden.
E-Mails abschalten hilft nichts
Um die Belastung zu reduzieren, schalten manche Unternehmen inzwischen die Mailserver am Feierabend aus oder lassen eingehende E-Mails während des Urlaubs ihrer Mitarbeiter löschen. Fraglich ist, ob die so tatsächlich Stress abbauen. Schließlich nutzen Mitarbeiter zunehmend ihre privaten E-Mail-Accounts für dienstliche Angelegenheiten, wenn der Unternehmensserver abends nicht mehr erreichbar ist.
Außerdem sind die Gründe für Stress durch Dauererreichbarkeit in der Regel komplex und vielschichtig. Deshalb bietet es sich an, mit einem systematischen Erreichbarkeitscheck aufzudecken, wer überhaupt von der Problematik betroffen ist und warum. Nur so lässt sich die Ursache erkennen – und verändern. Das Abschalten des Servers dagegen ist nur ein oberflächliches Behandeln der Symptome.
Zur Person
Kathrin Saheb ist Betriebswirtin, langjährige Organisationsberaterin und Buchautorin. Sie kommt aus der Consultingbranche und beschäftigt sich mit dem Themen Dauererreichbarkeit und Lean Management.
Um herauszufinden, wer überhaupt betroffen ist, starten Manager am besten in einem ausgewählten Pilotbereich des Unternehmens. Fragen Sie nach: Wie viele Mitarbeiter in der IT, im Marketing oder der Personalabteilung haben das Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen? Warum ist das so? Und wie sehr belastet sie das? Denn das Mitarbeiter auch außerhalb der Arbeitszeiten erreichbar sind, ist nicht grundsätzlich ein Problem. In vielen Bereichen kann darauf auch nicht verzichtet werden.
Kritisch ist in den meisten Unternehmen nur die fehlende klare Regelung dazu. So kann es vorkommen, dass Mitarbeiter dauerhaft in Alarmbereitschaft sind, ohne dass es von ihnen erwartet wird.
Die größten Fehler beim Einsatz von E-Mails
„Welche negativen Auswirkungen ergeben sich aus einem unreflektierten Umgang mit dem Medium E-Mail?“ Der E-Mail-Spezialist Günter Weick, der mit seinen Kollegen von SofTrust Consulting seit 2001 die E-Mail-Kultur internationaler Unternehmen gestaltet, nennt in seinem Buch „Wenn E-Mails nerven“ zwölf potentielle negative Nebenwirkungen.
Eine davon ist die Verschwendung von Arbeitszeit. Beratungsgesellschaften beziffern den Wert der verlorenen Arbeitszeit auf mehrere Milliarden Euro jährlich.
E-Mails haben Suchtpotenzial. Auf lange Sicht leisten die Mitarbeiter so in der regulären Arbeitszeit weniger.
Wer sich von E-Mails treiben lässt, ermüdet schneller, wie Studien belegen. Die ständigen Unterbrechungen durch Emails erhöhen das Bournout-Risiko.
Jeder dürfte es schon mal erlebt haben, dass der Text einer E-Mail falsch verstanden wird. Missverständnisse passieren einfach sehr viel häufiger als in direkten Gesprächen. Zudem treten auch fachliche Fehler leichter auf.
Hierarchien haben sich ja nicht aus Zufall gebildet. Wer berichtet was an wen – das umgeht die E-Mail-Kommunikation viel häufiger, als es alle Beteiligten wahr haben wollen. Vielleicht geht der „kleine Dienstweg“ per Email manchmal schneller, aber das geht zu Lasten von Zuverlässigkeit und Qualität.
Anstatt richtig in Prozessen organisiert zu sein, wird vieles immer wieder als Einzelfall betrachtet. Das ist nicht nur aufwendiger, sondern es passieren auch mehr Fehler.
Soziologen und Psychologen sagen, dass jene Menschen, die vor allem elektronisch kommunizieren, die Fähigkeit und das Interesse verlieren, sich mit Menschen direkt auseinanderzusetzen.
Es gibt viele Themen, in den E-Mails einfach die uneffektivere Kommunikationsform sind (siehe Seite 2). Die Geschäftsvorfälle dauern länger als notwendig und erfordern mehr Aufwand. So manches Thema, das sich per E-Mail über Wochen hinzieht, ist in einer Zehn-Minuten-Besprechung vom Tisch.
Das dringende Kleine im Posteingang wird wichtiger als das wirklich wichtige Große. Auch das ist ein Nachteil der E-Mail-Kommunikation. Umso wichtiger ist es, sich da gut zu organisieren.
Es kommt schnell zu einem Realitätsverlust: Mitarbeiter schicken Dutzende E-Mails durch die Gegend und glauben, sie hätten wirklich gearbeitet. Doch wie produktiv sind die meisten E-Mails wirklich? Hat man für das Unternehmen tatsächlich so viel bewegt, wie man in derselben Zeit hätte können?
Wer über weitere Strecken des Tages auf eingehende E-Mails reagiert, hat folglich weniger Zeit zum Agieren. Das frustriert den Einzelnen und bringt dem Unternehmen wenig.
Jeder will E-Mails schnell vom Tisch haben. Also wo immer möglich gilt da die Devise: weiterleiten statt erledigen.
Klären Sie deshalb grundsätzlich, ob es notwendig ist, dass Mitarbeiter und Führungskräfte außerhalb der Arbeitszeiten erreichbar sind. Welche Formen dieser Erreichbarkeit sind wichtig für die Wertschöpfung des Unternehmens? Erstellen Sie ein Konzept, aus dem für jeden ersichtlich wird, ob und wann er erreichbar sein sollte. Planen Sie für Mitarbeiter, die häufig verfügbar sein müssen, Vertretungsregelungen und klare Auszeiten.